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Zu Beginn der Beratung gibt Dr. Winter eine Zusammenfassung über das bisherige Verfahren von der ersten Beratung im Kulturausschuss über die Bürgerversammlung in Mesum bis zur Erstellung der heutigen Vorlage. Weiter teilt er mit, dass nach Redaktionsschluss der Vorlage noch seitens einiger Anwohner der Wagenfeldstraße eine Eingabe gemacht wurde. Substantiell enthalte die Eingabe keine neuen Aspekte zu diesem Thema. Damit die Ausschussmitglieder sich aber selber einen Eindruck machen können, verliest er die Eingabe:

 

„…. ich möchte auf diesem Weg nochmals den Wunsch meiner Familie und sicherlich auch der überwiegenden Anzahl der übrigen Anwohner zum Ausdruck bringen und Sie bitten, auf eine Umbenennung der

Wagenfeldstraße zu verzichten.

Wie einige Beispiele aus anderen Städten zeigen, ist es auch möglich, die Wünsche der Anwohner vor die "öffentlichen Interessen" der Stadt zu stellen. Wir glauben nicht, dass Sie viele Bürger finden, die eine Umbenennung für wichtig erachten.

 

Eine Möglichkeit, den Straßennamen beizubehalten, wäre, das Straßenschild mit einer Zusatztafel zu versehen. Hier könnte deutlich gemacht werden, dass der Dichter heute nicht mehr unumstritten ist und die Ehrung kritisch gesehen wird. Dies ist in verschiedenen Städten (z.B. Drensteinfurt, Hildesheim)  - auch unter Berücksichtigung der Anwohnermeinung - so umgesetzt worden. U.E. wäre dies die "sauberste" Lösung und könnte auch bei anderen Straßennamen Anwendung finden. 

Folgende Informationen könnte die Zusatztafel enthalten:

"Karl Wagenfeld (1869-1939) gründete 1915 den Westfälischen Heimatbund und erwarb sich durch seine Dichtungen Verdienste um die Bewahrung der niederdeutschen Sprache.

Seine Reden und Schriften offenbaren allerdings auch deutsch-nationales und völkisches Gedankengut, mit dem er der nationalsozialistischen Propaganda dienlich war."

 

Eine weitere Möglichkeit wäre, diese Zusatztafel für eine Umwidmung  zu nutzen und als Namensgeber Wilhelm Wagenfeld anzugeben. Auch dies ist in verschiedenen Städten so geschehen. Ob und inwieweit hier die Zustimmung von Nachkommen erforderlich ist, geht aus den Berichten nicht hervor.

 

Als letzte Alternative schlagen wir die Umbenennung in Wilhelm-Wagenfeld-Straße vor.“

 

Anschließend wird vereinbart über diese Eingabe als Ziffer 13 einen Abwägungsbeschluss zu fassen.

 

Im Anschluss daran bittet Herr Toczkowski darum eine Erklärung verlesen zu dürfen. Diese lautet wie folgt:

 

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

am 19. November, also vor rund drei Wochen, stand anlässlich des Volkstrauertages ein Bericht in der Münsterschen Zeitung unter der Überschrift „Opfer dürfen nicht vergebens gewesen sein“.

 

In diesem Artikel berichtet der Autor von der Gedenkveranstaltung des Verbandes Mesumer Vereine, in der der Hauptredner eindringlich mahnte:

„Das Gedenken und Erinnern an die Toten der Kriege und Opfer von Gewaltverbrechen darf nicht aufhören. Wir müssen es schaffen, diese gewachsene Tradition an die nächste Generation weiterzugeben.“

 

Ich glaube, das trifft den Kern der heutigen Diskussion um die Umbenennung der Castelle- und Wagenfeldstraße in Mesum.

Es geht darum, sich die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus abermals bewusst zu machen, damit sich das Unrecht und unsägliche Leid, das Millionen von Menschen traf, nicht wiederholt.

 

Dazu gehört auch, dass seine Urheber und Unterstützer klar benannt werden, ihr menschenverachtendes Tun thematisiert und jede positive Darstellung dieser Personen und ihres Handelns in Zukunft vermieden werden.

