Betreff
Lern- und Lebensraum Schule
Vorlage
400/23
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Schulausschuss und der Jugendhilfeausschuss

 

1.                  nehmen das Element der multifunktionalen Raumnutzung von Schulräumen zur Abbildung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz zur Kenntnis und beauftragen die Verwaltung, im Rahmen des beschlossenen Musterraumprogramms ein Konzept „Schulbetreuung im Primarbereich“ zu entwickeln.

 

2.                  beauftragen die Verwaltung, ein Konzept für die Qualitätsentwicklung in Form eines Qualitätsdialoges in Bezug auf Betreuungsangebote zu entwickeln, zu initiieren und im Rahmen des beschriebenen Qualitätsentwicklungsprozesses zur Weiterentwicklung der Offenen Ganztagsschule zu begleiten.

 


Begründung:

 

Bereits in der Sitzung des Schulausschusses am 14.06.2022 stand die Vorlage Nr. 202/22 „Qualitätsdialog Schulbetreuung im Primarbereich“ auf der Tagesordnung. Darauf bezugnehmend sowie in Anlehnung an die Vorlage Nr. 190/23 der gemeinsamen Sitzung Schulausschuss/Jugendhilfeausschuss am 07.06.2023 wird das Thema mit Blick auf den Rechtsanspruch ab 2026 nun weiter vertieft.

 

Auf Grundlage des Erlasses des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder wurde die offene Ganztagsschule in Nordrhein-Westfalen mit Beginn des Schuljahrs 2003/2004 eingeführt. Seither entwickelte sich der Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland schnell und dynamisch. Der offene Ganztag stellt eine pädagogische Betreuung des Schulkindes außerhalb der regulären Schulzeit, bis in den Nachmittag sicher.

Bereits seit einigen Jahren wird die Debatte um die Qualitätsentwicklung in den Offenen Ganztagsschulen (OGS) geführt. Dennoch befindet sich die Qualitätsentwicklung, insbesondere mit dem Blick auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Einschulungsjahrgang 2026/2027, im Auftrag der öffentlichen Jugendhilfe in den Anfängen und bedarf einer Konzeptionierung und Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten.

 

Lern- und Lebensraum Ganztagsschule

 

Gesetzliche Grundlage

„Mit dem Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (Ganztags-förderungsgesetz - GaFöG) vom 2. Oktober 2021 hat die Bundesregierung den Anspruch auf ganztägige Betreuung rechtlich verankert: Ab August 2026 sollen zunächst alle Kinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch darauf haben, ganztägig gefördert zu werden. Der Anspruch soll in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet werden, damit ab August 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen 1 bis 4 einen Anspruch auf ganztägige Betreuung hat. […] Geregelt wird der Rechtsanspruch auf Bundesebene im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII, § 24). Dieser sieht einen Betreuungsumfang von acht Stunden an allen fünf Werktagen vor. Die Unterrichtszeit wird angerechnet. Der Rechtsanspruch soll auch in den Ferien gelten, dabei können Länder eine Schließzeit bis maximal vier Wochen regeln. Eine Pflicht, das Angebot in Anspruch zu nehmen, gibt es nicht.“[1] Damit dies Wirklichkeit werden kann, müssen bis 2026 zusätzliche Plätze geschaffen werden.

 

Ausgangslage

Für die Verwirklichung, Organisation und Ausgestaltung des Rechtsanspruches haben Schulausschuss und Jugendhilfeausschuss die Verwaltung beauftragt, eine Projektgruppe zu bilden, die sich mit den Rahmenbedingungen entsprechend der zukünftigen rechtlichen Vorhaben auseinandersetzt und diese aufarbeitet. Die Projektgruppe hat am 21.09.2023 ihre Arbeit aufgenommen.

 

Innerhalb der ersten Treffen wurde insbesondere die Erarbeitung eines Modellkonzeptes zur Abbildung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung fokussiert und erste Konzept-elemente beleuchtet. Ein Baustein des Konzeptes stellt die multifunktionale Raumnutzung von schulischen Räumen für Ganztagsschulen dar. Das Modellkonzept unterliegt dem Motto „Das Kind steht im Mittelpunkt“ und wird begleitet von den Leitsätzen „Alle Räume sind Bildungsräume“ und „Schule als Lern- und Lebensort“ für Kinder.

