Betreff
Vormundschaftsreform und personelle Auswirkungen
Vorlage
446/11
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Jugendhilfeausschuss nimmt die Ausführungen der Verwaltung zu den Auswirkungen der Reform des Vormundschaftsrechts zur Kenntnis und beauftragt die Verwaltung, die weiteren Schritte zur Umsetzung rechtzeitig zu den Haushalts- und Stellenplanberatungen 2012 einzuleiten.


Begründung:

 

 

I.       Inhalte und Ziele der Reform

 

Durch das Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wird die persönlich geführte Vormundschaft, in Abkehr von der über viele Jahrzehnte praktizierten „Schreibtischvormundschaften“ nun explizit als gesetzliches Leitbild verankert: Der § 1800 BGB gibt dem Vormund verbindlich vor, „die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten“.

 

In diesem Sinne gibt das Gesetz regelmäßige Kontakte zwischen Vormündern/

Pfleger/inne/n und Kindern/Jugendlichen vor (§ 1793 Abs. 1 a BGB). Die gesetzliche Formulierung geht dabei von monatlichen Kontakten aus, lässt aber Spielraum dafür, die Häufigkeit der Besuche im Einzelfall den Erfordernissen der Situation der Kinder/Jugendlichen anzupassen. Hier spielt der jeweils festgelegte Aufenthalt der Kinder/Jugendlichen eine gewichtige Rolle.

 

Die neuen Vorschriften des BGB finden grundsätzlich auf alle Vormundschaften und Pflegschaften Anwendung.

 

Als grundlegende Bedingung für die persönlich geführte Amtsvormundschaft/-pflegschaft im Jugendamt wird eine maximale Fallzahl von 50 Vormundschaften/Pflegschaften pro Vollzeitstelle verankert (§ 55 Abs. 2 SGB VIII). Eine Anhörung des Kindes/Jugendlichen in der Regel vor der Übertragung der Vormundschaft auf eine Fachkraft im Jugendamt ist künftig verpflichtend (§ 55 Abs. 2 SGB VIII).

 

 

II.             Zeitlich versetztes Inkrafttreten der Vorschriften

 

Das Gesetz tritt zu zwei zeitlich versetzten Zeitpunkten in Kraft. Ein Teil der Vorschriften ist schon seit dem 06. Juli 2011 wirksam, ein weiterer Teil, darunter die Neuregelung im SGB VIII zur Senkung der Fallzahlen wird am 05. Juli 2012 in Kraft treten.

 

Die Vorschriften, die zum 06. Juli 2011 in Kraft getreten sind, beinhalten

 

·         die Verpflichtung zum kontinuierlichen Kontakt zwischen Vormund/Pfleger/in und Kind/Jugendlichen (§ 1793 Abs. 1 a BGB);

 

·         das Gebot, die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten (§ 1800 s. 2 BGB);

 

·         Berichtspflichten an das Familiengericht im Hinblick auf die persönlichen Kontakte (§ 1840 S. 2 BGB).

 

Die Vorschriften des Gesetzes, die ein Jahr später, am 05. Juli 2012 in Kraft treten, betreffen

 

·         die familiengerichtliche Aufsicht über die Vormünder/Pfleger/innen (§ 1837 Abs. 2 BGB)

 

·         die Neuregelungen des § 55 Abs. 2 und 3 SGB VIII, nämlich

 

¤         die Anhörung des Kindes/Jugendlichen vor Auswahl der/

die Vormundschaft/Pflegschaft führenden Fachkraft im

     Jugendamt;

 

¤   die Begrenzung der Fallzahl auf 50 pro Vollzeitkraft;

 

¤         die Maßgabe, dass der Kontakt zum Kind/Jugendlichen durch

den Amtsvormund/die Pfleger/in persönlich wahrzunehmen

ist (§ 55 Abs. 2 und 3 SGB VIII).

 

Die getroffenen Regelungen zum versetzten Inkrafttreten sollen die Jugendämter in die Lage versetzen, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen und die ggf. notwendige Aufstockung der personellen Ressourcen vorzubereiten. Trotz des zeitlichen Aufschubs bis Juli 2012 sind die gesteigerten Anforderungen an den Kontakt zwischen den Beteiligten bereits wirksam. Für den Fall, dass der monatliche Kontakt in dem Übergangsjahr nicht stattfindet, soll dieses sanktionslos bleiben.

 

Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht empfiehlt, den Übergangszeitraum u.a. dafür zu nutzen, dass Absprachen zur Umsetzung des neuen Rechts mit den örtlich zuständigen Familiengerichten getroffen werden. Diese Terminabstimmung findet zurzeit statt.

 

III.    Fallzahl 50: Ermittlung von Fallzahlen, Personalbedarf

 

Das Gesetz schreibt vor, dass eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft im Jugendamt höchstens 50 Vormundschaften/Pflegschaften führen soll. Diese Fallzahl stellt die absolute Obergrenze dar, die in keinem Fall zu überschreiten ist. Hierbei ist zu beachten, dass es nicht zu einer statischen Betracht zu einem bestimmten Termin kommen darf, sondern das auch unterjährige Zu- und Abgänge bei der Ermittlung der Fallzahlen zu berücksichtigen sind.

