Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Beschlussvorschlag des gemeinsamen Antrages der SPD-Fraktionen und Bündnis 90/Die Grünen
vom 18.5.2025:
Der
Sozialausschuss empfiehlt dem Rat der Stadt Rheine die Einführung einer
Bezahlkarte abzulehnen. Die Verwaltung wird beauftragt, die bisherige Praxis
der Leistungsauszahlung beizubehalten und von der sog. „Opt-Out-Regelung“
Gebrauch zu machen.
Beschlussvorschlag des Antrages der Fraktion DIE LINKE vom 24.6.2025:
Der Rat der
Stadt Rheine verzichtet auf die Einführung einer Bezahlkarte
für
Flüchtlinge und wird von der OPT-OUT Regelung Gebrauch machen,
so dass die
bisherige Praxis der Leistungsauszahlung beibehalten wird.
Beschlussvorschlag des Integrationsrates:
Der Rat macht
auf Empfehlung des Integrationsrates aus unterschiedlichen Gründen von der sog.
Opt-Out-Regelung gemäß 4 der Bezahlkartenverordnung NRW Gebrauch und
beschließt, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs-gesetz im
Regelfall nicht in Form der Bezahlkarte erbracht werden.
Beschlussvorschlag der Verwaltung:
1.
Der Rat
nimmt die Ausführungen zur Bezahlkarte im Bereich des
Asylbewerberleistungsgesetzes zur Kenntnis (Vorlagen 148/25, 148/25/1 und
148/25/2).
2.
Der Rat
nimmt die Beschlussempfehlungen des Sozialausschusses und des Integrationsrates
zur Kenntnis.
3.
Der Rat
lehnt den gemeinsamen Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vom 18.5.2025 und den Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 24.6.2025 ab.
4.
Der Rat
nimmt zur Kenntnis, dass die Bezahlkarte für die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
berechtigten Personen nach Abschluss und Auswertung der Pilotphase durch das
Land NRW von der Verwaltung eingeführt werden soll, die damit den gesetzlichen
Regelfall umsetzt.
Begründung:
I.
Ausgangslage
und Zielsetzung
Mit der Bezahlkartenverordnung NRW vom 7. Januar 2025 hat das Land den gesetzlichen Regelfall geschaffen, dass Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) grundsätzlich bargeldlos über eine Bezahlkarte zu gewähren sind. Nur bei aktivem Ratsbeschluss im Rahmen der sogenannten „Opt-Out-Regelung“ können Kommunen hiervon abweichen. Auf die Ursprungsvorlage für den Sozialausschuss 148/25 wird verweisen.
Mit der Vorlage für den Rat 148/25/1 wurde das bisherige Verfahren, die Beratung im Sozialausschuss sowie im Integrationsrat, im Ergebnis beschrieben und dargestellt, dass die Verwaltung bei ihrer Haltung bleibt.
Mit der Vorlage 148/25/1 wurden auch der gemeinsame Antrag von SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 18.5.2025 sowie der Antrag der Fraktion Die Linken vom 24.6.2025 mit der Ratsvorlage zur Verfügung gestellt.
Mit dieser Vorlage
148/25/2 werden die vorausgegangenen Vorlagen ergänzt. In diesen Vorlagen
wurden aus Gründen der Transparenz auch die Nachteile der Bezahlkarte
beschrieben. Es werden zunächst die benannten Nachteile eingeordnet. Siehe dazu
die Ausführungen unter: II. Vertiefende Bewertung der in der
Vorlage 148/25 genannten Nachteile.
Danach erfolgt auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit
den in den Fraktionsanträgen genannten Argumenten. Siehe dazu: II. Erwiderung der Verwaltung zu den
Fraktionsanträgen.
II. Vertiefende Bewertung der in der Vorlage
148/25 genannten Nachteile
1. Neuerfassung aller Daten für
Bestandsfälle
Ja, die Umstellung ist einmalig aufwändig – wie jede Systemumstellung. Dafür entsteht aber eine einheitliche, transparente Plattform, die langfristig weniger Pflegeaufwand erzeugt als heterogene Auszahlungslösungen mit Einzelvereinbarungen. Außerdem gibt es eine lange Übergangsfrist bis 2027, um diese Erfassung ohne Überlastung durchzuführen.
