Betreff
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Sperrung der städtischen Straßen und Wirtschaftswege für den Transport von radioaktivem Material
Vorlage
295/11
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Rat der Stadt Rheine lehnt den Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen vom 25.05.2011 auf Sperrung der städtischen Straßen und Wirtschaftswege im Stadtgebiet von Rheine für den Transport von radioaktivem Material bzw. die Verhängung von Durchfahrtsverboten aus rechtlichen Gründen ab.

 


Begründung:

 

Mit Schreiben vom 25.05.2011 an den Rat der Stadt Rheine beantragt die Fraktion Bündnis90/Die Grünen die städtischen Straßen und Wirtschaftswege für den Transport von radioaktivem Material zu sperren bzw. Durchfahrtsverbote zu verhängen.

 

Die Stadt Rheine solle mit dieser Maßnahme den ersten Schritt einleiten, „atomfreie Stadt“ zu werden. Der Antrag nebst Begründung ist als Anlage 1 beigefügt.

 

Die Prüfung dieses Antrages durch die Verwaltung hat ergeben, dass eine solche Sperrung rechtlich nicht zulässig ist.

 

Das Straßen- und Wegegesetz (StrWG) des Landes Nordrhein-Westfalen sieht in § 14 vor, dass der Gebrauch der öffentlichen Straßen jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet ist (Gemeingebrauch). Die Straßen der Stadt Rheine sind im Regelfall ohne Einschränkungen für den öffentlichen Verkehr nach § 6 StrWG gewidmet worden. Durch eine Teileinziehung kann die Widmung einer Straße nachträglich auf bestimmte Benutzungsarten, Benutzungszwecke oder Benutzerkreise beschränkt werden (§ 7 StrWG).

 

Eine Beschränkung auf bestimmte Benutzungsarten wird üblicherweise vorgenommen bezogen auf die Art und Weise der jeweiligen Verkehrsteilnahme, z.B. Beschränkung auf Fußgänger, Radfahrer, Reiter, oder Ausschluss einzelner Fahrzeuggruppen wie Pkw, Lkw, Kräder oder auch durch Tonnagenbeschränkungen oder sonstige Vorgaben für Fahrzeugabmessungen.

 

Ein Ausschluss einer Benutzungsart (Verbot des Transportes von radioaktivem Material) durch eine Teileinziehung aller öffentlichen Straßen, ist aus Sicht der Verwaltung rechtlich schon deshalb nicht zulässig, weil die Stadt Rheine mit einem solchen Verbot die Grenzen des kommunalen Selbstverwaltungsrecht überschreiten würde.

 

Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Atomrecht liegt nach Artikel 73 Nr. 14 GG beim Bund.

 

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer Entscheidung vom 14.12.1990 zur „Atomwaffenfreie Zone“ München (BVerfGE 87,228) ausgeführt, dass die Erklärung des Gemeindegebietes zur „atomwaffenfreien Zone“ durch die Gemeindevertretung die dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde gezogenen Grenzen überschreitet. Das BVerfG führt in dem Urteil aus, dass die Gemeinde aus Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur ein kommunalpolitisches jedoch kein allgemeinpolitisches Mandat erlangt. Die Gemeinde ist von der Staatswillensbildung, soweit diese sich auf die Ausübung der verfassungsmäßigen Kompetenzen von Bund und Ländern richtet, ausgeschlossen.

 

Nach Auffassung der Verwaltung sind die in dem Urteil des BVerfG geäußerten Grundsätze auf die hier geäußerte Absicht des Verbotes des Transportes von radioaktivem Material im Gebiet der Stadt Rheine übertragen. Eine Regelung, die zum Ausschluss des Transportes von radioaktivem Material führt, greift unmittelbar in den Kompetenzbereich des Bundesgesetzgebers ein, da jeglicher Verkehr dieser Güter unmöglich gemacht wird. Hinter der intendierten politischen Aussage verbirgt sich auch nicht deshalb eine kommunale Angelegenheit, weil sich diese Transporte unmittelbar auf das Stadtgebiet Rheines auswirken können. Dies ist allein der Natur der Sache geschuldet, dass die kommunale Ebene der Gemeinde im Staatsaufbau an unterer Stelle steht. Es bedeutet aber nicht, dass damit – weil sich Bundesgesetze eben auch auf dieser Ebene auswirken – eine Angelegenheit zu einer kommunalen wird. Da auch nicht erkennbar ist, dass Transporte auf die Planungshoheit oder eine andere anerkannte Rechtsposition der Stadt Rheine „durchschlagen“ sondern deren Ausübung maximal im Rahmen der allgemeinen Gesetze konkretisieren, mangelt es der Stadt Rheine an der notwendigen Regelungskompetenz. Das Handlungsfeld „Atomenergie“ ist dem Regelungsbereich des Bundes durch das Grundgesetz übertragen worden.