 

Das war der Hintergrund des Antrages der SPD, den wir in Abstimmung und mit Unterstützung der gesamten Fraktion vor 1 ½ Jahren in den Kulturausschuss eingebracht haben.

 

Heute nun liegt der Beschlussvorschlag der Verwaltung vor. Und ich sage ausdrücklich Vorschlag, da letztlich wir als Politiker im Kulturausschuss und im Rat es sind, die über diesen Vorschlag der Verwaltung zu entscheiden haben.

Wir können ihn abändern oder auch gänzlich zurückweisen und eine ganz andere Entscheidung treffen.

 

Darauf wurde seitens der Verwaltung auch in der Bürgerversammlung hingewiesen; nur leider wollte es kaum einer der anwesenden Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis nehmen.

 

Es ist also unsere Aufgabe heute, eine Entscheidung auf der Grundlage des Verwaltungsvorschlages vorzubereiten, die dann dem Rat der Stadt Rheine zur endgültigen Beschlussfassung vorgelegt wird.

 

Dazu greife ich auf die Verwaltungsvorlage, für deren Ausgewogenheit und Ausführlichkeit ich mich bei der Verwaltung bedanke, zurück.

 

Danach ist festzustellen, dass „Straßenbenennungen nach Personen zu den höchsten und wichtigsten Ehrungen zählen, die eine Gemeinde verleihen kann.

Diese Ehrung wird nicht nur zum Zeitpunkt der Namensgebung verliehen, sondern sie gilt fortwährend und ist stets mit dem Selbstverständnis und der Selbstdarstellung einer Gemeinde zu reflektieren“.

 

Mit anderen Worten: Durch die Namensvergabe möchte sich eine Stadt mit den als positiv empfundenen Leistungen des Namensgebers schmücken. Sein als beispielhaft empfundenes Handeln soll gewürdigt werden, sein Glanz aber auch ein wenig auf die Kommune abfärben.

 

Gleichzeitig gilt aber auch, dass diese Namensvergabe immer wieder einer Überprüfung zu unterziehen ist, um sicher zu stellen, dass diese Ehrung noch zeitgemäß ist, also dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis und dem Selbstverständnis einer Kommune entspricht.

 

Nun hat bezogen auf die Personen Friedrich Castelle und Karl Wagenfeld eine namhaften Historikerkommission angeraten, Straßen, die nach ihnen benannt wurden, umzubenennen.

 

Begründet wurde das im Fall von Castelle mit der Feststellung, dass „er eindeutig ein Bewunderer und Förderer der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer Repräsentanten“ war und „sowohl in seinem schriftstellerischen Werk als auch in seinem Berufsleben diese menschenverachtende und antisemitische Ideologie persönlich aktiv gefördert hat“. 

 

Und bei Karl Wagenfeld wird festgehalten, dass „er als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus“ bezeichnet werden kann, dessen „Menschenbild dem Menschenbild entsprach, welches der Nationalsozialismus zur Errichtung der Ideologie von Herrenmenschen und Untermenschen, zum Erlass der Nürnberger Rassengesetze, zur Euthanasie von geistig und psychisch kranken Menschen und letztendlich auch zur Rechtfertigung des Krieges benötigte und benutzte“.

 

Meine Damen und Herren,

 

ich glaube, diese Aussagen der Expertenkommission machen deutlich, warum die beiden Namen nichts mehr auf den Straßenschildern unserer Stadt zu suchen haben.

 

Einer Stadt,

·         die damit wirbt, eine Stadt der Toleranz zu sein,

·         die sich offensiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus stellt und

·         die mit Stolpersteinen vor Häusern, die ehemals von Juden bewohnt wurden, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit antritt.

 

In einer solchen Stadt – unserer Stadt - ist kein Platz für Straßennamen, deren Namensgeber für Hass, Unmenschlichkeit und Krieg stehen.

 

Lassen sie mich noch drei Anmerkungen zu den Eingaben der Straßenanwohner bzw. zur Bürgerversammlung machen.

 

·         Die Anwohner zeigen sich überzeugt, dass ein „öffentliches Interesse an einer Umbenennung nicht gegeben sei“.

