Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Der
Sozialausschuss nimmt die Ausführungen zur Bezahlkarte im Bereich des
Asylbewerberleistungsgesetzes zur Kenntnis.
Begründung:
I.
Einführung:
Asylsuchende haben
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) Anspruch auf Leistungen, sofern
sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern können. Asylbewerber-leistungen
können in Form von Bargeld, Sachleistungen oder Warengutscheinen gewährt
werden. Die Kommunen entscheiden im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung
eigenständig.
Aktuell erhalten
in Rheine ca. 170 Personen Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungs-gesetz (AsylbLG). Bei ca. 5 Personen ist derzeit aus verschiedenen
Gründen keine Leistungs-erbringung auf ein Konto möglich. Bei diesen Personen
werden die Leistungen nach Vorsprache per Scheck gezahlt.
1.
Berechtigtenkreis
Die Bezahlkarte für Flüchtlinge richtet sich an alle Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten. Dazu gehören:
- Volljährige Leistungsberechtigte: Alle erwachsenen Personen, die Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) oder Analogleistungen (§ 2 AsylbLG) beziehen.
- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Diese erhalten die Bezahlkarte, wobei die Leistungen in der Regel über die sorgeberechtigte Person (z. B. Mutter) abgewickelt werden.
- Übergangsregelung für Bestandsfälle: Für Leistungsberechtigte, die vor Einführung der Bezahlkarte bereits Leistungen erhielten, gilt eine Übergangsregelung. Spätestens ab dem 01.01.2027 ist die Bezahlkarte für alle verpflichtend.
- Personen mit Erwerbstätigkeit: Personen, die eine Erwerbstätigkeit von mindestens drei Monaten (Mini-Job-Limit) nachweisen, sind von der Nutzung der Bezahlkarte ausgenommen.
- Personen in Berufsausbildung: Auch Personen in einer anerkannten Berufsausbildung können von der Bezahlkarte ausgenommen sein.
2.
Einschränkungen und Besonderheiten:
- Die Bargeldgrenze beträgt 50 Euro pro Monat, kann aber im Einzelfall angepasst werden.
- Die Karte ist deutschlandweit und online nutzbar, jedoch mit Einschränkungen: Kein Einkauf im Ausland, keine Geldtransferdienstleistungen ins Ausland, kein Glücksspiel und keine sexuellen Dienstleistungen.
- Härtefälle können individuell geprüft und abweichend entschieden werden.
- Für Bedarfsgemeinschaften sind Partnerkarten möglich, wenn eine schriftliche Vollmacht vorliegt.
II.
Politischer Weg zur Einführung der
Bezahlkarte
1. („Alte“) Bundesregierung /
Ministerpräsidentenkonferenz
Die Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge ist das Ergebnis eines mehrstufigen politischen Prozesses. Auf Bundesebene wurde das Thema zunächst in der Ministerpräsidentenkonferenz 2023 behandelt. Im November 2023 beschlossen die Ministerpräsidentinnen und –präsidenten aller Bundesländer, die Bezahlkarte als Instrument in das Asylbewerberleistungsgesetz aufzunehmen, die gesetzliche Änderungen erfolgte 1. März 2024, die Zustimmung des Bundesrates am 26. April 2024.
Die „alte“ Bundesregierung initiierte die gesetzlichen Grundlagen, die im Kabinett beschlossen und später vom Bundestag verabschiedet wurden. Der Bundesrat stimmte diesen Änderungen am 26. April 2024 zu.
2. Landesrechtliche Umsetzung in NRW:
In Nordrhein-Westfalen folgte die landdesgesetzliche Umsetzung durch die Verordnung zur flächendeckenden Einführung einer Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz (Bezahlkartenverordnung NRW – BKV NRW) durch das Landesministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI). Diese Verordnung trat am 7. Januar 2025 in Kraft und legte den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Bezahlkarte in den Kommunen fest.
Durch diese Rechtsverordnung ist die Einführung der Bezahlkarte grundsätzlich verpflichtend und flächendeckend für Nordrhein-Westfalen geregelt worden.
