Betreff
Fachkräftemangel in den Kindertageseinrichtungen
Vorlage
136/18
Aktenzeichen
II.11 - kös
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Jugendhilfeausschuss nimmt die Ausführungen der AG 78 „Förderangebote in Tageseinrichtungen für Kinder“ zum Fachkräftemangel in den Kindertageseinrichtungen zur Kenntnis.

 

 


Begründung:

 

Der Fachkräftemangel ist in vielen Branchen bereits deutlich zu spüren. Obwohl in den Medien bisher eher wenig über den Mangel an pädagogischen Fachkräften berichtet wurde, leiden die Kitas in Rheine zunehmend unter diesem Zustand. Freie Stellen können nicht mehr adäquat besetzt werden, neu gebaute Kitas fordern erfahrende Fachkräfte, die dann in bestehenden Kitas fehlen. Durch Krankheit, Fortbildungen oder Schwangerschaften fehlen daneben im regulären System immer wieder Personen.

 

Den örtlichen Trägern der demnächst 42 Kitas bereitet die zunehmende Schwierigkeit, Personal zu finden, erhebliche Sorgen.

 

In der AG 78 „Förderangebote in Tageseinrichtungen für Kinder“ wurde im November 2017 der Fachkräftemangel diskutiert. In einer Unterarbeitsgruppe wurde das Thema intensiv betrachtet. Die Unterarbeitsgruppe hat im Februar 2018 die zentralen Aspekte und mögliche Handlungsansätze zusammengetragen. Daraufhin wurde in der AG 78 entschieden, das Thema dem Jugendhilfeausschuss vorzutragen.

 

Parallel hat sich im Kreis Steinfurt ein Arbeitskreis, bestehend aus Trägern, Jugendämtern und dem Landesjugendamt gegründet, der ebenfalls des Themas „Fachkräftemangel“ annimmt.

 

In der Zusammenfassung dieser Diskussionen und der Anführung des Fachdiskurses, sollen folgende Aspekte den Fachkräftemangel verdeutlichen. 

 

 

Kitaausbau

In Rheine werden derzeit in 40 Kitas 2620 Kinder betreut. Vor 5 Jahren waren es noch 2221 Kinder, die in 34 Kitas betreut wurden. In 5 Jahren werden vermutlich in 46 Kitas 2975 Kinder betreut. Im Kreis Steinfurt wurden vor 5 Jahren noch 14.280 Kinder betreut und in 2022/2023 werden es prognostisch 17.409 Kinder sein.

 

Ein Blick auf die damit verbundenen Fachkraftstunden verdeutlicht den Fachkräftebedarf:

Kitajahr

2012/13

Kitajahr

2017/18

Kitajahr

2022/23

Kinder

Rheine

2221

2620

2975

Steinfurt

14280

16376

17409

 

Vollzeit-Stellen für Fachkräfte

1. Wert (*)

Rheine

224,6

285,6

332,3

Neue Stellen

+61

+46,7

Steinfurt

1.461,50

1.852,44

2.006,24

Neue Stellen

+ 391,94

+153,8

 

Vollzeit-Stellen für Fachkräfte

2. Wert (*)

Rheine

270,8

347,5

405,0

Neue Stellen

+76,7

+57,5

Steinfurt

1.755,29

2.246,97

2.437,11

Neue Stellen

+491,68

+190,14

(*) Der 1. Wert stellt das gesetzliche Minimum an Fachkraftstunden dar. Der 2. Wert wird vom Gesetzgeber empfohlen.

 

Allein in Rheine wurden somit seit 2012 mindestens 61 neue Vollzeitstellen „nur“ durch den Kitaausbau geschaffen. Im gesamten Kreis Steinfurt sind in den letzten 5 Jahren mindestens 392 neue Vollzeitstellen entstanden. Hinter diesen Vollzeitstellen verbergen sich jedoch deutlich mehr Fachkräfte, da ca. 60% der Beschäftigten im Kitabereich als Teilzeitkraft[1] angestellt sind. Somit unterscheidet sich die Zahl der Vollzeitstellen deutlich von der tatsächlich zu benötigten Personenzahl.

Zudem betreffen diese Zahlen nur die Stellen, die im Zuge des Kita Ausbaus geschaffen wurden. Es sind keine Berufsausschiede durch Rente, Erkrankungen, Berufswechsel usw. eingerechnet. Für eine aussagekräftigere Datenlage sorgt das Deutsche Jugendinstitut, welches anhand einer Untersuchung sehr präzise Angaben zur Situation der Fachkräfte in der frühen Bildung im „Fachkräftebarometer“ zusammengefasst hat.

