Betreff
Strategische Steuerung in der Hilfe zur Erziehung
Vorlage
241/11
Aktenzeichen
II-2-51-ga
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

  1. Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine nimmt die Ausführungen der Verwaltung zur strategischen Steuerung in der Hilfe zur Erziehung zur Kenntnis.

 

  1. Der JHA beauftragt die Verwaltung, zum Haushalts- und Stellenplan 2012 die notwendigen Beschlüsse vorzubereiten.

Begründung:

 

I.       Einleitung

 

In seiner Sitzung am 14. 04. 2011 hat der Jugendhilfeausschuss folgenden Beschluss gefasst:

 

„Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, für die Sitzung des Ausschusses am 16. Juni 2011 eine Konzeption zur „Umsteuerung“ der Hilfen zur Erziehung vorzulegen.“ (Vorlage 145/11)

 

Grundlage dieses Beschlusses waren umfangreiche Auswertungen statistischer Daten zu den Hilfen zur Erziehung nach den §§ 27 ff SGB VIII. Auf diese Daten wird im Folgenden Bezug genommen (Vorlage 145/11).

 

 

II.     Feststellungen der Gemeindeprüfungsanstalt

 

Zusammenfassend bleibt bezüglich der Datenlage festzuhalten, dass die qualitativen Aussagen zu den einzelnen Hilfeformen und den Verhältnissen der Hilfearten untereinander nach Aussage der Gemeindeprüfungsanstalt durchweg positiv zu bewerten sind.

 

      Die Stadt Rheine hat im Verhältnis ambulante Hilfen zu den Hilfeplanfällen insgesamt einen neuen Maximalwert erreicht.

 

       Der Anteil der Vollzeitpflege an den stationären Hilfeplanfällen entspricht dem von der GPA gesetzten Zielwert.

 

       Die durchschnittlichen Fallkosten liegen um 736,00 € unterhalb des Mittelwertes.

 

„Negativ“ stellt die Gemeindeprüfungsanstalt jedoch die Falldichte auf 1.000 Einwohner bis zum 21. Lebensjahr mit einer Falldichte von 34 dar. Der Durchschnittswert liegt hier bei 27.

 

Hier beschreibt die GPA deutlichen Handlungsbedarf.

 

Insgesamt gibt die Gemeindeprüfungsanstalt für die geprüften Bereiche in der Hilfe zur Erziehung folgende Empfehlungen:

 

„Das präventive Angebot in der Stadt Rheine ist ausgeprägt.

 

Gleichwohl sollte eine Weiterentwicklung erfolgen. In diesem Zusammenhang sollten auch Projekte entwickelt werden, in die geeignete Ehrenamtliche einbezogen werden.

 

Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob im Falle einer notwendigen Hilfegewährung das Ziel der erzieherischen Hilfen nicht auch durch niedrigschwellige flexible Hilfen erreicht werden kann.

 

Die „Strategische Steuerung Heimerziehung“ sollte in jedem Fall weitergeführt werden.

 

Die Erziehungsberatungsstelle sollte in Zukunft verbindlich in die Hilfeplanprozesse einbezogen werden.“ (Bericht GPA S.10)

 

Neben den verstärkten Angeboten im präventiven Bereich beschreibt die GPA auch Handlungserfordernisse im Bereich der Fallsteuerung.

 

Dabei gibt es sowohl im Bereich der Zugangssteuerung als auch im Bereich der Verlaufssteuerung Empfehlungen, um den hohen Fallbestand mittel- bis langfristig reduzieren zu können.

 

Im Rahmen einer Gesamtpersonalbetrachtung hat die GPA darüber hinaus festgestellt, dass auf Grund der vorhandenen Falldichte im Bereich des Allgemeinen sozialen Dienstes ein zusätzlicher Personalbedarf von 4,76 Stellen bestehen würde.

 

 

III.    Empfehlungen der GPA

 

„Im Mittelpunkt der Analyse stehen Möglichkeiten der fachlichen und finanzwirtschaftlichen Ergebnisverbesserung der Leistungserbringung.

