Betreff
Bezahlkarte für Flüchtlinge
Vorlage
148/25
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

Der Sozialausschuss nimmt die Ausführungen zur Bezahlkarte im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes zur Kenntnis.


Begründung:

I.              Einführung:

Asylsuchende haben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) Anspruch auf Leistungen, sofern sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern können. Asylbewerber-leistungen können in Form von Bargeld, Sachleistungen oder Warengutscheinen gewährt werden. Die Kommunen entscheiden im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung eigenständig.

Aktuell erhalten in Rheine ca. 170 Personen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs-gesetz (AsylbLG). Bei ca. 5 Personen ist derzeit aus verschiedenen Gründen keine Leistungs-erbringung auf ein Konto möglich. Bei diesen Personen werden die Leistungen nach Vorsprache per Scheck gezahlt.

1.    Berechtigtenkreis

Die Bezahlkarte für Flüchtlinge richtet sich an alle Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten. Dazu gehören:

  • Volljährige Leistungsberechtigte: Alle erwachsenen Personen, die Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) oder Analogleistungen (§ 2 AsylbLG) beziehen.
  • Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Diese erhalten die Bezahlkarte, wobei die Leistungen in der Regel über die sorgeberechtigte Person (z. B. Mutter) abgewickelt werden.
  • Übergangsregelung für Bestandsfälle: Für Leistungsberechtigte, die vor Einführung der Bezahlkarte bereits Leistungen erhielten, gilt eine Übergangsregelung. Spätestens ab dem 01.01.2027 ist die Bezahlkarte für alle verpflichtend.
  • Personen mit Erwerbstätigkeit: Personen, die eine Erwerbstätigkeit von mindestens drei Monaten (Mini-Job-Limit) nachweisen, sind von der Nutzung der Bezahlkarte ausgenommen.
  • Personen in Berufsausbildung: Auch Personen in einer anerkannten Berufsausbildung können von der Bezahlkarte ausgenommen sein.

2.    Einschränkungen und Besonderheiten:

  • Die Bargeldgrenze beträgt 50 Euro pro Monat, kann aber im Einzelfall angepasst werden.
  • Die Karte ist deutschlandweit und online nutzbar, jedoch mit Einschränkungen: Kein Einkauf im Ausland, keine Geldtransferdienstleistungen ins Ausland, kein Glücksspiel und keine sexuellen Dienstleistungen.
  • Härtefälle können individuell geprüft und abweichend entschieden werden.
  • Für Bedarfsgemeinschaften sind Partnerkarten möglich, wenn eine schriftliche Vollmacht vorliegt.

II.            Politischer Weg zur Einführung der Bezahlkarte

1.    („Alte“) Bundesregierung / Ministerpräsidentenkonferenz

Die Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge ist das Ergebnis eines mehrstufigen politischen Prozesses. Auf Bundesebene wurde das Thema zunächst in der Ministerpräsidentenkonferenz 2023 behandelt. Im November 2023 beschlossen die Ministerpräsidentinnen und –präsidenten aller Bundesländer, die Bezahlkarte als Instrument in das Asylbewerberleistungsgesetz aufzunehmen, die gesetzliche Änderungen erfolgte 1. März 2024, die Zustimmung des Bundesrates am 26. April 2024.

Die „alte“ Bundesregierung initiierte die gesetzlichen Grundlagen, die im Kabinett beschlossen und später vom Bundestag verabschiedet wurden. Der Bundesrat stimmte diesen Änderungen am 26. April 2024 zu.

2.    Landesrechtliche Umsetzung in NRW:

In Nordrhein-Westfalen folgte die landdesgesetzliche Umsetzung durch die Verordnung zur flächendeckenden Einführung einer Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz (Bezahlkartenverordnung NRW – BKV NRW) durch das Landesministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI). Diese Verordnung trat am 7. Januar 2025 in Kraft und legte den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Bezahlkarte in den Kommunen fest.

