Betreff
Strategische Steuerung in der Heimerziehung Vollzeitpflege und Reintegration
Vorlage
113/06
Aktenzeichen
II-2-51-ga
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine empfiehlt dem Rat der Stadt Rheine,

 

·      mit der Zielsetzung kurzfristiger und dauerhafter Einsparungen in der Heimerziehung (2008 ca. 500 T€ ab 2009 ca. 800 T€/a) durch den weiteren Ausbau der Vollzeitpflege, Einführung einer Reintegrationsoffensive und Umsetzung des generellen Verselbständigungsansatzes ab dem 16./17. Lebensjahr

 

·      vorbehaltlich der Zustimmung des Personalrates, den Stellenplan des Fachbereiches 2 - Jugend, Familie und Soziales - befristet für die Dauer von 2 Jahren um insgesamt 2,5 Stellen (TVÖD, Entgeltgruppe 9, Sozialarbeiter(innen), Sozialpädagog(inn)en zu erweitern.

 

Die Verwaltung wird beauftragt, im Rahmen einer regelmäßigen Evaluation (halbjährlich) über die Zielerreichung im Jugendhilfeausschuss zu berichten.


Begründung:

 

1.      Einleitung

 

Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine hat sich in seiner Sitzung am 1. Dezember 2005 erstmals mit der Thematik „Strategische Steuerung in der Heimerziehung  durch personelle Verstärkung des Aufgabenbereichs Vollzeitpflege und der Entwicklung eines Reintegrationskonzeptes bzw. eines Verselbständigungskonzeptes“ beschäftigt.

 

Dabei hat der JHA folgenden Beschluss gefasst:

 

Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine beauftragt die Verwaltung des Jugendamtes bis zur nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses, spätestens jedoch zu den Haushaltsplanberatungen 2006 ein Konzept vorzulegen, in dem

 

1.   die Bedingungen für eine Erhöhung von Vermittlungszahlen in Vollzeitpflege

 

und

 

2.   die Möglichkeit der Reintegration von Kindern und Jugendlichen in ihre Familien bzw. in eine frühzeitige Verselbständigung beschrieben werden.

 

Dabei sind die finanziellen Chancen und Risiken detailliert zu definieren.

 

Auf die zur Sitzung am 1. Dezember 2005 zur Verfügung gestellten Daten und Grafiken wird verwiesen.


2.      Bereich Vollzeitpflege

 

Im Rahmen der Prüfung der Gemeindeprüfungsanstalt ist der Bereich der Vollzeitpflege u. a. wie folgt beschrieben:

 

„Die Ausgaben für die Vollzeitpflege/ Familienpflege sind rückläufig und bewegen sich auf einem günstigen Niveau, wobei sich die Fallzahlen leicht steigend darstellen.

Dies geht zurück auf zahlreiche Maßnahmen, insbesondere die Gewinnung weiterer Pflegefamilien und deren Schulung sowie die nachhaltige Begründung neuer Pflegeverhältnisse. Gerade der Kontakt zu den Kirchen und karitativen Einrichtungen hat sich bewährt. Durch diesen umfassenden Ansatz und die beabsichtigte weitere Stärkung der Vollzeitpflege, der auch eine zeitlich befristete intensive stationäre Betreuung umfasst, wird die Grundlage für eine dauerhafte Begründung von Pflegeverhältnissen geschaffen.

Dieses Vorgehen ist geeignet, erhebliche Folgekosten zu vermeiden, die durch den Abbruch der Familienpflege entstehen und häufig dazu führen würden, dass in diesen Fällen lediglich eine dauerhafte Heimerziehung als Mittel der Wahl angesehen werden könnte.

Eine geringe Abbruchquote – wie in Rheine- hilft insoweit, Folgekosten zu vermeiden. Die vergleichsweise geringen Ausgaben je Fall dokumentieren auch den geringen Umfang an zusätzlichen Hilfen, was als Bestätigung dieses Weges angesehen werden kann.

Handlungsmöglichkeiten:

Aufgrund des hohen Anteils von Kindern bis zehn Jahren in Heimerziehung sollte geprüft werden, ob der Pflegekinderdienst durch organisatorische Maßnahmen zeitlich begrenzt personell verstärkt werden kann, um die Gewinnung weiterer Pflegefamilien zu intensivieren.