2. Erheblicher
Beratungsbedarf bei Erstausgabe und laufender Nutzung
Das ist bei jeder leistungsbezogenen Neuerung so. Schon die Einführung des Bürgergelds bedeutete Schulungs- und Beratungsaufwand. Langfristig entsteht dafür ein geringerer Beratungsaufwand durch vereinheitlichte Prozesse und klar abgegrenzte Nutzungsmöglichkeiten.
3. Individuelle
Prüfung der 50 €-Bargeldgrenze, zu erwartende
Widersprüche
Die Einzelfallprüfung ist eine notwendige Ausgestaltung, kein Systemfehler. Sie entspricht dem Prinzip der Ermessensausübung nach Lebenssachverhalt – gängige Praxis in fast allen Bereichen des SGB. Widersprüche gehören zur Rechtsstaatlichkeit und belegen nicht eine Fehlplanung.
4. Schulungsbedarf
beim Personal
Auch das ist eine typische Begleiterscheinung jeder digitalen Neuausrichtung. Aus Sicht der Verwaltung ist es kein Grund, an der Maßnahme selbst zu zweifeln. Schulungen werden zentral vorbereitet und landesweit abgestimmt, der Aufwand lässt sich also teilen.
5. Stadt geht für
Dienstleisterkosten in Vorleistung
Diese Vorfinanzierung ist unproblematisch, da die Rückerstattung durch das Land klar geregelt ist. Das betrifft einmalige Beträge, die im Verhältnis zur Steuerungswirkung vernachlässigbar sind.
6. Kosten für
Schnittstellenanbindung trägt allein die Stadt
Es handelt sich um einen einmaligen Implementierungsaufwand für langfristig stabile Technik. Die Stadt trägt regelmäßig Kosten für digitale Verwaltungsmodernisierung und deshalb auch hier, wo es ja sogar um eine gezielte Mittelverwendung geht.
7. Pilotierung noch
nicht abgeschlossen, Probleme nicht absehbar
Gerade deshalb wird erst zum Ende der Pilotphase eingeführt und nach Auswertung durch das Land. Es handelt sich also nicht um ein Argument gegen die Maßnahme, sondern für einen klugen Einführungszeitpunkt.
8. Unklarheit beim
Überweisungsverfahren (White-/Black-List)
Beide Verfahren sind technisch lösbar – entscheidend ist, dass Steuerungsfähigkeit über den Geldfluss erhalten bleibt. Der administrative Aufwand ist real, aber: Wenn man zwischen Geldtransfer ins Ausland oder nicht unterscheiden will, muss man irgendwo differenzieren.
9. Kosten für
Bargeldabhebungen an Automaten
Diese Kosten entstehen auch heute bei Kontoauszahlungen. Die 50 € Bargeldgrenze dient dazu, die Abhebung zur Ausnahme zu machen – und nicht zum Regelfall. Wer mehr Bargeld braucht, bekommt es im Ausnahmefall – aber nicht automatisch.
10. Kontenkündigungen
durch Hilfeempfänger, Risiken bei Daueraufträgen
Einmaliger Verwaltungsaufwand – aber: Wer dauerhaft im Leistungsbezug bleibt, braucht kein eigenes Konto mit laufenden Verpflichtungen, solange die Leistungen kartengebunden gewährt werden. Der Verwaltungsaufwand durch Dauerauftragsmissbrauch wäre ohne Karte größer.
11. Hin und Her bei
Stellenwechseln – Konto oder Karte?
Ja, es wird Fälle geben, in denen gewechselt werden muss. Aber: Wer arbeitet, bekommt kein AsylbLG mehr, sondern tritt in reguläre Rechtskreise ein – die Umstellung wäre sowieso notwendig. Das „Hin und Her“ ist ein Abbild der Lebensrealität – keine Schwäche der Karte.