Durch diese Rechtsverordnung ist die Einführung der Bezahlkarte grundsätzlich verpflichtend und flächendeckend für Nordrhein-Westfalen geregelt worden.

In NRW wurde mit der sog. Opt-Out-Regelung (§ 4 der Bezahlkartenverordnung) für die Kommunen die Möglichkeit geschaffen, die bisherige Auszahlungspraxis fortzusetzen. Soll vom gesetzlichen Regelfall abgesehen werden, wäre ein Beschluss des Rates erforderlich.

Wird kein aktiver Beschluss zur Opt-Out-Regelung gefasst, ist die Bezahlkarte bis zum 31.12.2025 einzuführen, was aktuell grundsätzlich von der Verwaltung vorbereitet wird.

Die Einführung der Bezahlkarte nur für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Altfälle bleiben, Neufälle erhalten nur noch die Bezahlkarte) ist ausgeschlossen. Es gilt das Prinzip „ganz oder gar nicht“.

3.    Kritik insbesondere an der sog. Opt-Out-Regelung in NRW

Die Landesregierung hat diese Regelung mit dem Hinweis auf die Kommunale Selbstverwaltung positiv beschrieben, diese Ausnahmeregelung ist dennoch auf deutliche Kritik des StGB NRW und der „kommunalen Familie“ gestoßen, weil ein „Flickenteppich“ befürchtet wird. Zur Vertiefung die Pressemitteilung des StGB NW:

https://www.kommunen.nrw/presse/pressemitteilungen/detail/dokument/bezahlkarte-flickenteppich-statt-einheitlicher-loesung.html

Zwar sollen den Kommunen bei „Nutzung“ der Opt-Out-Regelung keine Nachteile entstehen, sollte die Bezahlkarte zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt werden. Der befürchtete „Flickenteppich“ ist aber aktuell in NRW und im Kreis Steinfurt bereits Realität.

4.    Wesentliche Ziele bzw. Vorteile der Einführung der Bezahlkarte:

Die Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge verfolgt mehrere zentrale Ziele bzw. soll diese verfolgen:

·         Vermeidung von Bargeldabflüssen ins Ausland: Asylbewerber können keine Überweisungen ins Ausland tätigen, was Geldtransfers in Herkunftsländer verhindert.

·         Eindämmung illegaler Geldtransfers: Die Nutzung der Bezahlkarte verhindert, dass Gelder durch Schleusernetzwerke ins Ausland gelangen.

·         Im Ergebnis soll so die irreguläre Migration erschwert werden. Seitens des Bundes und auch der Länder verbindet sich damit auch die Erwartung, kriminelle Strukturen durch Schleuserbanden zu zerschlagen, da der Bargeldtransfer ins Ausland durch die Bezahlkarte verhindert wird.

·         Transparenz der Leistungsausgaben: Alle Transaktionen sind nachvollziehbar, Rückbuchungen sind bei Ausreisen möglich.

·         Schutz vor missbräuchlicher Nutzung: Die Karte ist auf bestimmte Nutzungsmöglichkeiten beschränkt (kein Glücksspiel, keine Überweisungen ins Ausland, keine Nutzung für sexuelle Dienstleistungen).

·         Kostensenkung für Kommunen: Rückbuchung nicht genutzter Gelder bei Abreise, Erstattung der Kartendienstleisterkosten durch das Land.

Ferner werden weitere Ziele/Vorteile benannt, die aus Sicht der Verwaltung aber zu relativieren sind, weil die Abwicklung bereits jetzt in den allermeisten Fällen bargeldlos erfolgt:

·         Verwaltungsvereinfachung: Die Bezahlkarte ersetzt Bargeldzahlungen, entlastet die Verwaltung und reduziert den Aufwand für Bargeldauszahlungen.

·         Förderung der Eigenverantwortung: Flüchtlinge erhalten eine eigene Zahlungskarte und erlernen den bargeldlosen Zahlungsverkehr.

·         Sicherheit für Empfänger: Das Risiko von Diebstahl und Verlust von Bargeld wird minimiert.