 

„Eine Betreuung außerhalb der Schulzeit ermöglicht nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Von einem verlässlichen ganztägigen Betreuungssystem profitieren auch die Grundschulkinder: Hochwertige Betreuungs- und Bildungsangebote am Nachmittag unterstützen sie in ihrer sozialen, emotionalen und körperlichen Entwicklung. Schülerinnen und Schüler können über die Unterrichtszeit hinaus individuell gefördert werden. So lässt sich auch ihre Motivation und ihr Selbstwertgefühl steigern. Das heißt auch: Mit den richtigen Angeboten kann der Bildungserfolg unabhängiger von der sozialen Herkunft gemacht werden. Bessere Bildungs- und Teilhabechancen verbessern somit die Chancengleichheit.“[2]

 

Schon Rudolf Steiner (1861-1925, Begründer der Waldorfpädagogik) hat der Raumgestaltung eine große Rolle für die seelische und geistige Entwicklung von Kindern beigemessen. Räume haben eine ganz eigene Wirkung auf Kinder und ihre Bildungs- und Entwicklungsprozesse. Das Ziel mit Blick auf den Rechtsanspruch ist es, aus Schule einen Lern- und Lebensort zu gestalten, in dem sich alle Beteiligten ganz selbstverständlich gemeinsam als die Offene Ganztagsschule empfinden.

 

Durch die längere Verweildauer der Kinder in der Schule, wird diese mehr und mehr zum Lebensraum der Kinder. So erfordert die Offene Ganztagsschule das Zusammenwachsen von Schul- und Freizeitbereich, um eine bestmögliche Plattform für die Entwicklung der Kinder zu bieten. Demnach ist der Offene Ganztag als ein Kooperationsprojekt zu betrachten, in dem Schule und Freizeit zu einer Einheit zusammenwachsen und Räumlichkeiten gemeinschaftlich nutzen. Eine sinnvolle Nutzung der zur Verfügung stehenden Räume kommt allen Beteiligten zugute. Durch eine geschickte Aufteilung kann der verfügbare Platz optimal genutzt werden. Hierbei ist es wichtig, sich die konkreten Bedürfnisse der Kinder klarzumachen und den Raum entsprechend zu gestalten. Durch bewegliche Möbel, z. B. mit Rollen, lassen sich Räume schnell und leicht umgestalten und dem aktuellen Bedarf anpassen. Räume können so auf der Grundlage kluger Belegungspläne und mobiler Einrichtungsgegenstände multifunktional als Lern-, Spiel-, Bewegungs- oder Speiseraum genutzt werden. Auch die Nutzung von weiteren Räumlichkeiten im Quartier für bspw. AGs soll in dem Modellkonzept Berücksichtigung finden.

 

In Bezug auf die perspektivisch anstehende engere Kooperation zwischen Schule, OGS und der Säule Rechtsanspruch sowie dem Selbstverständnis von einem gemeinsamen Lern- und Lebensort für Kinder sollen die bereits jetzt vorhandenen räumlichen Ressourcen gezielt für die Abbildung des Rechtsanspruchs genutzt und gestaltet werden.

 

Die Stadt Rheine hat bereits im Jahr 2019 ein Standardraumprogramm und dessen Umsetzung für alle Grundschulstandorte beschlossen. Dieses Musterraumprogramm hat neben dem „gemeinsamen Lernen“ den Schwerpunkt „Betreuung“. Im Gesamtkonzept werden neben den regulären Betreuungsräumen, Flächen für differenziertes Lernen oder Mehrzweckräume geschaffen, die eine multifunktionale Nutzung ermöglichen und so den Lern- und Lebensraum Schule bereichern. Das Musterraumprogramm bildet den Rahmen für die Entwicklung des Modellkonzeptes „Schulbetreuung im Primarbereich“.

 

Konzept des Qualitätsdialoges „Schulbetreuung im Primarbereich“ in Rheine

 

Das Land NRW explizierte seine Rechtsauffassung, nach der für die öffentliche Jugendhilfe eine Verpflichtung besteht, gemeinsam mit allen Akteuren vor Ort an der Qualitätsentwicklung für die offene Ganztagsschule im Primarbereich mitzuwirken. Die Qualitätsentwicklung in Organisationen ist jedoch kein Selbstläufer. „Damit Qualitätsentwicklung in einer angemessenen Organisationskultur entstehen und als kontinuierlich und kompetent gestaltetes methodisches Instrument zur fachlichen und organisationsbezogenen Reflexion genutzt werden kann, bedarf es gut durchdachter Impulse, mit denen die Qualitätsfrage in die Einrichtung eingebracht und laufend aktuell gehalten werden kann und mit denen die Organisationsmitglieder zur Auseinandersetzung mit Qualitätsfragen motiviert werden können. Hierzu ist eine Kommunikationsstruktur notwendig, die in Form eines Qualitätsdialoges umgesetzt werden kann“. Die folgende Konzeption soll den möglichen Prozess zur Qualitätsentwicklung der Schulbetreuung in Rheine beschreiben und eine Zeitperspektive von 5 Jahren einnehmen.