 

Mischarbeitsplätze

 

In Rheine, wie in vielen anderen kleineren Jugendämtern, wurden den zuständigen Fachkräften gleichzeitig andere Aufgaben (Beratung und Unterstützung nach § 18 SGB VIII, Beistandschaften, Beurkundungen) übertragen. Insoweit spricht man hier von Mischarbeitsplätzen. Bei gleichzeitiger Wahrnehmung anderer Aufgaben soll eine Fachkraft, der Vormundschaften/Pflegschaften übertragen sind, entsprechend weniger Vormundschaften/Pflegschaften führen.

 

In dem Aufgabenbereich sind aktuell 4 Personen auf 3 Vollzeitstellen beschäftigt.

 

Folgende Fallzahlen wurden per 15.11.2011 ermittelt:

 

                                                                               42    Vormundschaften

                                                                               59    Pflegschaften

                                                                             708    Beistandschaften

                                                                             493    Beurkundungen

 

Das Vorhalten von Mischarbeitsplätzen in dem Aufgabenbereich ist nicht unumstritten. Jedoch wird insbesondere bei kleineren Jugendämtern im Hinblick auf notwendige Vertretungsregelungen das Vorhalten von Mischarbeitsplätzen nicht gänzlich vermeidbar sein.

 

Anhaltspunkte für die Fallzahlbelastung pro Vollzeitstelle lassen sich auch auf Empfehlung der Landesjugendämter aus der Kommunalen Orientierungshilfe für Baden Württemberg aus dem Jahre 2004 entnehmen. Hier werden folgende Fallzahlen pro Vollzeitstelle genannt:

 

4.375                              Beratungsfälle pro Jahr und Vollzeitkraft

230 – 270             Beistandschaften pro Vollzeitkraft

2.188                              Beurkundungen pro Jahr und Vollzeitkraft

 

Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Fallzahlen und den gesetzlichen Vorgaben bzw. Empfehlungen zur Fallzahlbelastung ergibt sich für Rheine mindestens folgender Personalbedarf:

 

101 Vormundschaften/Pflegschaften             =       2,02 Vollzeitstellen

708 Beistandschaften                                   =       2,83 Vollzeitstellen

493 Beurkundungen                                     =       0,23 Vollzeitstellen

Summe:                                                     =       5,08 Vollzeitstellen

 

 

Bei dieser Betrachtung sind die notwendigen Stellenanteile für den Aufgabenbereich der Beratung nicht berücksichtigt, da in der Vergangenheit eine entsprechende Erfassung nicht stattgefunden hat. Zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass auf Grund der Reform des Vormundschaftsrechts zukünftig das Kind/der Jugendliche vor der Auswahl der die Vormundschaft/Pflegschaft führenden Fachkraft im Jugendamt anzuhören ist. Hierbei handelt es sich um eine völlig neue Aufgaben, die es bislang nicht gab. Die Beratungsanteile werden sich damit nochmals erhöhen.

 

IV.     Vormundschaften und Pflegschaften außerhalb des Jugendamtes

 

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass auch Privatleute oder anerkannte Vereine Vormundschaften und Pflegschaften führen. Es obliegt jedoch ausschließlich dem Familiengericht zu entscheiden, wem die jeweilige Aufgabe übertragen wird. Insbesondere bei Vereinsvormundschaften stellt sich die Frage nach der Finanzierung, da ein zum Vormund oder Pfleger bestellter Verein keinen Vergütungsanspruch gegenüber der Landesjustizkasse hat.

 

Auf alle Fälle hat die Verwaltung sicherzustellen, dass eine Schulung und Begleitung der externen Vormünder jederzeit sichergestellt ist. Hier hat das Jugendamt eine Garantenstellung, derer sich das Familiengericht jederzeit bedienen kann.

 

Details sollen bei dem terminierten Gespräch mit dem Familiengericht erörtert werden.

 

V.      Zusammenfassung und Vorschlag zum weiteren Vorgehen

 

Die unter Ziffer III. vorgenommenen Berechnungen haben ergeben, dass unter Berücksichtigung der aktuellen Fallzahlen eine personelle Ausstattung mit mindestens 5 Vollzeitstellen vorgehalten werden muss. Unter Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen 3 Vollzeitstellen ergibt sich ein Minimum an Stellenmehrbedarf von 2 Stellen.

 

Dieser Stellenmehrbedarf ist bei den Stellenplanberatungen für das Jahr 2012 zu berücksichtigen. Zusätzlich sind die Beratungsfälle ab Dez. 2011 zu erfassen, um den abschließenden Stellenmehrbedarf zu festzustellen.

 

In die abschließende Betrachtung sind auch die Ergebnisse aus den Gesprächen mit dem Familiengericht insbesondere zum Thema der Vereinsvormundschaften einzubeziehen.