 

Das Jugendamt hat die Steuerungs- und Ressourcenverantwortung für die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 79 ff. SGB VIII). Die Steuerungsverantwortung beinhaltet die Hilfeplanung und Leistungssteuerung im Einzelfall nach § 36 SGB VIII und § 8a SGB VIII.

 

Den Fachkräften des Jugendamtes obliegt die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang erzieherische Leistungen selbst erbracht oder durch freie Träger der Hilfe zur Erziehung erbracht werden können.

 

Nur bei starker Ausprägung prozess- und ergebnisqualitativer Standards der Leistungssteuerung und einer ausreichenden Personalisierung der Aufgaben erzieherischer Beratung der Familien kann es gelingen, Zugänge zu regulieren beziehungsweise im Vorfeld erzieherischer Hilfen in Vereinbarungen mit den Familien auch selbst wirksam tätig zu werden.

 

Auf diesem Wege kann die Falldichte stabilisiert und perspektivisch wieder zurückgeführt werden.

 

Dies gilt für Leistungen nach den §§ 8a (Kindeswohlgefährdung)und 36 SGB VIII (Hilfeplanverfahren).

 

Für die Stadt Rheine ergibt sich aufgrund der aufgezeigten Ergebnisse im interkommunalen Vergleich schwerpunktmäßig vor allem die Möglichkeit, Potenzial über die festgestellte, weit überdurchschnittliche Falldichte zu erschließen.

 

Die Zugangs- und die Leistungssteuerung zu den Hilfen zur Erziehung bedürfen dabei einer Überprüfung (…) Der Benchmark liegt bei 21 Hilfeplanfällen je 1.000 Einwohner bis zum 21. Lebensjahr.

 

 

IV.     Einsparpotential laut GPA

 

Unter Berücksichtigung des Wertes „21 Hilfeplanfälle auf 1.000 Einwohner bis zum 21. Lebensjahr“ prognostiziert die Gemeindeprüfungsanstalt ein mögliches  Einsparvolumen von 2,8 Mio. €.

 

Aufgrund der qualitativ gut entwickelten ambulanten Leistungen und der im Verhältnis zur Heimerziehung gut ausgeprägten Struktur der Vollzeitpflege schlägt die GPA zunächst einen Zielwert von 28 Hilfeplanfällen auf 1.000 Einwohner unter 21 Jahren vor und ermittelt so ein Einsparvolumen von 1,39 Mio. €. (GPA S. 23 u.24)

 

Um dieses Einsparvolumen mittelfristig realisieren zu können, schlägt die GPA unter anderem vor, im Bereich der Allgemeinen sozialen Dienste zusätzliches Personal (2 Stellen) zu beschäftigen und durch ein Präventionsbudget in Höhe von 30.000 € die Zugangssteuerung zu optimieren. Zusätzlich sollen im Vorfeld der Leistungen nach §§ 27 ff SGB VIII Formen niedrigschwelliger Elternarbeit entwickelt werden. Abzüglich dieser zusätzlichen Aufwendungen betrüge, so die GPA, das Einsparvolumen 1,24 Mio. €

 

„Beeinflusst werden kann der Wert durch die im Folgenden benannten

Maßnahmen:

 

       durch eine Weiterentwicklung des Netzes präventiver Maßnahmen, die im Vorfeld erzieherischer Hilfen wirken und auf die jeweiligen Sozialräume bezogen sind,

 

       durch eine Optimierung der Zugangs- und Leistungssteuerung,

 

       durch eine Qualitätssicherung der Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII, konkret durch Überprüfung von Zielerreichung, Leistungsumfang und Vergütung insbesondere der stationären Hilfen mit dem Ziel der Reduzierung des Leistungsumfangs bis zur Beendigung des Hilfefalls.“ (GPA S. 25)

 


 

V.      Handlungsvorschläge der Verwaltung

 

Im Rahmen des Berichtes der GPA sind umfangreiche Handlungsempfehlungen (s.o.) dargestellt worden. Seitens der Verwaltung wird vorgeschlagen, zunächst folgende Handlungsschritte zu gehen:

 

1.       Optimierung der Zugangs- und Verlaufssteuerung:

 

   Innerhalb des Jugendamtes soll ein „Clearingteam“ aufgebaut werden, um die Klärungsprozesse optimieren zu können; so sollen innerhalb des „Clearingteams“ Fragen der Kindeswohlgefährdung, mögliche Formen alternativer Hilfestrukturen bzw. einer Hilfe zu Erziehung geklärt werden.