In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, über allgemeine Informationen sowie gezielte Ansprache in Vereinen und Verbänden auch den nicht institutionalisierten gesellschaftlichen Vorfeldbereich abzudecken. Bei nicht wenigen Bürgerinnen und Bürgern besteht die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement in vielfältiger Hinsicht, die ggf. auch für ein Pflegeverhältnis genutzt werden kann.“ (S.236/237)

Durch den erfolgreichen Verlauf des Projektes „Strategische Steuerung in der Heimerziehung“ hier: Vollzeitpflege auch in den Jahren 2004 und 2005 werden aktuell 83 Kinder im Rahmen der Vollzeitpflege incl. der Fälle mit Kostenerstattung betreut.

Diese sehr hohe Fallzahl bedingt, dass kaum noch Zeitressourcen für die Rekrutierung neuer Pflegefamilien zur Verfügung stehen.

 


Wie aus der Altersverteilung Heimerziehung  zu entnehmen ist, sind derzeit noch 9 Kinder unter 10 Jahren in Heimerziehung. Bei 7 steht eine Vermittlung bevor. Bei diesen Kindern ist davon auszugehen, dass nur unter erschwerten Bedingungen geeignete Pflegeeltern gefunden werden können, so dass der Aquise zunehmend Bedeutung zukommt.

Es gilt demnach erneut verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um wiederum Vermittlungen zu beschleunigen.

 

Da bei diesen Kindern ein erhöhter therapeutischer Bedarf besteht und die Perspektivplanung zeitnah zu erfolgen hat, belaufen sich die Kosten pro Kind und pro Jahr auf 60.000 €. Dieses entspricht für 7 Kinder einem Ausgabevolumen von 420.000 € pro Jahr.

 

Durch zusätzlichen Personaleinsatz (1 Stelle) kann die Vermittlung in eine Pflegefamilie zeitnäher erfolgen.

 

Durchschnittlich betragen die Kosten in einer Pflegefamilie 19.000 € im Jahr. Bei 7 Kindern also jährlich 133.000 €.

 

Es ergibt sich demnach folgende Berechnung auf Jahresbasis:

 

Personalkosten                               50.000 €

Pflegekosten                                 133.000 €

Gesamt                                     183.000 

 

Derzeitiger Aufwand                     420.000 

Minderausgaben                           237.000 €

 

Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass die derzeitige Personalressource nicht ausreicht, eine zeitnahe Vermittlung zu realisieren.

 

 

3.      Bereich Reintegration und Verselbständigungshilfe

 

Neben dem schon aus der Vergangenheit bekannten erfolgreichem Projekt zur Stärkung der Vollzeitpflege soll nunmehr über ein Projekt „Reintegration“ und „Verselbständigung“ versucht werden, der hohe Fallzahlbelastung im Bereich der Heimerziehung der 12- bis 17-Jährigen/18-Jährigen zu begegnen.

 

Die Altersverteilung Heimerziehung (Anlage 1)  zeigt, dass mit Stichtag 30.11.2005 insgesamt 71 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Heimerziehung incl. des betreuten Wohnens mit Sicherstellung des Lebensunterhaltes untergebracht sind.

 

Trotz aller Bemühungen, ambulant vor stationär, Zugangssteuerung usw. ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, den Anteil der Heimerziehung in den Fallzahlen nachhaltig zu reduzieren. Zwar konnte es gelingen, den steilen Aufwärtstrend zu stoppen und trotz Zunahme der altersgleichen Bevölkerung der 12- bis 17-Jährigen


das Niveau zu halten. Es muss festgehalten werden, dass der Anteil an Heimerziehung zwar nicht nur, aber auch aus finanziellen Gesichtspunkten zu reduzieren ist. Diese Aussage wird untermauert durch den HZE – Bericht NRW 2003, herausgegeben im Juli 2005, in dem deutlich erkennbar ist, dass sich Rheine sowohl im stationären als auch im ambulanten Erziehungshilfebereich im oberen Drittel der Fallzahlen der Jugendämter gleicher Größenordnung und vergleichbarer Sozialstruktur befindet. (siehe Anlagen 2-5)

 

Aus diesem Grunde schlägt die Verwaltung vor, eine „Reintegrationsoffensive“ zu starten, um insbesondere in jedem Einzelfall der 12- bis 16-Jährigen intensiv an eine Rückkehr in das Elternhaus zu arbeiten und durch eine sehr zeitnahe, noch strukturiertere Hilfeplanung eine Rückkehr zu ermöglichen.

 

Das Ziel ist, die Anzahl der Heimunterbringungen so um 20 % zu reduzieren.

 

Bei 71 Heimfällen und durchschnittlichen Kosten je Fall von 48.000 € jährlich entspricht dieses einer jährlich Minderausgabe von rund 680.000 €.