12. Kontoeröffnung
bei Arbeitsaufnahme zwingend – Doppelstrukturen
Richtig – aber diese Doppelstruktur ist in jedem Fall gegeben, wenn der Rechtskreis wechselt. Die Alternative wäre, Leistungsberechtigte permanent mit einem regulären Konto auszustatten, auch wenn sie keinen Bleibestatus haben. Das ist aus Sicht der Verwaltung auch nicht zielführend.
13.
Vertragsabschlüsse (z. B. Handy) erschwert durch fehlende Kontonummer
Die Bezahlkarte kann in digitaler Form als Visa-Debitkarte genutzt werden (mit virtueller IBAN). Außerdem: Vertragsabschlüsse sind kein Grundrecht im Rahmen von Sozialleistungen. Wer eine Aufenthaltsperspektive hat, bekommt ein Konto und kann dann auch Verträge abschließen.
14. Probleme bei
Umtausch/Rückgabe von Waren
Das betrifft nicht die Karte, sondern den Einzelhandel. Es ist eine systemische Herausforderung, die auch bei Kreditkarten auf Guthabenbasis besteht. Auch hier können Härtefallregelungen greifen. Zudem ist Rückzahlung auf Karte technisch machbar – es muss nur eingeführt werden.
15. Gemischte
Bedarfsgemeinschaften (Alg1/Bürgergeld/AsylbLG)
Diese Konstellationen erfordern auch ohne Bezahlkarte eine differenzierte Auszahlung. Die Karte verschärft nichts – sie macht nur sichtbar, was bisher im Verwaltungsvollzug versteckt lief. Klare Trennung der Leistungssysteme ist keine Diskriminierung, sondern Verfassungsnotwendigkeit.
16. Probleme beim
Rechtskreiswechsel
Jeder Rechtskreiswechsel bringt eine (verwaltungs-)technische Umstellung mit sich. Dass Kontoverbindungen angepasst werden müssen, ist kein Schaden, sondern Konsequenz eines Wechsels zwischen Rechtsgrundlagen.
Schlussfolgerung:
Jeder dieser „Nachteile“ ist entweder ein einmaliger Einführungsaufwand, ein bereits bekanntes Problem anderer Leistungsbereiche oder ein notwendiger Bestandteil differenzierter Sozialverwaltung. Sollten sich aus der Auswertung des Landes zur Pilotphase keine KO-Kriterien ergeben, kann die Bezahlkarte aus Sicht der Verwaltung eingeführt werden.
III. Erwiderung der
Verwaltung zu den Fraktionsanträgen.
Die Bezahlkarte verfolgt mehrere Ziele:
§ zweckgebundene Auszahlung staatlicher Leistungen,
§ Erschwerung von missbräuchlicher Mittelverwendung,
§ administrative Vereinfachung und digitale Abwicklung,
§ einheitlichere Praxis auf Landesebene,
§ und ein Beitrag zur glaubwürdigen Migrationssteuerung.
Die Einführung ist daher kein rein technisches Projekt, sondern ein ordnungspolitischer Schritt mit verwaltungspraktischer und gesellschaftlicher Relevanz.
1. Einordnung
und Entgegnung zentraler Gegenargumente
a) Verwaltungsaufwand und Personalkapazität
Einmalige Umstellungen, Schulungen und technische Einbindungen verursachen Aufwand – das ist unbestritten. Dieser Aufwand ist jedoch begrenzt, temporär und mittelfristig durch Effizienzgewinne kompensierbar. Die von der Stadt Marl genannte Belastung von 30 Minuten pro Person und Monat ist nicht dauerhaft belastbar, sondern ein Hochlaufwert aus der Pilotphase. Zur Zeit gibt es keine belastbaren Berechnungen. Die Verwaltung wird durch Priorisierung versuchen, die Einführung mit dem bestehenden Personalkörper zu bewerkstelligen. Andere Implementierungen haben gezeigt, dass die Verwaltung flexibel genug ist, um auch größere Projekte umzusetzen und auf Gesetzesänderungen zu reagieren (siehe Grundsteuer-B-Reform).