 

Diese Meinung mag solange eine gewisse Berechtigung gehabt haben, solange niemand, weder die Anwohner noch sonstige Personen oder Medien, von den Straßennamen Notiz genommen hatten.

 

Spätestens aber mit der auch in den Nachbargemeinden aufkommenden, in den Medien öffentlich ausgetragenen Diskussion waren diese Namen und die dahinter stehenden Personen aus ihrem „Dornröschenschlaf“ geweckt und in die Öffentlichkeit des Rheiner Publikums gerückt. Die Leserbriefe und Kommentare zeigen, dass ein öffentliches Interesse zumindest an der Diskussion um das Für und Wider einer Umbenennung gegeben ist.

 

Das kann auch nicht mehr rückgängig gemacht werden.

 

Darin liegt aber auch eine große Chance:

 

Die neu entfachte Diskussion kann dazu beitragen, den Blick wieder zu schärfen für die Ursachen, die den Nationalsozialismus möglich machten, die aber auch den Boden bereiteten zum Beispiel für die Zwickauer Terrorzelle oder das kranke Weltbild eines Massenmörders wie A. Breyvik.

 

Denn es ist keineswegs so, dass - wie die Anwohner der Castellestraße glauben, - die „Dinge 67 Jahre nach Kriegsende längst aufgearbeitet sind.“

 

·         Nachdenklich gemacht hat mich auch die Aussage  „Wir möchten lieber in einer Erinnerungskultur statt in einer Verdrängungskultur leben.“

 

In diesem Zusammenhang ist ja damit gemeint, dass der Name beibehalten werden müsse, um sich zu erinnern. Löscht man ihn, so ist das gleichbedeutend mit Verdrängung.

 

Hier aber widersprechen sich die Kritiker einer Umbenennung, denn an anderer Stelle sagen sie, dass bis zu dem Zeitpunkt, als dieses Thema gezielt hochgespielt wurde, kaum jemand „etwas über Karl Wagenfeld wusste“, also trotz vorhandenem Straßenschild eine Erinnerung an die Person längst nicht mehr gegeben war.

 

Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da ein einfaches Straßenschild auch gar nicht die Komplexität eines geschichtlichen Zusammenhanges wie des Nationalsozialismus wiedergeben kann.

 

Das ist nur möglich im Rahmen von Veranstaltungsreihen, wie wir sie jetzt rund um den 9. November erleben. Dort kann differenziert auf die verschiedenen Facetten der Nazi-Ideologie und ihre bis in die Gegenwart hinein reichenden mörderischen Konsequenzen eingegangen werden.

 

Daher ist es umso wichtiger, dass bei Straßen, die nach historischen Persönlichkeiten benannt werden sollen, ein möglichst breiter Konsens darüber besteht, dass diese Persönlichkeiten in ihrer Biografie Maßstäbe im positiven Sinne gesetzt haben.

 

Das trifft unseres Erachtens ohne Einschränkung zu auf Personen wie Thomas Mann, Wolfgang Borchert, Dietrich Bonhoeffer oder Kardinal von Galen.

 

Lassen sie mich noch eine abschließende Bemerkung zur Bürgerversammlung am 23. Oktober machen:

 

Schade fand ich, dass einige Bürgerinnen und Bürger den Raum während der Veranstaltung verlassen haben.

 

Kopfschütteln hat bei mir hervorgerufen, dass ein Bürger eine Persönlichkeit wie Dietrich Bonhoeffer, der für seine Überzeugung von den Nazis im KZ ermordet wurde, auf eine Stufe mit Castelle und Wagenfeld stellte.

 

Für besonders bedenklich halte ich es aber, dass ein stellvertretender Heimatvereinsvorsitzender sich zur Aussage „Die Anwohner sind dem Heimatverein „lieber“ als neue Straßennamen“ hinreißen lässt und dafür noch Beifall bekommt.

 

Hier zeigt sich ein erschreckendes Maß an fehlender Sensibilität und Verantwortung gegenüber historischen Geschehnissen und Personen, die ich bei einem Heimatvereinsvorsitzenden eigentlich nicht erwartet hätte.

 

Als Sozialdemokraten können und wollen wir uns eine derartige Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber unserer Geschichte nicht erlauben.