·         Effiziente Verteilung der Sozialleistungen: Guthaben können direkt überwiesen werden, auch an Neuzuweisungen aus Landeseinrichtungen.

5.    Wesentliche Nachteile

 

  • komplette Neuerfassung sämtlicher erforderlicher Daten auf der Zahlkartenplattform für Bestandsfälle. Die Frist zur Umstellung der Leistungen für „Analogleistungs-berechtigte“ wurde u.a. aufgrund hoher Komplexität auf technischer und organisatorischer Seite auf den 31.12.2027 verlängert
  • erheblicher Beratungsbedarf der Hilfeempfänger, sowohl bei der Erstausgabe als auch im lfd. Betrieb zu Einsatzmöglichkeiten der Karte und zum Verfahren; Änderungen bei den Stammdaten (z.B. Adressänderungen) oder Kartensperrungen bei Verlust oder falscher PIN-Eingabe sind von der Leistungsbehörde vorzunehmen
  • die Bargeldgrenze von 50 €/Monat ist jeweils individuell nach Ermessen zu prüfen und festzulegen
  • Zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Anwendungshinweise ist die Pilotphase in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes noch nicht abgeschlossen, so dass Umstellungsprobleme derzeit noch nicht benannt, bekannt oder gelöst sind. Zusätzlicher Verwaltungsaufwand ist zu befürchten. 
  • die Karte soll künftig auch Überweisungen durch die Hilfeempfänger ermöglichen; Seitens des Landes ist noch keine Entscheidung gefallen, welches Verfahren hierbei eingesetzt werden soll. Zur Debatte stehen entweder das „White-List“ oder das „Black-List“ Verfahren. Bei der „White-List“ ist durch die Sachbearbeitung individuell jede IBAN zu erfassen, auf die eine Überweisung zugelassen werden soll. Bei der „Black-List“ ist umgekehrt jede IBAN zu erfassen, auf die keine Überweisungen möglich sein soll. Unabhängig welches Verfahren eingeführt wird, werden hierdurch erhebliche laufende Datenerfassungen mit dazugehörigen Vorsprachen erforderlich.
  • vorhandene Konten (bei nahezu allen Hilfeempfängern vorhanden) müssen durch die Hilfeempfänger gekündigt werden, um laufende Kosten zu vermeiden. Vorhandene Daueraufträge laufen ggf. ins Leere, Mahnungen etc. sind abzusehen.
  • in bestimmten Konstellationen können Personen die Leistungen nach einer gewissen Zeit unabhängig von der Bezahlkarte erbracht werden. z.B. bei Arbeitsaufnahmen. Bei einem erfahrungsgemäß hohen Anteil an Stellenwechslern ist hier ist mit einem ständigen hin und her (Karte oder nicht) zu rechnen.
  • Im Fall von Arbeitsaufnahmen ist erneut eine Kontoeröffnung erforderlich, da ansonsten keine Gehaltszahlungen möglich sind. Bei Arbeitsaufnahme oder Verlust des Aufenthaltstitels müssen Betroffene möglicherweise zwischen Konto und Bezahlkarte wechseln.
  • Wenn für den Abschluss von Verträgen eine Kontonummer zu benennen ist (z.B. bei Handyverträgen), kann der Abschluss solcher Verträge erschwert /Beratungsbedarf)
  • absehbarer Aufwand bei gemischten Bedarfsgemeinschaften (Alg 1; Bürgergeld, AsylbLG, Sozialhilfe)
  • Probleme bei Rechtskreiswechsel (z.B. Verlust einer Aufenthaltserlaubnis); die Personen sind seit Jahren im Besitz eines Kontos incl. aller Zahlverbindungen. Dies alles müsste bei Wechsel ins AsylbLG abgekündigt werden.

III.           Stand des Verfahrens in NRW

Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich zusammen mit 13 weiteren Bundesländern an der länderübergreifenden Ausschreibung einer Bezahlkarte beteiligt. Eine Unternehmenskoope-ration verschiedener Zahlungsanbieter hat mit der SocialCard das gemeinsame Ausschreibungsverfahren der 14 Bundesländer zur Einführung eines Bezahlkartensystems für Geflüchtete für sich entschieden.