In NRW wurde mit
der sog. Opt-Out-Regelung (§ 4 der Bezahlkartenverordnung) für die Kommunen die
Möglichkeit geschaffen, die bisherige Auszahlungspraxis fortzusetzen. Soll vom
gesetzlichen Regelfall abgesehen werden, wäre ein Beschluss des Rates erforderlich.
Wird kein aktiver
Beschluss zur Opt-Out-Regelung gefasst, ist die Bezahlkarte bis zum 31.12.2025
einzuführen, was aktuell grundsätzlich von der Verwaltung vorbereitet wird.
Die Einführung der
Bezahlkarte nur für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Altfälle bleiben,
Neufälle erhalten nur noch die Bezahlkarte) ist ausgeschlossen. Es gilt das
Prinzip „ganz oder gar nicht“.
3.
Kritik insbesondere an der sog.
Opt-Out-Regelung in NRW
Die
Landesregierung hat diese Regelung mit dem Hinweis auf die Kommunale
Selbstverwaltung positiv beschrieben, diese Ausnahmeregelung ist dennoch auf
deutliche Kritik des StGB NRW und der „kommunalen Familie“ gestoßen, weil ein
„Flickenteppich“ befürchtet wird. Zur Vertiefung die Pressemitteilung des StGB
NW:
Zwar sollen den
Kommunen bei „Nutzung“ der Opt-Out-Regelung keine Nachteile entstehen, sollte
die Bezahlkarte zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt werden. Der befürchtete
„Flickenteppich“ ist aber aktuell in NRW und im Kreis Steinfurt bereits
Realität.
4. Wesentliche Ziele bzw. Vorteile der
Einführung der Bezahlkarte:
Die Einführung der
Bezahlkarte für Flüchtlinge verfolgt mehrere zentrale Ziele bzw. soll diese
verfolgen:
·
Vermeidung
von Bargeldabflüssen ins Ausland: Asylbewerber können keine Überweisungen ins
Ausland tätigen, was Geldtransfers in Herkunftsländer verhindert.
·
Eindämmung
illegaler Geldtransfers: Die Nutzung der Bezahlkarte verhindert, dass Gelder
durch Schleusernetzwerke ins Ausland gelangen.
·
Im
Ergebnis soll so die irreguläre Migration erschwert werden. Seitens des Bundes
und auch der Länder verbindet sich damit auch die Erwartung, kriminelle
Strukturen durch Schleuserbanden zu zerschlagen, da der Bargeldtransfer ins
Ausland durch die Bezahlkarte verhindert wird.
·
Transparenz
der Leistungsausgaben: Alle Transaktionen sind nachvollziehbar, Rückbuchungen
sind bei Ausreisen möglich.
·
Schutz
vor missbräuchlicher Nutzung: Die Karte ist auf bestimmte Nutzungsmöglichkeiten
beschränkt (kein Glücksspiel, keine Überweisungen ins Ausland, keine Nutzung
für sexuelle Dienstleistungen).
·
Kostensenkung
für Kommunen: Rückbuchung nicht genutzter Gelder bei Abreise, Erstattung der
Kartendienstleisterkosten durch das Land.
Ferner werden weitere Ziele/Vorteile
benannt, die aus Sicht der Verwaltung aber zu relativieren sind, weil die
Abwicklung bereits jetzt in den allermeisten Fällen bargeldlos erfolgt:
·
Verwaltungsvereinfachung:
Die Bezahlkarte ersetzt Bargeldzahlungen, entlastet die Verwaltung und
reduziert den Aufwand für Bargeldauszahlungen.
·
Förderung
der Eigenverantwortung: Flüchtlinge erhalten eine eigene Zahlungskarte und
erlernen den bargeldlosen Zahlungsverkehr.
·
Sicherheit
für Empfänger: Das Risiko von Diebstahl und Verlust von Bargeld wird minimiert.
·
Effiziente
Verteilung der Sozialleistungen: Guthaben können direkt überwiesen werden, auch
an Neuzuweisungen aus Landeseinrichtungen.