b) Technische und datenschutzrechtliche Bedenken
Die Karte wird in mehreren Pilotkommunen auch außerhalb von NRW (z. B. im Kreis Greiz, Hof, Passau) bereits erfolgreich eingesetzt. Datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen sind durch die landesseitige IT-Architektur sichergestellt bzw. müssen noch sichergestellt werden. Eine Einführung in Rheine erfolgt erst nach Abschluss der Pilotphase und auf Grundlage geprüfter Standards.
c) Menschenwürde und Teilhabe
Die Einführung der Bezahlkarte verletzt nicht das Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), da das Existenzminimum vollständig gewährt wird – lediglich in einer technisch beschränkten Auszahlungsform. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) ausdrücklich klargestellt:
„Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden. Der Gesetzgeber hat dabei Gestaltungsspielräume insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung und Form der Leistungen, soweit das Existenzminimum in jedem Fall gedeckt ist.“
(BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 135)
Die Bezahlkarte modifiziert nicht das Niveau, sondern die Verfügbarkeit der Leistungen: Sie wird als zweckgebundene Geldleistung mittels einer technischen Begrenzung der Nutzungsmöglichkeiten gewährt (etwa keine Auslandsüberweisungen, Bargeldlimit, Zahlung nur bei autorisierten Akzeptanzstellen). Eine solche Modifikation ist rechtlich zulässig – solange das soziokulturelle Existenzminimum weiterhin erreichbar bleibt, was nach der geltenden Ausgestaltung der Fall ist.
Auch das Asylbewerberleistungsgesetz selbst sieht in § 3 Abs. 1 die Möglichkeit vor, Leistungen in Form von Sach- oder zweckgebundenen Geldleistungen zu erbringen. Die Bezahlkarte ist daher keine rechtliche Grenzüberschreitung, sondern ein systemkonformer Mechanismus innerhalb des bestehenden Sozialrechts.
Die Berufung auf die Menschenwürde ist unbestritten legitim, doch sie muss differenziert, rechtlich fundiert und sachlich argumentiert erfolgen. In der aktuellen Debatte wird der Begriff zunehmend inflationär verwendet, ohne zwischen tatsächlicher Würdeverletzung und zulässiger Leistungsgestaltung zu unterscheiden.
Wer der Bezahlkarte eine Würdeverletzung unterstellt, müsste aus Gründen der Konsistenz auch alle bestehenden Zweckbindungen im Sozialrecht infrage stellen – etwa Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen, Bildungsgutscheine, Unterkunftspflicht oder Gutscheinmodelle. Doch diese werden weder gesellschaftlich geächtet noch verfassungsrechtlich beanstandet. Der Grund liegt auf der Hand: Zweckbindung ist kein Entzug von Würde, sie ist vielmehr Ausdruck verantwortungsvoller Mittelverwendung.
d) Stigmatisierung
Die Karte betrifft nur Personen im AsylbLG – also solche ohne gesicherten Aufenthalt. Es ist verfassungsrechtlich zulässig, unterschiedliche Leistungssysteme unterschiedlich auszugestalten. Eine sachliche Differenzierung ist keine Diskriminierung. Diskriminierend wäre es, unterschiedliche Kontexte gleich zu behandeln.
e) Bargeldnutzung im Alltag
Die Landesregelung sieht eine monatliche Bargeldkomponente von 50 € vor. Härtefallregelungen sind möglich. Viele Alltagsausgaben (Supermarkt, Nahverkehr, Onlinekauf) sind bargeldlos abbildbar. Zudem wird Bargeld heute auch bei Überweisungen regelmäßig bar abgehoben. Der Zugang zu Bargeld bleibt also erhalten – in kontrolliertem Maß.
