Betreff
Interkulturelle Bibliotheksarbeit
Vorlage
280/11
Aktenzeichen
FB 1/SB-wi
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Kulturausschuss nimmt das Konzept des Integrationsrates der Stadt Rheine vom 15. September 2010 zur Kenntnis.

 

Der Kulturausschuss stimmt dem Konzept der Stadtbibliothek zur Verbesserung des interkulturellen Angebotes zu und beauftragt die Stadtbibliothek,

 

  • einen Projektantrag mit dem Ziel der Erlangung von Fördermitteln vom Land zu stellen,

 

  • ab Jahresbericht 2011 laufend über die Umsetzung der Maßnahmen zu berichten.

Begründung:

 

Der Integrationsrat der Stadt Rheine hat am 15. September 2010 ein „Konzept zum systematischen Bestandsaufbau fremdsprachiger Literatur für die Stadtbibliothek Rheine“ besprochen. Der Integrationsausschuss empfahl, das Konzept im Kulturausschuss zu beraten (s. Niederschrift IR/004/2010).

 

Zur Vorbereitung dieses Konzeptes war der Vorsitzende des Integrationsrates, Herr Murali, in der Bibliothek. Gemeinsam mit der Bibliotheksleiterin wurden die bestehenden Angebote gesichtet. Zahlenmaterial über Bestand und Nutzung wurden seitens der Stadtbibliothek zur Verfügung gestellt.

 

Öffentliche Bibliotheken stellen sich auf die Bedürfnisse der Bewohner ihrer Kommunen ein. Die Bevölkerung ist heute multikulturell und multilingual zusammengesetzt. In bibliothekarischen Fachkreisen spricht man von „interkultureller Bibliotheksarbeit“, wenn es darum geht, die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen. Dieser Terminus betont die Ausrichtung auf das Verbindende der Kulturen, während der Begriff „multikulturell“ eher das Nebeneinander verschiedener Kulturen meint.

 

Interkulturelle Bibliotheksdienste nennt man somit diejenigen Angebote, die sich auf die Bedürfnisse der multikulturellen Gesellschaft und ihre Mitglieder beziehen.

Dabei sind einige Fakten zu berücksichtigen:

 

Die „Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland“ (2008, www.sinus-institut.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/MigrantenMilieus_Zentrale_Ergebnisse_09122008.pdf ) hat u. a. ergeben:

 

„Die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind keine soziokulturell homogene Gruppe. Vielmehr zeigt sich – wie in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund – eine vielfältige und differenzierte Milieulandschaft. Insgesamt acht Migranten-Milieus mit jeweils ganz unterschiedlichen Lebensauffassungen und Lebensweisen konnten identifiziert, beschrieben und quantitativ bestätigt werden.“

 

Weiter wird festgestellt:

 

„Erfolgreiche Etablierung in der Aufnahmegesellschaft ist wesentlich bildungsabhängig. … Die meisten haben entsprechend einen ausgeprägten Bildungsoptimismus – der allerdings aufgrund von strukturellen Hürden, Informationsdefiziten und Fehleinschätzungen nicht immer in adäquate Abschlüsse und Berufspositionen mündet.“

 

„Ein wichtiger Integrationsfaktor ist die Beherrschung der deutschen Sprache.“

 

 

Die Studie „Lesen in Deutschland 2008“ der Stiftung Lesen – die wichtigste repräsentative Studie zum Leseverhalten in Deutschland, im Auftrag des Mundesministeriums für Bildung und Forschung erstelle (www.stiftunglesen.de/lesen-in-deutschland-2008/) – hat festgestellt:

 