5.
Wesentliche Nachteile
- komplette Neuerfassung sämtlicher erforderlicher Daten auf der
Zahlkartenplattform für Bestandsfälle. Die Frist zur Umstellung der
Leistungen für „Analogleistungs-berechtigte“ wurde u.a. aufgrund hoher
Komplexität auf technischer und organisatorischer Seite auf den 31.12.2027
verlängert
- erheblicher Beratungsbedarf der Hilfeempfänger, sowohl bei der
Erstausgabe als auch im lfd. Betrieb zu Einsatzmöglichkeiten der Karte und
zum Verfahren; Änderungen bei den Stammdaten (z.B. Adressänderungen) oder
Kartensperrungen bei Verlust oder falscher PIN-Eingabe sind von der
Leistungsbehörde vorzunehmen
- die Bargeldgrenze von 50 €/Monat ist jeweils individuell nach
Ermessen zu prüfen und festzulegen
- Zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Anwendungshinweise ist die
Pilotphase in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes noch nicht
abgeschlossen, so dass Umstellungsprobleme derzeit noch nicht benannt,
bekannt oder gelöst sind. Zusätzlicher Verwaltungsaufwand ist zu
befürchten.
- die Karte soll künftig auch Überweisungen durch die Hilfeempfänger
ermöglichen; Seitens des Landes ist noch keine Entscheidung gefallen,
welches Verfahren hierbei eingesetzt werden soll. Zur Debatte stehen
entweder das „White-List“ oder das „Black-List“ Verfahren. Bei der
„White-List“ ist durch die Sachbearbeitung individuell jede IBAN zu
erfassen, auf die eine Überweisung zugelassen werden soll. Bei der
„Black-List“ ist umgekehrt jede IBAN zu erfassen, auf die keine
Überweisungen möglich sein soll. Unabhängig welches Verfahren eingeführt
wird, werden hierdurch erhebliche laufende Datenerfassungen mit
dazugehörigen Vorsprachen erforderlich.
- vorhandene Konten (bei nahezu allen Hilfeempfängern vorhanden)
müssen durch die Hilfeempfänger gekündigt werden, um laufende Kosten zu
vermeiden. Vorhandene Daueraufträge laufen ggf. ins Leere, Mahnungen etc.
sind abzusehen.
- in bestimmten Konstellationen können Personen die Leistungen nach
einer gewissen Zeit unabhängig von der Bezahlkarte erbracht werden. z.B.
bei Arbeitsaufnahmen. Bei einem erfahrungsgemäß hohen Anteil an
Stellenwechslern ist hier ist mit einem ständigen hin und her (Karte oder
nicht) zu rechnen.
- Im Fall von Arbeitsaufnahmen ist erneut eine Kontoeröffnung
erforderlich, da ansonsten keine Gehaltszahlungen möglich sind. Bei
Arbeitsaufnahme oder Verlust des Aufenthaltstitels müssen Betroffene
möglicherweise zwischen Konto und Bezahlkarte wechseln.
- Wenn für den Abschluss von Verträgen eine Kontonummer zu benennen
ist (z.B. bei Handyverträgen), kann der Abschluss solcher Verträge
erschwert /Beratungsbedarf)
- absehbarer Aufwand bei gemischten Bedarfsgemeinschaften (Alg 1;
Bürgergeld, AsylbLG, Sozialhilfe)
- Probleme bei Rechtskreiswechsel (z.B. Verlust einer
Aufenthaltserlaubnis); die Personen sind seit Jahren im Besitz eines
Kontos incl. aller Zahlverbindungen. Dies alles müsste bei Wechsel ins
AsylbLG abgekündigt werden.
III.
Stand des Verfahrens in NRW
Das Land
Nordrhein-Westfalen hat sich zusammen mit 13 weiteren Bundesländern an der
länderübergreifenden Ausschreibung einer Bezahlkarte beteiligt. Eine
Unternehmenskoope-ration verschiedener Zahlungsanbieter hat mit der SocialCard
das gemeinsame Ausschreibungsverfahren der 14 Bundesländer zur Einführung eines
Bezahlkartensystems für Geflüchtete für sich entschieden.