 

Ausgangslage

 

Seit 2012 ist die Qualitätsentwicklung nach § 79a SBG VIII Aufgabe des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Sie soll die Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität weiterentwickeln, anwenden und regelmäßig überprüfen. Eine erste Orientierung zur internen und integrierten Qualitätsentwicklung bietet „QUAST“ („Qualität für Schulkinder in Tageseinrichtungen). QUAST wurde in einer nationalen Qualitätsinitiative von den Ländern Bremen, Sachsen und NRW gemeinsam entwickelt. Auf dieser Basis wurde sodann QUIGS (Qualität in Ganztagsgrundschulen) entwickelt. QUIGS kombiniert in und außerhalb der Schule erprobte Ansätze in einem Instrument und stärkt die Eigenverantwortlichkeit der Schulen und ihrer Partner. Es fördert die eigenverantwortliche Qualitätsentwicklung in den Schulen und beruht auf Erfahrungen der offenen Ganztagsschule im Primarbereich.

 

In Rheine wurde Qualitätssicherung bisher in Form eines intensiven Vergabeverfahrens für die Betreuungen an den Grundschulen durchgeführt. Die Ausschreibungen werden mithilfe einer umfangreichen Wertungsmatrix primär nach pädagogischen Kriterien ausgewertet. Um den Erfahrungsaustausch zu Betreuungsangeboten zu fördern, finden regelmäßig interkommunale Austauschgespräche zwischen den Schulträgern und dem Kreis Steinfurt statt. Außerdem kooperieren die Schulen und die Betreuungsträger in regelmäßigen Austauschrunden vor Ort miteinander, um insbesondere die Verzahnung zwischen dem unterrichtlichen und dem außerunterrichtlichen Bereich zu optimieren. Des Weiteren existiert bereits ein Qualitätszirkel in Rheine, welcher durch den Jugend- und Familiendienst initiiert worden ist. Dieser dient primär als Austauschplattform zwischen den Schul- und Betreuungsleitungen.

 

Nach Analyse der gegenwärtigen Situation lässt sich feststellen, dass eine Qualitätskontrolle der Schulbetreuung in der Stadt Rheine derzeit bereits auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Nicht zuletzt mit Blick auf die Herausforderungen des anstehenden Rechtsanspruchs besteht die Notwendigkeit, einen ganzheitlichen Qualitätsdialog anzustoßen, der alle beteiligten Akteure zusammenbringt und alle Kräfte auf ein gemeinsames Ziel ausrichtet.

 

 

 

Ziel des Qualitätsdialoges

 

Als richtungsweisendes Ziel wird ein Fernziel gewählt, dass durch die Formulierungen von Nahzielen konkretisiert wird. Für die Qualitätsentwicklung der Offenen Ganztagsschulen in Rheine lautet das Fernziel:

 

Die Qualität der Betreuungsangebote aller Grundschulen in Rheine wird in den nächsten fünf Jahren durch einen systematischen und kontinuierlichen Entwicklungsprozess zwischen noch näher zu bestimmenden Teilnehmer/-innen überprüft und weiterentwickelt.

 

Damit der Prozess systematisch erfolgen kann, werden alle weiteren Unterziele entsprechend der SMART-Kriterien (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert) festgelegt, um die Zielerreichung zu fördern sowie eine sich anschließende Evaluation der Zielerreichung zu ermöglichen.

 

Struktur des Qualitätsdialoges

 

Die Struktur des Qualitätsdialoges sollte so aufgebaut sein, dass einerseits alle betroffenen Personengruppen repräsentiert sind und andererseits ein handlungsfähiges, zielorientiertes Gremium geschaffen wird, welches innerhalb eines begrenzten Zeitraums konkrete Lösungen erarbeiten kann.

 

Als Kernstück des Qualitätsdialoges soll daher eine AG OGS eingerichtet werden, in welche Vertreter/-innen der einzelnen Interessensgruppen entsandt werden. Durch die übersichtliche Anzahl der Beteiligten, wird eine effektive Arbeitsweise der AG OGS sichergestellt. Die AG OGS wird die im Rahmen des Qualitätsdialoges zu bearbeitenden Qualitätsfelder festlegen und hier Entscheidungen vorbereiten. Der Prozess der Festlegung von Qualitätsfeldern wird im nächsten Unterpunkt weiter ausgeführt.