 

  Um die Zugangssteuerung im Bereich der Hilfen zur Erziehung zu optimieren, sollen im Vorfeld der Hilfeentscheidungen verstärkt sozialpädagogische und psychologische Diagnostikelemente eingesetzt werden. Diese sollen im Rahmen der vorhandenen vertraglichen Regelungen mit den freien Trägern als „Auftragsarbeit“ vergeben werden. Dabei sind in Gesprächen mit den Trägern Möglichkeiten zu entwickeln, die kostenneutral die bestehenden Vertragsverhältnisse nutzen.

 

  Die Erziehungsberatungsstelle soll verstärkt im Vorfeld von Fallentscheidungen in die Entscheidungsteams des Jugendamtes eingebunden werden, um noch besser die niedrigschwelligen Angebote der Erziehungsberatungsstelle nutzen zu können.

 

  Daneben sollen im Rahmen der Verlaufssteuerung der Hilfen zur Erziehung insbesondere die Mitwirkungsbereitschaft der Eltern und die Veränderungsmöglichkeiten in den Familien stärker in den Blick genommen werden.

 

 

Diese grundsätzlichen Steuerungselemente können jedoch nur umgesetzt werden, wenn innerhalb des Allgemeinen Sozialen Dienstes ausreichend Personalressourcen für die Zugangs- und Verlaufssteuerung zur Verfügung stehen. Seitens der Verwaltung wird aus diesem Grunde vorgeschlagen, eine zusätzliche Stelle in diesem Bereich zur Verfügung zu stellen. Dabei soll diese Stelle als Projektstelle für zunächst 2 Jahre vorgehalten werden.

 

 

2.       Entwicklung Sozialräumlicher Arbeitsansätze:

 

  Durch verstärkte sozialräumliche Arbeitsansätze sollen im Vorfeld von sich verfestigenden Problemsituationen Angebote wie Elternkurse, Sprechzeiten bzw. Angebote der sozialen Gruppenarbeit sowohl in den Familienzentren als auch in den Offenen Ganztagsgrundschulen vorgehalten werden.


 

VI.     Projekt für Sozialräumliche Arbeitsansätze

 

Die Verwaltung schlägt vor, für 2 Jahre ein Projekt zu erproben, welches über flächendeckende Angebote von Elternkursen oder Elterngesprächskreisen die Zugänge zu den Maßnahmen der Sozialpädagogischen Familienhilfe reduziert.

 

Alleine im Jahre 2010 sind seitens des Jugendamtes bei 63 Familien Leistungen nach § 31 SGB VIII (Sozialpädagogische  Familienhilfe) neu gewährt worden, bei denen keine Kindeswohlgefährdung vorgelegen hat. Das jüngste Kind dieser Familie war dabei im Alter von 3 Jahren.

 

Bei durchschnittlichen Ausgaben von 890,- € pro Familie pro Monat ergibt sich bei diesen Familien eine Gesamtausgabe im Jahr von ca: 672.000 €.

 

Um projektartig „neue“ sozialräumliche Ansätze erproben zu können, schlägt die Verwaltung vor, bei Familien, bei denen eine Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen werden kann und deren jüngstes Kind eine Kita besucht, auf die Bewilligung einer Hilfe zur Erziehung in Form der Sozialpädagogischen Familienhilfe zu verzichten.

 

Stattdessen sollen diesen Familien Elternkurse bzw. Elterngesprächskreise als  Unterstützung angeboten werden.

