Beschlussvorschlag/Empfehlung:
- Der Jugendhilfeausschuss nimmt die Ausführungen zum Projekt Vollzeitpflege/Reintegration/Verselbständigung zur Kenntnis.
- Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung des Jugendamtes, die notwendigen Beschlüsse zur Entfristung der im Rahmen des Projektes eingerichteteten befristeten Stellen und zur Erweiterung des Stellenplanes 2009 für den Fachbereich Jugend, Familie und Soziales, Jugendamt um 2,5 Stellen TVÖD Entgeltgruppe 9, Sozialarbeiter(innen), Sozialpädagog(inn)en vorzubereiten.
Begründung:
1. Einleitung:
Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine hat in seiner Sitzung am 16.3.2006 zur Installierung zusätzlicher Stellen im Fachbereich Jugend, Familie und Soziales, Jugendamt, folgenden Beschluss gefasst:
”Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine empfiehlt dem
Rat der Stadt Rheine,
· mit der Zielsetzung kurzfristiger und
dauerhafter Einsparungen in der Heimerziehung (2008 ca. 500 T€ ab 2009 ca. 800
T€/a) durch den weiteren Ausbau der Vollzeitpflege, Einführung einer
Reintegrationsoffensive und Umsetzung des generellen Verselbständigungsansatzes
ab dem 16./17. Lebensjahr
· vorbehaltlich der Zustimmung des
Die Verwaltung wird beauftragt, im Rahmen einer
regelmäßigen Evaluation (halbjährlich) über die Zielerreichung im
Jugendhilfeausschuss zu berichten.”
Der Installierung des Projektes außerhalb des Stellenplanes hat der Rat der Stadt Rheine am 21.6.2006 zugestimmt.
1.1 Stellenbesetzung:
Im Bereich der Vollzeitpflege wurden zum 15. Okt. 2006 bei den vorhandenen Teilzeitkräften aus der Abteilung Vollzeitpflege die Stunden im Umfang einer halben Stelle aufgestockt. Zum 1. Apr. 2007 wurde eine weitere halbe Stelle im Umfang von 19,25 Stunden eingerichtet.
Im Bereich der Reintegration und der Verselbständigung steht die zusätzliche Ressource im Umfang von 1,5 Stellen seit dem 1. Jan. 2007 zur Verfügung.
Um die Stellenbesetzung im Projekt realisieren zu können, waren befristete externe Stellenbesetzungen im Umfang einer Vollzeitstelle in der Abteilung Jugendschutz und einer Teilzeitstelle im Kremer-Haus notwendig.
1.2 Zielvorgabe:
Im Rahmen der Beratungen im Jugendhilfeausschuss ist das Ziel formuliert worden, bis zum Ende des Projektzeitraumes die Heimerziehungen um bis zu 20% zu reduzieren.
Dabei sollte die Reduzierung der Heimerziehungen sowohl durch verstärkte Vermittlungen bestehender Heimfälle in Pflegefamilien, als auch durch verstärkte Reintegrationsbemühungen bzw. frühzeitige Verselbständigungen erreicht werden.
2. Ausgangslage zu Beginn
des Jahres 2006:
Zu Beginn des Projektes gestaltete sich die Fallverteilung in den für das Projekt relevanten Hilfearten wie folgt:
Hilfeart |
Anzahl |
Mutter/Kind |
7 |
Erziehungsbeistandschaft |
24 |
Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) |
34 |
Vollzeitpflege |
92 |
Heimerziehung |
79 |
Hilfe
Junge Volljährige |
36 |
|
|
3. Projektverlauf
Im Projektverlauf entwickelten sich die Fallzahlen wie folgt:
Aus dieser Graphik ist erkennbar, dass mit Ausnahme der Heimerziehung und der Hilfe für junge Volljährige eine Steigerung der Fallzahlen erfolgte.
Hierauf wird im weiteren Verlauf noch eingegangen.
Bei der Heimerziehung ist folgende Entwicklung erkennbar:
Im Vergleich zu Beginn des Jahres 2006 ist die Zahl der
Heimerziehungen von 79 auf 65 im Mai 2008 gesunken. Dieses entspricht einer
Reduzierung um 14 Fälle oder 17,8%.
Dabei sollte die Heimerziehung zum einen durch verstärkte Vermittlungen in Vollzeitpflegen und zum anderen durch frühzeitige Verselbständigungen bzw. durch Massnahmen der Reintegration erfolgen.
Die verstärkten Vermittlungen in der Vollzeitpflege lassen sich wie folgt darstellen:
Somit sind insgesamt 25 neue Vollzeitpflegen als notwendige Alternative zur Heimerziehung installiert worden
Die Steigerung von 92 auf 117 Vollzeitpflegen entspricht dabei einer Steigerung von 27,1 %
Auch bei der Hilfe für junge Volljährige ist
erkennbar, dass sich die Fallzahlen von 36 auf 33 im bisherigen Projektverlauf
reduzieren ließen. (- 12%)!