 

Absolventen vs. Personalabgänge

Die bundesweit erhobenen Zahlen verdeutlichen, dass grundsätzlich der reine Vergleich von Schülern und Studenten, die als „Neuzugänge“ in die Kitas kommen, mit den Personen, die in Rente gehen oder frühzeitig aus Krankheitsgründen ausscheiden (Fachkräfteersatzbedarf), eine positive Bilanz zur Folge hat. Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, strömen mehr Neuzugänge in das Kitasystem als Fachkräfte gehen.

 

Abbildung 1: Vergleich der Neuzugänge und dem Personalersatzbedarf[2]

Dieses Verhältnis kann für Rheine nicht dargestellt werden. Da die Zahl der Absolventen von Hochschulen, Berufskolleges etc. sowie die Daten zum Ausscheiden von Personen, nicht örtlich erhoben werden.

 

Weitere Faktoren

Diese Betrachtung des Fachkräftebedarfs ist „trügerisch“, da weitere Faktoren den Bedarf beeinflussen. Im Wesentlichen zählen dazu, die demografischen Veränderungen, der U3 Ausbau und die qualitativen Verbesserungen, die politisch gefordert sind.

1.      Demografische Veränderungen

Die Geburtenrate liegt bei 1,5 Kindern je Frau und ein ansteigender Trend wird beobachtet. Ebenso zeigt sich, dass durch die Zuwanderung ein erkennbarer Mehrbedarf entstanden ist.

2.      Ausbau der U3 Kitaplätze

Die Betreuung der U3 Kinder benötigt ohne hin bereits mehr Personal, als in anderen Gruppen und wird durch den steigenden Trend der frühen Betreuung unterstützt.

3.      Qualitative Verbesserungen

Zu den qualitativen Verbesserungen, die teilweise von der Politik aber auch den Trägern gefordert werden, gehören z.B. die Verbesserung des Personalschlüssels, der Ausbau der flexiblen Öffnungszeiten sowie Betreuung in Randzeiten, die inklusive Betreuung in Regel Kitas und die Aufteilung der Arbeitszeit im Alltag (es gibt derzeit keine Vor- oder Nachbereitungszeit, sowie Dokumentationszeiten etc. trotz steigender Dokumentations- und Berichtpflichten)[3]

 

Die nachfolgende Abbildung prognostiziert den Personalbedarf bis 2025 und den damit verbundenen Mangel an Fachkräften.

 

Abbildung 2: Prognostizierter Personalbedarf[4]

Es ist zu bedenken, dass in der vorliegenden Ausführung der steigende Personalbedarf an Erzieher/Innen im offenen Ganztag sowie der Kindertagespflege nicht beleuchtet wird. Dennoch entstehen durch den Ausbau auch in diesen Systemen Bedarfe, die nicht gedeckt werden können.

„In der Summe heißt das, dass der ambitionierte Ausbau der Kindertagesbetreuung in Deutschland in den nächsten Jahren weitergehen wird und die zentralen Themen der Qualitätsverbesserung nur umgesetzt werden können, wenn zeitgleich eine umfangreiche und konsequente Strategie zur Ausweitung der Kapazitäten in Ausbildungs- und Studiengängen entwickelt wird.“[5] 

 

Handlungsbedarfe

Entsprechend der Ausführung wird deutlich, dass die Handlungsbedarfe die folgenden zwei Bereiche abdecken müssen:

1.      Fachkräftegewinnung

2.      Fachkräfte im Kitasystem halten

 

Grundlegend hierfür ist die Veränderung und Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen.

 

Ausbildung

Die Teilnehmer/Innen der AG 78 fordern, dass die Ausbildungszeit vergütet wird und die Möglichkeit der dualen Ausbildung geschaffen wird. Ebenso wird dafür geworben, dass der Zugang zur Ausbildung z.B. für zugewanderte Personen ermöglicht wird. Grundsätzlich soll es keine Absenkung von Standards geben, sodass beispielsweise verkürzte Ausbildungen oder Weiterbildungen angeboten werden, um den aktuellen Mangel kurzfristig zu beheben. Den steigenden Qualitätsansprüchen sowie den Anforderungen an die Fachkräfte, soll durch eine fundierte und hochwertige Ausbildung Rechnung getragen werden.

 

Image des Berufsfeldes

Durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit sowie konkrete Ansprache der möglichen Zielgruppen, sollen Berufsinteressierte gefunden und gewonnen werden. Durch Präsenz von Kitas, Trägern oder Jugendamt auf Berufswahlmessen und Ausbildungsbörsen, sollen die Personen direkter angesprochen werden und Perspektiven aufgezeigt werden.