Die SocialCard
basiert auf einer herkömmlichen Visa-Debitkarte und wird auf Guthabenbasis
geführt. Sie kann in digitaler Form für das Smartphone oder als physische Karte
ausgestellt werden. Behörden können Sozialleistungen per SEPA-Überweisung der
Karte gutschreiben. Echtzeit-Aufladungen sind nur in Notsituationen möglich.
Grundsätzlich sind technische Schnittstellen zwischen dem Social-Card-Navigator
und Fachanwendungen möglich. Die Bereitstellung der Schnittstelle des
SocialCard-Navigator erfolgt zentral durch das Land/den Länderkreis und wird
durch das Land/die Länder finanziert. Anpassungsbedarfe von
Fachverfahrensherstellern sind durch die jeweilige Bedarfsstelle
eigenverantwortlich zu regeln und finanzieren. Das Land erstattet lediglich die
Kosten des Dienstleisters, die den Kommunen aus der Teilnahme entstehen. Dafür
wird zwischen jeder Kommune und Bezirksregierung eine Verwaltungsvereinbarung
abgeschlossen.
Derzeit erfolgt
landesweit der Roll-Out der Bezahlkarte in den Landeseinrichtungen als
Probe-betrieb.
Das Land hat eine
Abfrage bei den Kommunen gestartet, um einen Überblick zu erhalten, welche
Kommunen vom gesetzlichen Regelfall abweichen wollen und welche Kommunen die
Bezahlkarte einführen wollen. Die Verwaltung geht von der Einführung der
Bezahlkarte aus und bereitet sich darauf vor.
Aktuell bestehen
auch noch viele offene Fragen für die Kommunen und auch Nachteile bei einer
(zügigen) Einführung der Bezahlkarte, da damit ein erheblicher bürokratischer
Aufwand verbunden ist. Es besteht aber die Hoffnung, dass wesentliche
Fragestellungen rechtzeitig geklärt werden.
IV.
Fazit:
Die Verwaltung erkennt den
breiten gesetzgeberischen Konsens auf Bundes- und Landesebene zur Einführung
der Bezahlkarte an. Sowohl die Bundesregierung als auch das Land
Nordrhein-Westfalen haben die Bezahlkarte als zentrales Instrument zur
Steuerung und Kontrolle der Sozialleistungen für Flüchtlinge beschlossen. Damit
ist eine klare Erwartungshaltung geschaffen worden, die auch die Kommunen
betrifft.
Gleichzeitig sieht die
Verwaltung die Umsetzung in Nordrhein-Westfalen kritisch. Die Opt-Out-Regelung
führt zu einem „Flickenteppich“ unterschiedlicher Regelungen, der sowohl für
die Hilfesuchenden als auch für die Verwaltung zu Unsicherheiten und einem
erhöhten Verwaltungsaufwand führt. Ein einheitliches Vorgehen im Kreis
Steinfurt ist derzeit nicht absehbar.
Ungeachtet dieser
Schwierigkeiten hält die Stadt Rheine an der Einführung der Bezahlkarte fest.
Ziel ist es, die Karte einzuführen, sobald die Ergebnisse der Pilotphase
ausgewertet und noch offene Fragen geklärt sind. Die Verwaltung erwartet vom
Land konkrete Antworten und Unterstützung, insbesondere zur Reduzierung des
bürokratischen Aufwands und zur technischen Anbindung.
Die Stadt Rheine
wird den Prozess intensiv weiterverfolgen, um eine möglichst reibungslose Einführung
zu gewährleisten. Der Fokus liegt dabei auf einer gründlichen Vorbereitung, der
Minimierung der Nachteile und der Nutzung der Erfahrungen anderer Kommunen.
Ob und in welchem
Umfang zusätzliches Personal für die Einführung der Bezahlkarte erforderlich
ist, kann erst nach Abschluss der Pilotphase und auf Basis der Erfahrungen
anderer Kommunen realistisch eingeschätzt werden.