 

Die von der AG OGS vorbereiteten Prozesse sollen dann mit einem erweiterten Personenkreis in einer Großgruppe abgestimmt werden. Weiterhin soll bei der Besetzung darauf geachtet werden, dass hier die Akteurinnen und Akteure, welche den Schulalltag vor Ort erleben, miteinbezogen werden und ihre Perspektive in die Entscheidungsfindung miteinfließt. Themenbezogen kann weiterhin eine Repräsentantin oder ein Repräsentant des bereits bestehenden und in Rheine ansässigen, interkommunalen Qualitätszirkels an den Sitzungen der Großgruppe teilnehmen, um sinnvolle Schnittstellen zu der etablierten Struktur zu schaffen.

 

Umsetzung der Qualitätsentwicklung

 

Folgende Kurzdarstellung einer möglichen Konzeption zur Umsetzung des Qualitätsdialoges ist als erste Idee anzusehen, um das beschriebene Vorhaben greifbarer zu machen. Die Konzeption ist hier nicht abschließend dargestellt und muss nach erfolgtem Grundsatzbeschluss weiterentwickelt und intensiviert werden.

 

Zunächst ist festzulegen, auf welcher Grundlage eine Definition von Qualitätsfeldern erfolgen kann. Hierbei soll sich durch die AG OGS zunächst an der Wertungsmatrix für die Vergabe von Schulbetreuungsleistungen orientiert werden. In dieser Matrix erfolgt eine Gewichtung pädagogischer Kriterien, die vom Schulausschuss beschlossen wurde. Folgende Oberpunkte werden dort als besonders wichtig hervorgehoben:

 

Partizipation und Beteiligung von Kindern und Eltern, Beschwerdemöglichkeiten

Pädagogische Konzeption

Planung / Steuerung von Ressourcen

Gesundheitsförderung

Sprachbildung und Sprachförderung

Schulinterne Kooperation

Förderung von Kommunikations- und Konfliktfähigkeit

Sozialraumorientierung

Elternarbeit

Inklusion und Teilhabe

Interkulturalität

Kinderschutz

Qualitätsentwicklung

Mittagsverpflegung

 

Auf diese Bereiche wird innerhalb der Qualitätsentwicklung und –sicherung besonders geschaut. Grundlegend soll jedoch eine Überprüfung und Weiterentwicklung aller Qualitätsfelder angestrebt werden, um Qualitätsunterschiede unterhalb der Betreuungs-angebote anzugleichen und allen Kindern der Kommune ähnliche Bildungschancen zu ermöglichen sowie soziale Unterschiede und damit Bildungsbenachteiligungen auszugleichen.

 

Nachdem durch die AG OGS entsprechende Qualitätsfelder definiert wurden, soll jeweils eines dieser Qualitätsfelder im Laufe eines Jahres ganzheitlich durch die AG OGS sowie die Großgruppe bearbeitet werden.

 

Im Kernprozess der Qualitätsentwicklung sollen Kriterien zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität aufgestellt werden, um den angestrebten Soll-Zustand hinsichtlich des zu bearbeitenden Oberthemas abzubilden. Daran anschließend würden die Indikatoren erarbeitet werden, die diese Kriterien messbar machen. Darüber hinaus sind Instrumente zu entwickeln, mit denen die Erfüllung der Kriterien überprüft werden können. Im Anschluss an die Durchführung wird dann die Ergebnisauswertung erfolgen. Abschließend werden die Veränderungsmöglichkeiten bzw. Handlungsstrategien besprochen, sodass sie praxistauglich angewendet werden können.

 

Evaluation

 

Die Überprüfung der eingangs gesetzten Ziele ist zwingend erforderlich, um den Prozess und das eigene Handeln ergebnisorientiert auszuwerten. In diesem Kontext sollten die Zwischenberichte sowie der Endbericht an Schulausschuss und Jugendhilfeausschuss zur Ergebnissicherung beitragen.

 

Die Verwaltung empfiehlt die Qualitätsentwicklung in den Offenen Ganztagsschulen in Rheine in Form eines Qualitätsdialoges zu initiieren und insbesondere als Vorbereitung auf den Rechtsanspruch durchzuführen.

Hierzu bedarf es personeller Ressourcen. Dennoch kann die Verwaltung keine Einrichtung einer personellen Ressource vorschlagen, da es sich um eine neue freiwillige Leistung handelt, für die weder Fördermittel noch städtische Mittel zur Verfügung stehen.