„Bibliotheken sind diejenigen öffentlichen Bildungs- und Kultureinrichtungen, in denen Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich „angekommen“ sind, in denen sie nicht mehr unterrepräsentiert sind, sondern gleichberechtigt am Kultur- und Bildungsangebot teilnehmen. Unter den Befragten mit Migrationshintergrund liegt der Anteil der aktiven Bibliotheksnutzer mit 23 % sogar etwas über dem Durchschnitt von 19 %. Bibliotheken eignen sich hervorragend dafür, diese Bevölkerungsgruppe anzusprechen und mit speziellen Angeboten und Programmen den Integrationsprozess zu unterstützen.“

 

Die Situation in Rheine wird im Konzept des Integrationsrates dargestellt. In Rheine leben fast 12.000 Menschen mit Migrationshintergrund, davon haben ca. 4.300 nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Über 100 Nationalitäten und noch mehr Kulturen sind in Rheine vertreten.

 

Rund 15 % der Rheinenser haben also einen Migrationshintergrund. Der Prozentsatz liegt höher, je jünger die Menschen sind. Aus den Zahlen der Schulverwaltung wissen wir, dass fast 24% der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund haben.

 

Die Stadtbibliothek hat keine Möglichkeit festzustellen, wie viele ihrer Nutzerinnen und Nutzer einen Migrationshintergrund haben. Fest steht, dass 3,3 % der Entleiher nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben (zum Vergleich, Ausländer in Rheine:  5,6 %) - es sind 41 verschiedene Nationalitäten vertreten.

 

Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund die Dienste der Stadtbibliothek in Anspruch nehmen, wurde im Mai 2011 eine Stichprobenzählung der Besucher durchgeführt. Dabei wurde ermittelt, dass 37 % der Besucherinnen und Besucher einen Migrationshintergrund haben.

 

Die bundesweiten Erkenntnisse treffen also auch auf Rheine zu:

 

·         Die Bibliothek wird als ein Ort der Integration und des interkulturellen Lernens wahrgenommen.

 

·         Die Bibliothek und ihre Angebote werden ganz selbstverständlich in Anspruch genommen.

 

Es besteht aber durchaus Verbesserungsbedarf. Denn es ist auch nicht zu übersehen, dass „strukturelle Hürden, Informationsdefizite und Fehleinschätzungen“ bestehen.

 

Die Stadtbibliothek kann ihre interkulturellen Dienstleistungen verbessern, um Integration und interkulturelle Bildung zu fördern.

 

Folgende Maßnahmen zur Verbesserung sind nötig:

 

  1. Strukturelle Veränderungen – Zugang erleichtern

 

    1. Die Medien zum Spracherwerb werden zz. ganz neu aufgestellt, präsentiert und erschlossen.

 

Die Begehung mit Herrn Murali hat ein bestehendes Manko sichtbar gemacht. Medien zum Sprachenerwerb waren an unterschiedlichen Stellen des Hauses aufgestellt. Jetzt gibt es eine zentrale Abteilung in der Bibliothek, die aus der allgemeinen Systematik heraussticht. Unter dem Begriff SPRACHE sind nun alle Medien zum Spracherwerb, zum Lesen in Fremdsprachen, zum Hören von fremdsprachigen Texten zusammengefasst. Die Ordnung erfolgt in Klarschrift alphabetisch nach Sprachen. Dieses Ordnungssystem wird auch in die Kinderwelt übertragen werden.

 

    1. Die Benutzungsordnung soll in die in Rheine am häufigsten gesprochenen Sprachen übersetzt werden. Das ist unter anderem wichtig, damit Kindergärten und Schulen zur Vorbereitung auf Bibliotheksführungen den Kindern mit Migrationshintergrund eine Elterninformation mitgeben können, die diese auch verstehen.

 

    1. Überarbeitung der Homepage der Stadtbibliothek: eigene Einstiegsseite für interkulturelle Bibliotheksangebot; Benutzungsordnung und Hinweise in verschiedenen Sprachen.