f) Sozialgerichtliche Entscheidungen
Die Eilentscheidungen der Sozialgerichte Hamburg (S 7 AY 410/24 ER) und Nürnberg (S 11 AY 15/24 ER, S 11 AY 18/24 ER) richten sich nicht gegen die Bezahlkarte als solche, sondern gegen die fehlende Ausübung von Ermessen bei der Festsetzung der Bargeldkomponente. Diese Entscheidungen zeigen, dass nicht das System, sondern die Umsetzung zu beanstanden war. Die Stadt Rheine wird in jedem Fall eine ermessensgeleitete Prüfung vornehmen – das ist Teil des Verwaltungsalltags im AsylbLG. Im Übrigen hat das LSG Hamburg[1] diese Entscheidungen bereits aufgehoben und auf das Hauptsacheverfahren verwiesen.
g) Förderung von Eigenverantwortung und Erwerbsintegration
Die Bezahlkarte kann als begleitender Baustein einen realistischen Anreiz zur Aufnahme legaler Erwerbstätigkeit setzen. Dies ist integrationspolitisch erwünscht – und rechtlich zulässig. Denn mit dem Wechsel in eine versicherungspflichtige Beschäftigung entfällt in der Regel die Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG); es greift dann das SGB II oder SGB III – und damit die Rückkehr zu einem regulären Girokonto sowie uneingeschränkten finanziellen Handlungsmöglichkeiten.
Voraussetzung hierfür ist eine rechtlich zulässige Beschäftigungsaufnahme. Die arbeitsrechtliche Lage stellt sich wie folgt dar:
§ Während der ersten drei Monate nach Asylantragstellung besteht ein generelles Arbeitsverbot (§ 61 Abs. 1 S. 1 AsylG).
§ Nach Ablauf dieser Frist kann eine Beschäftigung aufgenommen werden, sofern die Ausländerbehörde zustimmt – in vielen Fällen ist zusätzlich die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich (§ 61 Abs. 1 S. 2 AsylG).
§ Die Zustimmung erfolgt unter dem Vorbehalt, dass keine bevorrechtigten Bewerber/-innen (z. B. deutsche oder EU-Bürger/-innen) zur Verfügung stehen.
§ In bestimmten Konstellationen – etwa bei Personen mit einem „offensichtlich unbegründeten“ Asylantrag oder bei Duldung mit Arbeitsverbot – bleibt der Zugang eingeschränkt oder ausgeschlossen.
Trotz dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen ist ein erheblicher Teil der Personen, die dem AsylbLG unterfallen, arbeitsmarktfähig und formal zugangsberechtigt – je nach Aufenthaltsdauer, Herkunftsstaat und Einzelfall.
Die Aussicht, durch Aufnahme einer Arbeit nicht nur den Lebensunterhalt selbst zu sichern, sondern auch wieder Zugang zu einem regulären Kontosystem, Vertragsfreiheit und voller finanzieller Autonomie zu erhalten, kann motivierend wirken. Dieser Effekt ist sozialpolitisch erwünscht: Erwerbstätigkeit fördert Spracherwerb, Tagesstruktur, Selbstwirksamkeit und gesellschaftliche Teilhabe und fördert die gesellschaftliche Akzeptanz. Erwerbstätigkeit wirkt integrationsstärkend und stabilisierend.
Die Bezahlkarte schafft daher nicht nur Verwaltungstransparenz, sondern für eine bestimmte Gruppe auch eine klare Perspektive für Integration über Arbeit – ohne Zwang, aber mit Wirkung.
2. Positive Effekte der Bezahlkarte – Hinweise auf Wirksamkeit
a) Freiwillige Ausreisen steigen
§ In Bayern stieg die Zahl freiwilliger Ausreisen im ersten Quartal 2025 auf rund 1.200 – ein Zuwachs, der mit der Einführung der Bezahlkarte in Verbindung gebracht wird[2].
§ In Brandenburg wurde eine Verdopplung der freiwilligen Rückreisen gemeldet[3].
§ Der Landkreis Greiz (Thüringen) meldete einen Anstieg um 28 %[4].