Dass es sich im Bereich der Verselbständigung nicht um statische Fallgestaltungen handelt, ist an der Tatsache abzulesen, dass in der Zeit vom Januar 2006 bis Mai 2008 alleine 88 Fälle beendet worden sind.
Im Bereich der Reintegration konnten bisher 3 Kinder/Jugendliche erfolgreich in Familien reintegriert werden, bei 6 Kindern/Jugendlichen steht die Reintegration kurz vor dem Abschluss, so dass festzuhalten ist, dass sowohl durch die verstärkte Vermittlung in Vollzeitpflege als auch durch die frühzeitige Verselbständigung bzw. die Reintegration ins Elternhaus die Reduzierung der Heimunterbringungen realisiert werden konnte.
4. Entwicklung der übrigen Hilfen
Die Entwicklungen in den Jugenämtern bundesweit zeigen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der tragischen Fälle von Kindesmisshandlungen bis hin zu Kindestötungen, eine zunehmend steigende Tendenz in allen möglichen, insbesondere ambulanten, Hilfearten. (vgl. DJI 2008 ”Arbeitssituation und Personalbemessung im ASD”)
Nicht zuletzt durch eine bessere Kooperation mit den verschiedenen Institutionen, wie z.B. Kindergärten und Schulen, der verbesserten Kooperation mit Kinderärzten, Kliniken und Hebammen und der Sensibilisierung der Bevölkerung werden dem Jugendamt Missstände mitgeteilt, die ein Eingreifen der Jugendhilfe notwendig machen.
Dabei erwartet der Gesetzgeber, dass vor sorgerechtlichen Entscheidungen zunächst überprüft wird, ob öffentliche Hilfen, also Jugendhilfen, die Lebenssituation von Kindern in ihren Familien verbessern.
Die Einführung des § 8a SGB VIII zum 1.10.2005 hat diese Verpflichtung nochmals verstärkt. Bekanntlich sieht der § 8a SGB VIII eine verbindliche Kooperation zwischen den freien Trägern und öffentlichen Trägern vor.
”Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten. (….)
Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung abzuwenden.”
Die bevorstehenden erneuten gesetzlichen Veränderungen lassen vermuten, dass es zu weitern Verbesserungen im Kindesschutz, aber auch zu verstärkten Anfragen nach Hilfeleistungen kommen wird (verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen und Zuständigkeit der Jugendhilfe bei nicht Wahrnehmung der Termine, Verschärfung des § 8a SGB VIII, Verpflichtung zum unmittelbaren Hausbesuch bei Hinweis auf Gefährdung, Novellierung des BGB zum 12.7.08 mit Erweiterung des Tatbestandsmerkmale für Sorgerechtsentzügen, Veränderungen des FGG zum 12.7.08 mit Beschleunigungsgebot bei Sorgerechtsverfahren innerhalb von 4 Wochen usw.).
Die Entwicklungen in den ambulanten Hilfsmaßnahmen Erziehungsbeistandschaft und Sozialpädagogische Familienhilfe spiegeln obige Veränderungen wieder.
Die nachfolgende Grafik zeigt, dass bei gleichzeitiger Abnahme der Heimerziehungsquote eine zunehmende Ambulantisierung der Jugendhilfe stattgefunden hat. Aus dem Ergebnis einer Umfrage des Landesjugendamtes aus dem Jahre 2008 sind für die Zunahme der Hilfe zur Erziehungsfälle folgende Faktoren verantwortlich:
● Anstieg von Meldungen wegen Verdachts auf Kindeswohlgefährdungen
aus der Bevölkerung und unterschiedlichen Institutionen
● Kooperation mit der Polizei aufgrund des Gewaltschutzgesetzes
● Zuwachs von Armutsfamilien
● Psychische Erkrankung der Eltern
● Familiäre Gewalt
● Drogen- und Suchterkrankungen der Eltern
● Sozialräumlich niedrigschwellige Arbeit, z.B. Kooperation mit Familienzentren, Schulen usw. führen zu einem früherem Zugang zu Problemsituationen
● ….
Diese Entwicklung führt jedoch auch dazu, dass die Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den ASD`s enorm zugenommen hat.
(S.
Anlage; Überlastungssituation im ASD, ein Stimmungsbild aus Westfalen Lippe
03/2008, welche vom Landesjugendamt erhoben worden ist)
5. Zusammenfassung
Wie die oben dargelegten Fakten deutlich machen, verläuft das Projekt sehr erfolgreich.
Die Verläufe zeigen jedoch auch, dass eine nachhaltige Reduzierung der Heimfälle nur erreichbar ist, wenn das Projekt auf Dauer intalliert werden kann.
Im Zwischenbericht für den Jugendhilfeausschuss im November 2007 sind die finanziellen Auswirkungen bis zum damaligen Zeitpunkt dargestellt worden.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist festzustellen, dass die Ziele erreicht werden.
Ein Ziel des Projektes war es, die Heimunterbringungen um 20% zu reduzieren. Gleichzeitig sollte der Anteil der Kinder in Pflegefamilien erhöht werden.
