Betreff
Grundschuleinzugsbereiche
Vorlage
349/11
Aktenzeichen
-II-FB 1/40-
Art
Beschlussvorlage
Untergeordnete Vorlage(n)

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Schulausschuss beschließt in Anlehnung an die Stellungnahme von Herrn Dr. Garbe, welcher von der Stadt Rheine mit der Erstellung des integrierten Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplans für die Schuljahre 2012/13 – 2017/18 beauftragt worden ist, Grundschuleinzugsbereiche in Rheine nicht wieder einzuführen.

 

 


Begründung:

 

Historie

 

In § 39 Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.02.2005 wurde festgelegt, dass Schülerinnen und Schüler die für ihren Wohnsitz zuständige Schule besuchen, sofern Schulbezirke gebildet wurden.

 

In Ausnahmefällen konnten die Schulaufsichtsbehörden gemäß § 39 Abs. 3 Schulgesetz im Einvernehmen mit den beteiligten Schulträgern auf Antrag der Eltern aus wichtigem Grund den Besuch einer anderen als der zuständigen Schule gestatten.

Wichtige Gründe zur Genehmigung des Besuchs einer anderen als der schulbezirklich zuständigen Schule waren insbesondere:

 

-          nachschulische Betreuung durch einen zur Schule nahe gelegenen Hort

-          nachschulische Betreuung durch Freunde / sonstige Betreuungspersonen im Umfeld der Schule sowie

-          die Betreuung des Kindes nach Schulschluss in der schulnah gelegenen Arbeitsstätte der Erziehungsberechtigten.

 

Mit dem Schulrechtsänderungsgesetz vom 27.06.2006 wurde § 39 Schulgesetz ersatzlos aufgehoben, jedoch mit Anwendbarkeit dieser Vorschrift übergangsweise bis zum 31.07.2008. Den Schulträgern wurde das Recht eingeräumt, für Grundschulen die Wirkung des § 39 Schulgesetz bereits zum 01.08.2007 außer Kraft zu setzen. Von dieser Möglichkeit wurde in Rheine kein Gebrauch gemacht, so dass die Schulbezirksgrenzen am 01.08.2008 aufgehoben wurden.

 

Mit Schreiben vom 07.10.2010 hat die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen die Wiedereinführung der Schulbezirksgrenzen beantragt. In einem Schreiben an die Bürgermeisterin führt sie aus, dass sie aufgrund der Entwicklungen im Grundschulbereich eine Wiedereinführung der Grundschulbezirksgrenzen für notwendig halte, weil die seinerzeitige Auflösung der Bezirksgrenzen z. B. zu einer Bestandsgefährdung für die Konradschule und zu einer gesellschaftlichen Separierung in der Ludgerusschule Schotthock geführt habe.

 

 

Kapazitäten der Rheiner Grundschulen

 

Wegen des Wegfalls der Schulbezirksgrenzen zum 01.08.2008 wurde in der Ratssitzung am 28.10.2008 die Zügigkeit der Grundschulen festgelegt. Die Erfahrungen der Anmeldeverfahren seit dem Schuljahr 2008/2009 zeigen, dass an allen Rheiner Grundschulen grundsätzlich ausreichende Kapazitäten zur Aufnahme der Schülerinnen und Schüler vorhanden sind.

 

Lediglich in Ausnahmefällen mussten einzelne Aufnahmeanträge von Kindern ohne Bekenntnis oder von Kindern mit fremdem Bekenntnis an den Bekenntnisgrundschulen abgewiesen werden. In allen Fällen konnte den Erziehungsberechtigten jedoch ein alternativer Schulplatz an einer anderen, jedoch stets wohnartnahen Grundschule angeboten werden.

 

Vor dem Hintergrund der Klarstellung des Schulministeriums, wonach aus Gründen des Artikels 4 Grundgesetz den Bekenntniskindern bei der vorrangigen Aufnahme an Bekenntnisschulen solche Kinder gleichzustellen sind, deren Eltern ausdrücklich den Unterricht und die Erziehung in dem Bekenntnis wünschen, ist nun auch für die Zukunft zu erwarten, dass nahezu alle Kinder wohnortnah beschult werden können.

 

Anmeldeverhalten im Schuljahr 2011/2012

 

Im Durchschnitt wurden 15 % aller Schüler/innen nicht in der Schule ihres „Schulbezirkes“ angemeldet (Schuljahr 2011/2012).

Dabei weichen in folgenden „Schulbezirken“ die „abgewanderten“ Schüler/innen deutlich vom Durchschnitt ab:

 

Gertrudenschule                        28 % in anderem Schulbezirk

angemeldet

Ludgerusschule Schotthock       36 % in anderem Schulbezirk

angemeldet

Johannesschule Eschendorf       33 % in anderem Schulbezirk

angemeldet

Johannesschule Mesum             24 % in anderem Schulbezirk

angemeldet

 

Bei der Ermittlung der Zahlen wurde immer berücksichtigt, dass sowohl die Gemeinschaftsschule als auch die Bekenntnisschule als „richtiger“ Schulbezirk gilt. War ein Schüler z. B. der Michaelschule im Schulbezirk zugeordnet, aber an der Kardinal-von-Galen Schule angemeldet, so gilt er natürlich als in seinem Schulbezirk angemeldet.

 

Stellungnahme von Dr. Garbe vom 07.09.11 zur Wiedereinführung von Grundschulbezirken in Rheine

(Dr. Garbe wurde von der Stadt Rheine mit der Erstellung des integrierten Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplans für die Jahre 2012/13 – 2017/18 beauftragt.)