 

Dazu sollen in allen Familienzentren bzw. auch in anderen in Frage kommenden Kitas regelmäßig durch Träger der Familienbildung bzw. durch Anbieter der Sozialpädagogischen Familienhilfe Elternkurse und Elterngesprächskreise vorgehalten werden.

 

Daneben ist auch geplant, regelmäßige Sprechzeiten in den Familienzentren und in offenen Ganztagsgrundschulen zu entwickeln und umzusetzen.

 

 

VII.   Finanzierung

 

Die Verwaltung geht davon aus, dass zunächst 12 Elternkurse im Jahr nachgefragt werden. Daneben sollten sich in den Familienzentren Elternkreise etablieren können. Bei 1.400,00 € pro Elternkurs sind Ausgaben von 16.800,00 € im Jahr für die Elternarbeit zu kalkulieren. Sollten sich an den Familienzentren Elterngesprächskreise bzw. verstärkt Sprechstunden etablieren, so ist mit zusätzlichen Ausgaben von ca.: 20.000,00 € zu rechnen.

 

Inklusive der notwendigen zusätzlichen Stelle im ASD ergäbe sich folgende Rechnung:

 

Ausgaben:

 

Zusätzliche Personal ASD                                                              50.000,00 €

Elternkurse                                                                                   16.800,00 €

Gesprächskreise/Sprechstunden                                                   20.000,00 €

Gesamt:                                                                                    86.800,00 €

 

Einsparpotential:

63 Fam. SPFH * 890,00 € mtl. * 12 Monate                    =                 672.840,00 €

 

Geplantes Einsparpotenzial brutto                                                 672.840,00 €

./.geplante zusätzliche Ausgaben                                                  86.800,00 €

Einsparpotenzial netto                                                               568.040,00 €

 

 

Bei dieser Umsteuerung könnte demnach ein Einsparvolumen von 568.040,00 € realisiert werden.

 

 

VIII.  Exkurs

 

Das von der Verwaltung vorgeschlagene Projekt zur Einsparung im Bereich der Hilfen zur Erziehung kann kurzfristig zur finanziellen Entlastung des Budgets führen.

 

Darüber hinaus bietet es den anfragenden Eltern ein Angebot, welches geeignet ist, Erziehungskompetenzen zu reflektieren und zu steigern. Dabei kann dieses Angebot jedoch nicht die gleichen Hilfeeffekte erzielen, wie es Angebote können, die unmittelbar in der Familie bzw. im Familienalltag wirken.

 

Daneben bleibt festzuhalten, dass die Angebote zwar die Kompetenz der Eltern zu stärken versuchen, die betroffenen Kinder jedoch nicht unmittelbar Adressat der Hilfen sind. Hier ist es wichtig, im engen Kontakt mit den Kitas und den Schulen zu bleiben, um rechtzeitig zu erfahren, ob sich Problemverschärfungstendenzen abzeichnen.

 

Es gilt abzuwarten, ob die Familien, die eine Hilfe zur Erziehung beantragen, die unmittelbarer in der Familie wirkt, die Hilfeform des Elternkursus auch annehmen werden.

 

Es wird nötig sein, sehr genau zu beobachten, ob diese Umsteuerung der Erstanfragen nach Hilfen zur Erziehung langfristig nicht dazu führen kann, dass sich abzeichnende Problemlagen in Familien verfestigen und dadurch andere, teuere Hilfen notwendig werden.

 

 

IX.     Zusammenfassung

 

Im Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt ist deutlich gemacht worden, dass im Rahmen der Steuerung der Hilfe zur Erziehung noch Optimierungspotential besteht.

 

Die Verwaltung schlägt vor, zunächst mit dem Projekt der Elternkurse/Eltern-gesprächskreise die Möglichkeiten der Kostenersparnis über 2 Jahre zu erproben.

 

Dabei ist sich die Verwaltung durchaus bewusst, dass dieses Projekt auch Gefahren beinhaltet, da frühzeitige, unmittelbar in der Familie wirkende Hilfen in der o.g. Zielgruppe nicht mehr zur Verfügung gestellt werden sollen.