Die Zahl der Kinder/Jugendlichen in Pflegefamilien konnte von 92 Kinder auf 117 Kinder erhöht werden, was einer Steigerung von 27,1% entspricht.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Steigerung nicht nur aus Vermittlungen aus Heimerziehungen (4 Kinder) beruht, sondern ein Teil der Kinder direkt aus der Familie in (Bereitschafts)pflegefamilien vermittelt worden sind, bzw. nach einer Unterbringung mit ihrer Mutter/Vater in einer Mutter/Vater-Kind Unterbringung eine neue Familie gefunden haben.
Zu Beginn des Projektes waren 79
Kinder und Jugendliche in Heimen untergebracht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind es
65 Kinder. (Stand 31.5.08)
Diese Reduzierung entspricht eine Verringerung um 17,8%.
Auf das gesamte Jahr 2008
hochgerechnet entspricht diese Reduzierung eine Minderausgabe in der Heimerziehung
von 720.000 €.
(Vier Kinder aus therapeutischen Einrichtungen je 60.000 € pro Jahr=240.000 €)
Zehn Kinder Regelgruppen je 48.000 € pro Jahr=480.000 €.)
Daneben sollte im Rahmen des Projektes eine frühzeitige Verselbständigung auch schon von Jugendlichen ab dem Alter von 16/17 Jahren angestrebt werden. Diese frühzeitige Verselbständigung sollte auch mit einer Reduzierung der Kosten verbunden sein.
Auch hier ist zum jetzigen Zeitpunkt bei 10 Jugendlichen eine veränderte Steuerung des Hilfeverlaufs erfolgt.
Die geringeren Kosten betragen
bei dieser Form der Hilfe ca. 10.000 € jährlich. Bei 10 Jugendlichen ergibt
dieses für das Jahr 2008 den Betrag von 100.000 €
In der Summierung der ”Minderausgaben” ergibt sich somit ein Betrag von 820.000 € (720.000 € + 100.000 €)
Davon abzuziehen sind jedoch die zusätzlichen Personalkosten von
125.000 €, die Kosten für die Vollzeitpflegen von 76.000 € (4 x 19.000 €) und die Kosten zusätzlicher ambulanter Hilfen von 30.000 €, also insgesamt von 231.000 €.
Es ergibt sich somit eine
”Nettominderausgabe” von 589.000 €.
Damit sind die Vorgaben aus dem Projekt erfüllt, wenn gleich sich dieser Erfolg nicht auf die Budgetentwicklung niedergeschlagen hat.
Bei einer Steigerung von 217 % bei der Sozialpädagogischen Familienhilfe (von 34 auf 74 Familien), 195 % bei der Erziehungsbeistandschaft (von 24 auf 47) und zusätzlichen 25 Vollzeitpflegen werden jedoch die finanziellen Erfolge des Projektes mehr als verzerrt.
Dieses ist dem Umstand geschuldet, dass die zusätzliche notwendige Inanspruchnahme von Unterstützung im Rahmen der Jugendhilfe durch verstärkte ambulante Hilfen begegnet werden musste.
Auch die zusätzlichen 25 Vollzeitpflegen ”verursachen” im Jahresverlauf eine Mehrausgabe von 360.000 €. Hätten die Kinder jedoch in Heimen untergebracht werden müssen, hätte dieses jedoch zu einer Haushaltsmehrbelastung von 1.000.000 € geführt.
Weiter oben ist beschrieben worden, wie sich die veränderten gesetzlichen Vorgaben unmittelbar auf das Nachfrage- und Angebotsverhalten im Bereich der Hilfe zur Erziehung auswirkt. Dabei reagiert der Gesetzgeber lediglich auf Entwicklungen und Gefährdungen, die es zu meistern gilt.
Zu den Ursachen wird insofern auf die Befragung des Landesjugendamtes in der Anlage verwiesen.
Trotz der schon dramatisch zunehmenden gesellschaftlichen Veränderungen, der deutlichen Reduzierung der Erziehungskompetenzen gerader auch sehr junger Eltern, der erkennbaren Zunahme psychischer Belastungen vieler Eltern und Kindern ist es aber immerhin gelungen, die Budgetentwicklung von 2001 bis 2008 im Bereich der Hilfen zur Erziehung nahezu konstant zu halten.
(Steigerung um lediglich 3% innerhalb von 8 Jahren)
Diese Konstanz war gerade in den Jahren 2007 und 2008 nur deswegen zu erreichen, da die beschriebenen Projekte erfolgreich umgesetzt werden konnten.
6. Vorschlag der Verwaltung
Die Verwaltung schlägt vor, die im Rahmen des Projektes eingerichteten befristeten Stellen zu entfristen und den Stellenplan um 2,5 Stellen für Sozialarbeter(innen)/Sozialpädagog(inn)en zu erweitern.
Die vorgeschlagenen Veränderungen im Stellenplan haben keine finanziellen Auswirkungen auf das Personalkostenbudget. Die Personalkosten für die befristet eingerichteten Stellen sind durchgehend im Haushaltsplan und im Finanzplan veranschlagt.
Anlage:
Überlastungssituation im ASD, ein Stimmungsbild aus Westfalen Lippe 03/2008