§ Regionen mit weniger restriktiven Kartenregelungen verzeichneten dagegen stagnierende oder sinkende Ausreisezahlen[5].
b) Rückgang grenzüberschreitender Überweisungen
§ Die Karte erschwert Auslandsüberweisungen durch IBAN-Whitelist oder -Blacklist-Systeme.
§ Bargeldtransfers an Dritte – etwa an Schleuser oder Verwandte – werden eingeschränkt[6].
c) Reduktion sogenannter „Pull-Faktoren“
Die Karte entzieht wirtschaftlich motivierter Migration einen Teil der Anreizstruktur. Dies wird auch von mehreren Landesregierungen ausdrücklich als Ziel benannt².
Die wissenschaftliche Diskussion betont zwar, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Niveau staatlicher Sozialleistungen und irregulärer Migration bisher nicht abschließend belegt sei. Auch das DeZIM-Institut verweist darauf, dass der Einfluss einzelner Leistungsarten auf Migrationsentscheidungen schwer quantifizierbar sei.
Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass sozialpolitische Maßnahmen wie die Bezahlkarte keine Wirkung entfalten – im Gegenteil:
Die Plausibilität liegt auf der Hand: Wer sich (etwa aus sicheren Drittstaaten) auf den Weg macht, wägt auch Lebenshaltung und Unterstützungsmöglichkeiten im Zielstaat mit ab. Der Zugang zu frei verwendbarem Bargeld oder übertragbaren Leistungen kann Teil dieser Überlegungen sein – gerade wenn keine gesicherte Bleibeperspektive besteht.
Erste Verhaltensdaten (z. B. Anstieg freiwilliger Ausreisen in mehreren Bundesländern) liefern empirische Indizien für eine Wirkung, auch ohne wissenschaftlich vollzogene Kausalitätskette.
Politische Entscheidungsprozesse orientieren sich in vielen Feldern an Wirkungserwartungen, die sich aus Erfahrungen, Vergleichen oder internationaler Praxis ergeben – auch dies ist hier der Fall. Andere Staaten wie Dänemark oder Frankreich setzen bereits auf vergleichbare Instrumente zur Eindämmung irregulärer Zuwanderung in Sozialsysteme.
Schließlich ist es keine Voraussetzung einer rechtmäßigen politischen Maßnahme, dass sie in wissenschaftlich eindeutiger Weise „bewiesen“ ist. Vielmehr genügt eine sachlich vertretbare, empirisch gestützte Wirkungserwartung.
Auch ohne abschließenden Beleg wirkt die Bezahlkarte – als verhaltenssteuerndes Instrument, als Zeichen für Systemkohärenz und als Maßnahme zur Sicherung zielgerichteter Sozialleistungsausgaben. Die politische Verantwortung verlangt, auf Indizien und Erfahrungen zu reagieren, nicht auf wissenschaftliches Endurteil zu warten.
Die Verwaltung bestreitet nicht, dass die Langzeitwirkung noch nicht abschließend empirisch belegt ist, was bei einem bundesweit neuen Instrument auch nicht zu erwarten ist. Studien wie jene des DeZIM-Instituts⁴ weisen auf mögliche integrationshemmende Nebenwirkungen hin. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren die Maßnahme als Symbolpolitik⁵.
Aber: Aus Sicht der Verwaltung ist es legitim, politische Steuerung auf nachvollziehbare Indikatoren zu stützen, solange dies rechtsstaatlich, verhältnismäßig und empirisch plausibel geschieht. Genau das ist bei der Bezahlkarte der Fall.
3. Schlussfolgerung
Die Bezahlkarte ist kein Allheilmittel – aber auch kein Symbolprojekt. Sie ist ein praktikables, rechtssicheres Instrument, um kommunale Leistungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes zielgerichtet, transparent und steuerbar zu gestalten.
Sie schafft Klarheit bei der Mittelverwendung, kann die Verwaltung erleichtern, senkt Fehlanreize – und macht damit ein stark beanspruchtes System wieder handlungsfähig.
Die Stadt Rheine sollte nicht aus dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall ausscheren, ohne belastbare Vorteile benennen zu können. Ein solcher Schrittwäre zumindest politisch widersprüchlich und würde ein wichtiges Steuerungssignal ungenutzt lassen.