 

Fachkraft-Kind-Schlüssel

Für den Fachkraft-Kind-Schlüssel wird von der Bertelsmann Stiftung im Ü3-Bereich ein Verhältnis von 1 zu 7,5 und im U3-Bereich von 1 zu 3 gefordert. Gerade im Ü3-Bereich liegt in der Praxis der Fachkraft-Kind-Schlüssel nur bei 1 zu 9[6], was eine erhebliche Mehrbelastung bedeutet.

 

Personalausstattung

Eng mit dem Fachkraft-Kind-Schlüssel ist der Wunsch nach einer besseren Personalausstattung verbunden. Da es keine zusätzlichen Zeiten für Elterngespräche, Dokumentationen, Berichte, Vor- oder Nachbereitung von Angeboten gibt, fällt diese Zeit immer zu Lasten der Kinder. Ebenso entstehen Personallücken durch Fortbildungen, die besucht werden müssen, Teamsitzungen, Arbeitskreise, Urlaub, Krankheit etc., die nur durch die ohnehin geringe Personalausstattung aufgefangen werden können. Weitere Qualitätsansprüche, wie flexible Öffnungszeiten fordern Personal, welches in Schichtsystem arbeitet, sodass eine konstante Betreuung für Kinder und Eltern fehlt. Entsprechend der Bertelsmanns Stiftung unterstützten die Teilnehmer/Innen der AG 78 eine Personalausstattung von 120% zu Beginn des Kitajahres. Unter dieser Voraussetzung könnten die üblichen Personallücken, die durch die natürlichen Aufgaben einer Fachkraft entstehen (Dokumentation, Arbeitskreis, Elterngespräch etc.), angemessener gedeckt werden und ebenso eine angemessene Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder stattfinden.

 

Auskömmliche Finanzierung

Die Finanzierung der Kita erfolgt durch Pauschalen, pro Kind und Stundenbuchung. Die Personalplanung einer Kita ist zu 100% abhängig von der jährlichen Buchung bzw. dem daraus entstehenden Budgets. Ein Finanzierungssystem, welches den Trägern ein festes Budget zuspräche, würde aus Sicht der AG 78 deutliche Erleichterung mit sich bringen. Besonders die Beschäftigungsverhältnisse der Fachkräfte könnten ansprechender und attraktiver gestaltet werden, da unbefristete Arbeitsverträge geschlossen werden sowie Personalkontinuität in Teamstrukturen entstehen würde.

 

Vergütung und Arbeitsverhältnisse

Die Attraktivität von Berufsbildern hängt nicht zu Letzt von der Vergütung und den Beschäftigungsverträgen ab. Trotz der dargelegten Anforderungen und notwendigen Qualifizierung der Berufsgruppe ist eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse in den vergangenen Jahren nicht ausreichend erfolgt, dies sollte dringend verändert werden. Ebenso sollte der gängigen (für die Träger leider oft notwendigen) Praxis von jahrelangen befristeten Arbeitsverhältnissen entgegen gewirkt werden, um jungen Menschen, die diesen Beruf einschlagen wollen, eine Perspektive aufzuzeigen.

 

 

Die Mitglieder der AG 78 sind sich darin einig, dass vor Ort an den Themen

 

1.      Fachkräftegewinnung

2.      Fachkräfte im Kitasystem halten

 

gearbeitet werden kann und muss, dass der Beitrag vor Ort aber bei weitem nicht ausreichen wird. Wenn die politischen Rahmenbedingungen auf Landes- und Bundesebene nicht verbessert werden, wird der Fachkräftemangel in naher Zukunft eklatant.

 

Um den Fachkräftemangel zu verdeutlichen, werden Mitglieder der AG78 einmal aus Sicht der Eltern, dann aus Sicht einer Kita-Leitung und aus Sicht eines Trägers die Auswirkungen des Fachkräftemangels schildern.

 

 

 



[1] Vgl. Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. München. S.39

[2] Vgl. ebd., S.178

[3] Vgl. ebd., S.183 f.

[4] Vgl. ebd., S.182

[5] Ebd. S. 185

[6] Vgl. Bertelsmann Stiftung (2017): PRESSEMELDUNG. Kita-Personalschlüssel unterscheiden sich zwischen den Kreisen in Nordrhein-Westfalen erheblich. Online:www.bertelsmann-stiftung.de (21.03.2018)