Die SocialCard basiert auf einer herkömmlichen Visa-Debitkarte und wird auf Guthabenbasis geführt. Sie kann in digitaler Form für das Smartphone oder als physische Karte ausgestellt werden. Behörden können Sozialleistungen per SEPA-Überweisung der Karte gutschreiben. Echtzeit-Aufladungen sind nur in Notsituationen möglich. Grundsätzlich sind technische Schnittstellen zwischen dem Social-Card-Navigator und Fachanwendungen möglich. Die Bereitstellung der Schnittstelle des SocialCard-Navigator erfolgt zentral durch das Land/den Länderkreis und wird durch das Land/die Länder finanziert. Anpassungsbedarfe von Fachverfahrensherstellern sind durch die jeweilige Bedarfsstelle eigenverantwortlich zu regeln und finanzieren. Das Land erstattet lediglich die Kosten des Dienstleisters, die den Kommunen aus der Teilnahme entstehen. Dafür wird zwischen jeder Kommune und Bezirksregierung eine Verwaltungsvereinbarung abgeschlossen.

Derzeit erfolgt landesweit der Roll-Out der Bezahlkarte in den Landeseinrichtungen als Probe-betrieb.

Das Land hat eine Abfrage bei den Kommunen gestartet, um einen Überblick zu erhalten, welche Kommunen vom gesetzlichen Regelfall abweichen wollen und welche Kommunen die Bezahlkarte einführen wollen. Die Verwaltung geht von der Einführung der Bezahlkarte aus und bereitet sich darauf vor.

Aktuell bestehen auch noch viele offene Fragen für die Kommunen und auch Nachteile bei einer (zügigen) Einführung der Bezahlkarte, da damit ein erheblicher bürokratischer Aufwand verbunden ist. Es besteht aber die Hoffnung, dass wesentliche Fragestellungen rechtzeitig geklärt werden.

IV.           Fazit:

Die Verwaltung erkennt den breiten gesetzgeberischen Konsens auf Bundes- und Landesebene zur Einführung der Bezahlkarte an. Sowohl die Bundesregierung als auch das Land Nordrhein-Westfalen haben die Bezahlkarte als zentrales Instrument zur Steuerung und Kontrolle der Sozialleistungen für Flüchtlinge beschlossen. Damit ist eine klare Erwartungshaltung geschaffen worden, die auch die Kommunen betrifft.

Gleichzeitig sieht die Verwaltung die Umsetzung in Nordrhein-Westfalen kritisch. Die Opt-Out-Regelung führt zu einem „Flickenteppich“ unterschiedlicher Regelungen, der sowohl für die Hilfesuchenden als auch für die Verwaltung zu Unsicherheiten und einem erhöhten Verwaltungsaufwand führt. Ein einheitliches Vorgehen im Kreis Steinfurt ist derzeit nicht absehbar.

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten hält die Stadt Rheine an der Einführung der Bezahlkarte fest. Ziel ist es, die Karte einzuführen, sobald die Ergebnisse der Pilotphase ausgewertet und noch offene Fragen geklärt sind. Die Verwaltung erwartet vom Land konkrete Antworten und Unterstützung, insbesondere zur Reduzierung des bürokratischen Aufwands und zur technischen Anbindung.

Die Stadt Rheine wird den Prozess intensiv weiterverfolgen, um eine möglichst reibungslose Einführung zu gewährleisten. Der Fokus liegt dabei auf einer gründlichen Vorbereitung, der Minimierung der Nachteile und der Nutzung der Erfahrungen anderer Kommunen.

Ob und in welchem Umfang zusätzliches Personal für die Einführung der Bezahlkarte erforderlich ist, kann erst nach Abschluss der Pilotphase und auf Basis der Erfahrungen anderer Kommunen realistisch eingeschätzt werden.