 

      2. Bestandsaufbau, Bestandserschließung

 

         Die Hauptzielgruppe für den Bestandsaufbau für die interkulturelle Arbeit werden Kinder und Jugendliche sein. Dafür sind verschiedene Gründe ausschlaggebend. Zum einen ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund gerade bei den Kindern und Jugendlichen besonders hoch. Eine grundlegende Förderung der Sprachkompetenz in der Muttersprache und in Deutsch ist für den Bildungs- und Lebenserfolg ganz besonders wichtig. Die Stadtbibliothek kann hier besondere Unterstützung für Eltern, Erzieher und Lehrer bieten. Diese Zielgruppe kann darüber hinaus von der Bibliothek gezielt angesprochen werden. Die bestehende Partnerschaft Bibliothek und Schule ermöglicht es, allen Kindern Zugang zu den kulturellen Angeboten der Stadtbibliothek zu vermitteln. So haben auch die Kinder eine Chance der Teilhabe, bei denen eine Unterstützung durch die Familie nicht gegeben ist.

 

In folgenden Bereichen soll der Bestand ausgebaut werden (z. T. 2011 schon begonnen):

 

a.    Zweisprachige Bücher für Kinder

 

b.    Zweisprachige Bücher für den Spracherwerb für Jugendliche und Erwachsene

 

c.    Sprachkompetenz Deutsch, Sprachkurse, leichte Lektüre

 

d.    Muttersprachige Literatur, bes. zum Vorlesen

 

e.    Hörbücher in Fremdsprachen

 

f.     Erschließung der Sprachspuren der Spielfilme im Katalog – Suche nach Sprachen möglich machen.

 

g.    Beschaffung einer Lizenz, die den Zugang zur internationalen Presse an einem PC der Stadtbibliothek ermöglicht (www.pressdisplay.com) Zugang zu 1.700 Zeitungen aus 92 Ländern in 47 Sprachen)

 

3.  Bestandsvermittlung und Leseförderung

 

a. Vorlesestunden zweisprachig

 

b. Bibliotheksführungen für Integrationskurse und Kurse der Sprachoffensive Rheine

 

c. Bibliotheksführungen mit Dolmetscher

 

d. Literarische Veranstaltungen mit Autoren mit Migrationshintergrund.

 

 

Umsetzung und Finanzierung

 

Einige der aufgezeigten Maßnahmen werden schon seit Jahren angeboten, mit der Umsetzung anderer ist bereits 2011 begonnen worden. Die Finanzierung erfolgt aus dem laufenden Etat.

 

Als Anschub und Signal für diesen Arbeitsschwerpunkt erscheint es sinnvoll, ein Projekt zu beschreiben, für dass eine Landesförderung für 2012 beantragt werden kann. Dieses Projekt soll folgende Punkte umfassen:

 

  • Gestaltung und Erstellung von Flyern in mindestens fünf Sprachen zur Benutzungsordnung

 

  • Gestaltung und Erstellung von Flyern in mehreren Sprachen zum Vorleseprojekt der Bibliothek

 

  • Medienetat für einen Grundbestand an Literatur in portugiesischer und tamilischer Sprache

 

  • Fortbildung für Bibliotheksmitarbeiterinnen zum Thema interkulturelle Bibliotheksarbeit

 

Für die Umsetzung des Projektes wird versucht, über die Fachstelle Migration der Stadt ehrenamtliche Muttersprachler zu gewinnen, die bereit sind, bei Übersetzungsaufgaben, Katalogisierungsaufgaben und als Begleiter und Dolmetscher für Bibliotheksführungen zu helfen.

 

Das Team der ehrenamtlichen Vorleserinnen und Vorleser wird ab Sommer 2011 durch eine Dame mit türkischem Hintergrund bereichert. Dann werden deutsch-türkische Vorlesestunden möglich, Vorlesestunden mit englischen und französischen Elementen sind ebenfalls in Planung. Es wird angestrebt, den Kreis um Menschen mit weiteren Sprachkompetenzen zu erweitern.

 


Anlagen:

 

Anlage 1 – Konzept des Integrationsrates

Anlage 2 – Auszug aus dem Protokoll des IR