 

Daneben wäre es eine Aufgabe, dort, wo eine Reintegration nicht möglich ist, darauf hinzuwirken, dass spätestens mit 16/17 Jahren ein Wechsel aus der klassischen Heimerziehung in eine Verselbständigungshilfe mit dem Ziel der Sicherstellung des Lebensunterhaltes außerhalb der Jugendhilfe realisiert wird.

 

Durch eine generelle Regelung des Verselbständigungsansatzes ab dem 16./17. Lebensjahr sind durch reduzierte Pflegesätze pro Fall jährlich ca. 14.000 € einzusparen. Bei derzeit 9 Fällen ist so ein Einsparpotential von jährlich 126.000 € zu erzielen.

 

Letztendlich bedeutet ein solches Vorgehen, dass mit den derzeitigen Mechanismen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII die oben beschriebenen Ziele nicht erreichbar sind. Bei diesem Projekt sind grundsätzlich Hilfeplangespräche in kürzeren Abständen nötig, um die Vereinbarungen auch überprüfen zu können.

Nur so kann man der Steuerungsverantwortung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe gerecht werden. (36a SGB VIII)

 

Im Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt steht dazu:

 

„Die Stadt Rheine sollte prüfen, ob durch eine Intensivierung des Hilfeplanprozesses die Steuerung des Einzelfalls im Hinblick auf den finanziellen Ressourcenverbrauch noch besser strukturiert werden kann. Hierbei sollten verstärkt Alternativen zur stationären Betreuung in den Einrichtungen in Rheine erschlossen werden.“(GPA-Bericht  S.224)

 

Ein solches Projekt ist jedoch nur mit zusätzlicher Personalressource zu realisieren. Bei  zusätzlich 1,5 Stellen (Kosten jährlich ca. 75.000 €) und einer ambulanten Absicherung der Reintegration von ca. 160.000 € jährlich ergibt sich ein jährlicher Einspareffekt von bis zu 571.000 €.


4.      Auswirkungen auf den Haushalts- und Finanzplan

 

Bei Betrachtung der Auswirkungen auf den Haushalts- und Finanzplan sind oben genannte Summen aufgrund monatlicher Vermittlungs- und Reintegrationsbemühungen zu berücksichtigen.

Unter der Voraussetzung, dass die zusätzliche Personalressource ab Januar 2007 zur Verfügung steht, können Einsparpotentiale ab Ende des II. Quartals  2007 generiert werden, die im Haushaltsjahr 2009 die Zielgröße von jährlich insgesamt von 812.920 € erreichen.

Folgende Tabelle zeigt im Jahresverlauf 2007 – 2009, wie sich die Einsparpotentiale entwickeln.

Jahr                Minderausgaben                  Aufwendungen für               Differenz

                        für die                         Personal, Pflegegeld,

                        Heimerziehung                     Ambulante Hilfen

 

2007                228.470 €                      173.193 €                           55.277 €

2008                836.928 €                      320.884 €                         516.044 €

2009             1.105.928 €                       293.008 €                         812.920 €

 

Darüber hinaus wird auf die beiliegende Grafik verwiesen (Anlage 6), in der die Aufwendungsarten detaillierter dargestellt sind.

 

 

5       Zusammenfassung

 

Seitens der Verwaltung wird vorgeschlagen, die 2,5 Stellen zunächst auf 2 Jahre zu befristen. Danach soll evaluiert werden, ob die vorgesehenen Effekte eingetreten sind.

Im Rahmen der Evaluation ist jedoch nicht nur zu überprüfen, ob die finanziellen Ziele erreicht worden sind, sondern es muss auch nachgehalten werden, welche Folgen insbesondere die frühzeitige Verselbständigung haben wird.

 

Nach Auffassung der Verwaltung beinhaltet gerade dieser Ansatz ein nicht unerhebliches Risiko, da letztlich der Versuch gestartet wird, Jugendliche und junge Volljährige, die in ihrer Biographie belastenden Situationen ausgesetzt waren und sind, in eine eigenständige, selbständige Wohnform zu integrieren, obwohl sie von den Grundressourcen u. U. dazu nur eingeschränkt in der Lage sind.

 

Gerade bei diesem Vorschlag überwiegen, und das soll an dieser Stelle auch deutlich mitgeteilt werden, die finanziellen Aspekte und nicht die pädagogischen Fragestellungen.


Anlagen:

 

Anlage 1:            Grafik Altersverteilung Heimerziehung

Anlagen 2 - 5:     HZE–Bericht NRW 2003, herausgegeben im Juli 2005

Anlage 6:            Grafik Aufwendungsarten