 

Auch nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist eine solche Beschränkung nicht zulässig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung in erster Linie den Zweck haben, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sicherzustellen, also den Verkehrsfluss und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Daneben soll auch sichergestellt werden, dass andere Rechtsgüter nicht durch die verkehrliche Nutzung mehr als zumutbar beeinträchtigt oder aber beschädigt werden.

 

Zu diesem Zweck können Verbote, insbesondere auch Durchfahrtsverbote, für bestimmte Fahrzeuge verhängt werden. Ein generelles Durchfahrtsverbot auf allen städtischen Straßen für kennzeichnungspflichtige Kraftfahrzeuge mit gefährlichen Gütern (Verkehrszeichen 261) würde auch Transporte von radioaktivem Abfall erfassen.

 

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Verkehrszeichen generell nur angeordnet („angebracht“) werden dürfen, wenn eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abgewendet werden muss. Es muss also eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gegeben sein, wenn ein solches Verkehrszeichen nicht angeordnet wird. Dies wäre z.B. gegeben, wenn der Ausbauzustand der Straßen nicht für die Beförderung solcher Güter geeignet wäre. Dies kann aber allgemein für die Straßen in Rheine nicht festgestellt werden.

 

Im Übrigen würde ein solches generelles Verbot auch alle anderen Fahrzeuge, die kennzeichnungspflichtige gefährliche Güter transportieren, betreffen. Für eine solche Beschränkung auf Fahrzeuge aller Art gäbe es keinen hinreichenden sachlichen Grund, so dass sich eine solche verkehrsrechtliche Anordnung als rechtswidrig erweisen dürfte. In der Praxis hätte dies zur Folge, dass Firmen und auch Privatpersonen in Rheine nicht mehr mit kennzeichnungspflichtigen gefährlichen Gütern (z.B. Kraftstoffe) beliefert werden könnte, was aber im Alltagsleben unabdingbar ist.

 

Eine Beschränkung des Durchfahrtsverbotes auf Fahrzeuge mit radioaktivem Abfall sieht die StVO als Verkehrszeichen nicht vor. Aus Sicht der Verwaltung kann auch eine Anordnung über ein Zusatzschild („Nur für Fahrzeuge mit radioaktivem Material“) zu diesem Verkehrzeichen 261 nicht erfolgen. Die Anordnung eines Zusatzschildes kann ebenfalls nur vorgenommen werden, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gegeben ist.

 

Diese hohe Wahrscheinlichkeit kann aus Sicht der Verwaltung nicht mit der pauschalen Behauptung „Atomtransporte sind generell als unsichere Transporte einzustufen, bei denen ein Schadenseintritt sehr wahrscheinlich ist“ gerechtfertigt werden. Dabei ist zu beachten, dass diese Transporte nach der Strahlenschutzverordnung im Regelfall durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu genehmigen sind. Sicherheitsaspekte werden somit schon bei der Entscheidung über die Transportgenehmigung geprüft. Zudem kann eine solche generelle Wahrscheinlichkeit auch nicht mit empirischen Daten belegt werden.

 

In einer solchen Beschränkung dürfte aber auch ein unzulässiger Eingriff in Grundrechte Dritter zu sehen sein. Artikel 12 und 14 GG schützen die allgemeine Wirtschaftsfreiheit. Hier würde v.a. durch ein Transportverbot in durch Artikel 12 GG geschützte des Beruf des Transporteurs von solchen Gütern in unzulässiger Weise eingegriffen werden. Diese könnten im Geltungsbereich der Beschränkung keinen Transport von solchen Güternund wären somit in ihrer wirtschaftlichen Existenz – dann im Schutzbereich des Artikels 14 - gefährdet. Auf der Rechtfertigungsebene bliebe als Argument einerseits der Wunsch nach Freihaltung von atomaren Transporten – eine wegen der o.a. abstrakten Gefährdungslage – aber v.a. politischer denn sachlicher Aspekt.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass durch ein Verbot des Transportes von radioaktivem Material ein Betrieb von Strahlenkliniken und radiologischen Praxen in Rheine nicht mehr möglich sein dürfte, da auch diese radioaktives Material verwenden, welches transportiert werden muss.

 

Insgesamt ist der Antrag zurückzuweisen.

 


Anlagen:

 

Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen vom 25.05.2011