 

Wir unterstützen daher den Vorschlag der Verwaltung auf eine Umbenennung der Straßen in Wolfgang-Borchert-Straße und Thomas-Mann-Straße.

Dabei freut es uns besonders, dass diese Vorschläge von Anwohnern der beiden Straßen gemacht wurden.“

 

Frau Helmes bittet alle um Verständnis für die jetzt zu treffende Entscheidung. Sie bittet darum, dass mit dem Abschluss des Umbenennungsprozesses aber auch Anfeindungen untereinander eingestellt werden sollten.

 

Herr Reiske erklärt, dass aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen Menschen, die sich als Rassisten betätigt haben, auf gar keinen Fall durch Straßenbenennungen geehrt werden dürfen. Die vorgeschlagene Umbenennung sei deshalb der einzige richtige Weg.

 

Herr Wilp weist darauf hin, dass man sich in Mesum durchaus mit der Vergangenheit auseinander setze, habe man doch erst vor kurzer Zeit eine Gedenkstätte für die verstorbenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen auf ausdrückliches Betreiben aus der Bevölkerung errichtet. Er bittet deshalb ebenfalls darum, auf zukünftige Anfeindungen zu dieser Straßenumbenennung zu verzichten. Zum Abschluss bittet er die Verwaltung darum, den Bürgerinnen und Bürgern bei der Änderung ihrer Ausweise und sonstigen amtlichen Dokumente möglichst unbürokratisch und bürgerorientiert zu helfen.

 

Herr Dr. Koch erklärt, dass auch die FDP einer Umbenennung zustimmt.

 

Frau Burchert berichtet, dass sich der Seniorenbeirat ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt habe, und auch dieser für eine Umbenennung sei.

 

Herr Bonk lässt anschließend über die Abwägungsbeschlüsse einzeln abstimmen:


Abwägungsbeschlüsse

 

1.    Die Eingabe vom 01.06.2012 der Anwohner der Castellestraße wird als unbegründet zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

2.    Die Eingabe vom 17.07.2012 der Anwohner der Castellestraße wird als unbegründet zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

3.    Die Eingabe vom 23.07.2012 eines Anwohners der Wagenfeldstraße N. 7 wird als unbegründet zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

4.     Die Benennungsvorschläge der Eingabe vom 27.07.2012 eines Anwohners der Wagenfeldstraße N. 2 werden aufgegriffen und als Beschlussvorschlag dem Kulturausschuss und dem Rat der Stadt Rheine zur Entscheidung vorgelegt.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

5.    Die Eingabe vom 30.07.2012 eines Bürgers wird zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

6.    Die Eingabe vom 30.07.2012, 19:03 Uhr eines Anwohners der Wagenfeldstraße wird zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

7.    Die Eingabe vom 30.07.2012, 19:46 Uhr eines Anwohners der Wagenfeldstraße wird zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

8.    Die Benennungsvorschläge der Eingabe vom 30.07.2012, 21:38 Uhr eines Anwohners der Wagenfeldstraße werden aufgegriffen und als Beschlussvorschlag dem Kulturausschuss und dem Rat der Stadt Rheine zur Entscheidung vorgelegt.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

9.    Die Eingabe vom 30.10.2012 von Anliegern der Castellestraße wird als unbegründet zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

10. Die Eingabe vom 03.11.2012 eines Bürgers wird als unbegründet zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

11. Die Vorschläge des Heimatverein Mesum zur Neubenennung der Castelle- und Wagenfeldstraße, Schreiben vom 26.03.2012 und 21.08.2012, werden zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

12. Die in der Bürgerversammlung am 23.10.2012 vorgebrachten Vorschläge und Eingaben werden zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

13. Die Eingabe vom 11.11.2012 von Anwohnern der Wagenfeldstraße wird als unbegündet zurück gewiesen.
Abstimmungsergebnis: einstimmig

 

Anschließend erfolgt die Abstimmung über folgenden Umbenennungsbeschluss:

 

1.     Die Wagenfeldstraße wird umbenannt in „Wolfgang-Borchert-Straße“.

2.     Die Castellestraße wird umbenannt in „Thomas-Mann-Straße“.

 

Abstimmungsergebnis: einstimmig