 

 

Einführung von Grundschulbezirken: Pro und Contra

Pro

Contra

Die Einführung von Schulbezirken führt zur Planungssicherheit für Schulträger und Schulen, da die Größe der Schulbezirke auf das Verhältnis von Geburten-/Einschulungspotential und Größe der Grundschule zugeschnitten werden kann.

Dies gilt nur, wenn in den „Bezirken“ die Geburten-/Einschulungspotentiale stabil bleiben. Dies ist in der Regel nicht der Fall, dann müssten die Schulbezirke wieder angepasst werden.

Durch die Schulbezirke wird die Heterogenität der Schülerschaft in den Grundschulen sichergestellt, weil die Beschulung in einem „fremden“ Schulbezirk erschwert wird. Somit werden überproportional hohe Migrationsanteile in einer Grundschule vermieden.

Dies gilt nur, wenn die Einwohnerschaft in einem Schulbezirk wirklich heterogen ist.

 

Allerdings sind Ausnahmeregelungen nicht wirklich zu verhindern. Genehmigungen von Ausnahmen wissen vor allem Eltern bildungsnaher Schichten durchzusetzen, um ihre Kinder an einer vermeintlich besseren Grundschule anzumelden.

Der Wettbewerb um Grundschüler ist aus pädagogischer Sicht eher fatal. Die Schulen können sich statt auf ihre Außendarstellung stärker auf die Arbeit mit den Kindern und den Unterrichtsalltag konzentrieren.

Die Einführung der Grundschulbezirke verhindert/erschwert die freie Wahl der Eltern und Erziehungsberechtigten einer Grundschule.
Damit wird der Anreiz zur Profilbildung und zur Qualitätsentwicklung für die Schule geringer.

Die Einführung von Grundschulbezirken stabilisiert die Vernetzung der Schule mit den vorschulischen Einrichtungen und den Vereinen im Bezirk.

Die Zusammenarbeit mit den vorschulischen Einrichtungen erfolgt im Kontext der Sprachförderung und des Übergangsmanagements bei jeder Grundschule – unabhängig von der Existenz von Bezirken.

Die Öffnung der Schule macht nicht an den Bezirksgrenzen halt, sondern die Auswahl der schulischen Partner orientiert sich am Schulprogramm und dem Willen zur Zusammenarbeit auf Seiten der Partner.

 

 

Die Einführung von Schulbezirken für die Gemeinschaftsgrundschulen erhöht das Anmeldepotential für alle Bekenntnisschulen als Schulen, die nicht bzw. nur für das jeweilige Bekenntnis von den  Bezirksgrenzen „tangiert“ sind.

Die Einführung von Schulbezirken sichert die Standorte von Grundschulen.

Die Einführung von Schulbezirken verhindert nicht bei zurückgehenden Schülerzahlen die kommunalpolitische Diskussion und Entscheidung über den Erhalt bzw. die Schließung von Grundschulstandorten bzw. die Einführung von Grundschulverbünden.
Die Zahl der Standorte definiert sich letztlich über die Entwicklung der Schülerzahlen und die Vorgaben des Schulgesetzes.

Der "Kinder-Schul-Tourismus": Kindertransport quer durch die Stadt wird verringert.

Kinder bildungsferner und sozial benachteiligter Familien können nicht mehr Vorbilder von den Kindern anderer Familien wahrnehmen.

Die lokale Bedeutung einer Schule im Wohnbezirk geht verloren; Leben im Wohnumfeld vermindert sich; Gemeinsames Leben mit anderen Familien und gleichaltrigen Kindern in der Nachbarschaft und gemeinsame Interessen bezüglich der Schule verschwinden.

Ohne Schulbezirke haben Eltern die freie Schulwahl; Elternzufriedenheit verbessert, weil man die Kinder bei "Seinesgleichen" mit besseren Chancen sieht.



Handlungsempfehlung von Dr. Garbe:

 

Auf der Basis unserer Erfahrungen in der Umsetzung von Schulentwicklungsplanungen hilft die Einführung von Grundschulbezirken mit dem Ziel, die Heterogenität bei ansonsten sich hinsichtlich der Zusammensetzung der Schülerschaft  problematisch entwickelnden Schulen herzustellen, wenig. Die Chancen, die Kinder über Ausnahmeregelungen,  die Anmeldung an einer Bekenntnisschule oder an einer reformpädagogisch orientierten Schule anzumelden, werden genutzt.

Aus durchaus begründeten gesellschaftspolitischen Gründen, den Elternwillen einzuschränken, ist eine Grundsatzfrage, die vermutlich nur auf der jeweiligen persönlichen Wertebasis entschieden werden kann.

 

In der Praxis scheinen mir folgende Punkte wichtiger als ein Disput über Grundsätzliches:

 

·         Hinsichtlich der Heterogenität in den Grundschulen ist das Verhältnis von Bekenntnisschulen und Gemeinschaftsschulen in einer Stadt viel problematischer. Zugespitzt könnte man sagen: wer Durchmischung und Heterogenität will, muss für das Angebot von Gemeinschaftsschulen sorgen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Dies ist keine Aussage gegen die Bedeutung von Religion oder fundamentalen Werten und ihrer Relevanz in der Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung.

·         Wenn es faktisch in einzelnen Sozialräumen einer Stadt „Problemschulen“ gibt, sollte deren Situation durch zusätzliche Anreize und Ressourcen (Pädagogik, Sozial- und Elternarbeit, Jugendhilfe, Diagnostik; Qualität der Infrastruktur etc.) verbessert werden.

 

Insofern empfehle ich, die Grundschulbezirke nicht wieder einzuführen.


gez. Dr. Garbe



 

 


Anlagen:

 

Antrag Bündnis 90 / Die Grünen zur Wiedereinführung der Schulbezirksgrenzen vom 07.10.2010