Die Bezahlkarte ist kein Instrument der Abschottung, sondern eines der Differenzierung:
§ Wer schutzbedürftig ist, wird weiter verlässlich unterstützt.
§ Wer keine Bleibeperspektive hat, erhält ein klares, aber faires Signal:
Das System hilft – aber es ist nicht grenzenlos offen.
Gerade diese Differenzierung fördert Akzeptanz:
§ bei der Bevölkerung,
§ in der Verwaltung,
§ und bei den Geflüchteten selbst, die auf ein verlässliches, glaubwürdiges und klar strukturiertes Unterstützungssystem angewiesen sind.
Die Einführung der Bezahlkarte ist deshalb kein Misstrauensvotum gegen Geflüchtete, sondern ein Vertrauensvotum für ein handlungsfähiges Gemeinwesen.
Fußnoten / Quellen:
1. Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 17. September 2024 (L 4 AY 11/24 B ER)
Das LSG Hamburg hat in seinem
Beschluss klargestellt, dass die pauschale Begrenzung der Bargeldverfügung auf
50 € monatlich keinen „wesentlichen Nachteil“ darstellt und damit die
Bezahlkarte als zulässiges Instrument bestätigt.[https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/NJRE001586636]
2. KOMMUNAL.de (13.05.2024):
„Bezahlkarte für Flüchtlinge – Wirkung und Wirklichkeit“
[https://kommunal.de/bezahlkarte-fuer-fluechtlinge-wirkung-und-wirklichkeit]
3. UFU – Unabhängiges Forum
Umwelt (2024): „Bezahlkarte: Zwischen Kontrolle und Digitalisierung“
[https://www.ufu.de/ufu-informationen/bezahlkarte]
4. Mediendienst Integration
(2024): „Die Bezahlkarte könnte nach hinten losgehen“
[https://mediendienst-integration.de/artikel/die-bezahlkarte-koennte-nach-hinten-losgehen.html]
5. DeZIM-Institut (2024):
„Stellungnahme zur Bezahlkarte“
6. Pro Asyl (2024): „Die
lange Liste der Probleme mit der Bezahlkarte“
[https://www.proasyl.de/news/so-laeuft-das-nicht-die-lange-liste-der-probleme-mit-der-bezahlkarte]
[1] Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 17. September 2024 (L 4 AY 11/24 B ER)
Das LSG Hamburg hat in seinem Beschluss klargestellt, dass die pauschale Begrenzung der Bargeldverfügung auf 50 € monatlich keinen „wesentlichen Nachteil“ darstellt und damit die Bezahlkarte als zulässiges Instrument bestätigt.
[2] KOMMUNAL.de (13.05.2024): „Bezahlkarte für Flüchtlinge – Wirkung und Wirklichkeit“
[https://kommunal.de/bezahlkarte-fuer-fluechtlinge-wirkung-und-wirklichkeit]
[3] UFU – Unabhängiges Forum Umwelt (2024): „Bezahlkarte: Zwischen Kontrolle und Digitalisierung“
[https://www.ufu.de/ufu-informationen/bezahlkarte]
[4] Mediendienst Integration (2024): „Die Bezahlkarte könnte
nach hinten losgehen“
[https://mediendienst-integration.de/artikel/die-bezahlkarte-koennte-nach-hinten-losgehen.html]
[5] DeZIM-Institut (2024): „Stellungnahme zur Bezahlkarte“
[https://www.dezim-institut.de/publikationen/publikation-detail/stellungnahme-wissenschaftliche-einschaetzung-der-bezahlkarte-fuer-gefluechtete]
[6] Pro Asyl (2024): „Die lange Liste der Probleme mit der
Bezahlkarte“
[https://www.proasyl.de/news/so-laeuft-das-nicht-die-lange-liste-der-probleme-mit-der-bezahlkarte]
Anlagen
Anlage 1: Gemeinsamer Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Anlage 2: Antrag der Fraktion DIE LINKE