Betreff
Einführung eines Sozialtickets im Gebiet der Stadt Rheine hier: Antrag der SPD-Fraktion vom 30.06.2012
Vorlage
459/12
Aktenzeichen
5/FC-stu
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Rat der Stadt Rheine lehnt den Antrag der SPD-Fraktion vom 30.06.2012 zur Einführung eines SozialTickets im Gebiet der Stadt Rheine ab.

 

 


Begründung:

 

Das Land Nordrhein-Westfalen gewährt nach Maßgabe der Richtlinien Sozialticket 2011 vom 08.08.2011 Zuwendungen zur Förderung von Sozialtickets im Öffentlichen Personennahverkehr. Das Angebot von Sozialtickets soll der Teilhabe aller Bevölkerungsschichten an einem durch Mobilität bestimmten Leben dienen. Das Förderprogramm ist zeitlich begrenzt bis zum 01.01.2016.

 

Die SPD-Fraktion hat hierzu mit Datum vom 30.06.2012 einen Antrag zur Einführung des Sozialtickets auf dem Gebiet der Stadt Rheine gestellt.

 

Die Verkehrsgesellschaft der Stadt Rheine hat hierfür ein mögliches Verfahren erarbeitet. In der Stadt Rheine gibt es ca. 6.100 berechtigte Personen. Auf der Grundlage des FirmenAbo/Jobticket (Abo in Preisgruppe 2 Stadtgebiet Rheine für 34,30 €) wird den Berechtigten das Sozialticket mit einem Eigenanteil von 20,- € pro Monat angeboten. Durch die Stadt Rheine würde das Jobticket als Sozialticket dann mit 171,60 € (14,30 € x 12 Monate) rabattiert. Die auf der Basis von 2011 errechnete Förderung würde für ca. 10 % der Berechtigten ausreichen (also ca. 600 Personen). Damit der Stadt Rheine keine Kostenbeteiligung entsteht, müsste die Abgabe des Sozialtickets nach dem „Windhundprinzip“ erfolgen. In den Richtlinien Sozialticket 2011 wird ausdrücklich bestimmt, dass mindestens allen nach der Richtlinie Berechtigten das Sozialticket angeboten werden muss. Das sog. Windhundprinzip würde diesem Grundsatz widersprechen und den Personenkreis ohne Vorliegen eines durch die Richtlinien gerechtfertigten Grundes einschränken.

 

Abgesehen von den rechtlichen Bedenken ist zudem zu beachten, dass die Gesamtförderung des Landes NRW im Verhältnis des Anteils des Zuwendungsempfängers an der Gesamtzahl der von IT.NRW für das Vorvorjahr ermittelten Hilfeempfänger nach SGB II und SGB XII unter Berücksichtigung der zeitanteiligen Geltung des Sozialtickets verteilt wird. D.h. je mehr Antragsberechtigte (Gebietskörperschaften) das Sozialticket einführen, desto geringer wird die Fördersumme für den einzelnen, so auch für die Stadt Rheine.

 

Wenn also mehr Berechtigte das Sozialticket beantragen als Fördermittel zur Verfügung stehen, muss die Stadt Rheine einen Eigenanteil zur Deckung der Rabattierung leisten.

 

Darüber hinaus ist bedingt durch die Einführung des Sozialtickets davon auszugehen, dass sich der Umsatz bei den übrigen Tickets verringern wird. Betroffen hiervon sind die Einzel-, Mehrfahrten- und TagesTickets (Barverkauf) aber auch die regulären MonatsTickets. Dieser Umsatzrückgang ist bei den o.g. Zahlen nicht berücksichtigt. Die Einnahmeausfälle würden sich zwar überwiegend bei der VSR als maßgebliches Verkehrsunternehmen in Rheine bemerkbar machen. Zur Zeit ist jedoch nicht abschätzbar, wie hoch die Einnahmeausfälle der übrigen Verkehrsunternehmen, die auf dem Gebiet der Stadt Rheine Verkehre durchführen, sind und ob diese einen Erstattungsanspruch gegen die Stadt Rheine geltend machen.

 

Der durch die Einführung eines Sozialtickets entstehende Verwaltungsaufwand ist nach den Richtlinien nicht förderfähig. Dieser umfasst u.a.:

 

·         Antragstellung Fördermittel über den Kreis Steinfurt

·         Abrechnung mit WVG/RVM, welche die Tickets ausstellt

·         ggf. Berechnung und Erstattung des zusätzlichen Aufwandes bei RVM (Druck der Ticketbögen, Postversand, Ausstellung der Tickets)

·         ggf. Berechnung und Erstattung Einnahmeausfälle der Verkehrsunternehmen

·         Klärung von Fragestellungen

·         Verwendungsnachweis für die Fördermittel

·         Prüfung der Antragsberechtigung und Ausfüllen der Anträge durch die Sozialverwaltung

 

Die weitere Förderung des Landes über den in der Richtlinie genannten Förderzeitraum nach 2015 ist ungewiss.

 

Abschließend kann festgestellt werden, dass das finanzielle Risiko für die Stadt Rheine neben dem entstehenden nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand sehr hoch ist, da die oben ausgeführten Kostenvariablen wie die Quote der Inanspruchnahme, der endgültige Landeszuschuss sowie Verlagerungseffekte nicht abgeschätzt werden können. Im Hinblick auf die Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung, die neue Ausgaben im Ergebnisplan ausdrücklich aussschließen. empfiehlt die Verwaltung, den Antrag der SPD-Fraktion zur Einführung des Sozialtickets abzulehnen.

 

Die Diskussion über die Einführung des Sozialtickets hat bereits in verschiedenen Gemeinden und Kreisen stattgefunden. Der Kreis Steinfurt hat die Einführung des Sozialtickets für das Gebiet des Kreises Steinfurt abgelehnt. Neben den finanziellen Aspekten war ein Grund für die Ablehnung des Kreises, dass das Sozialticket dem Lohnabstandsgebot widerspricht. Die Ausführungen hierzu aus der Sitzungsdrucksache des Kreises werden nachfolgend zitiert:

 

„Wie wirkt sich ein Sozialticket auf das Lohnabstandsgebot aus?

 Das nördliche Münsterland ist nach landesweiten Erhebungen gegenüber den Ballungszentren (Ruhrgebiet, Großraum Köln/Düsseldorf) einerseits geprägt durch relativ niedrige Kosten der Unterkunft, anderseits durch ein eher schwaches Lohnniveau. Ausgehend von dem Grundsatz, dass sich Arbeit lohnen muss, ist auch die Diskussion um das Lohnabstandsgebot in die Entscheidungsfindung einzubinden. Das Lohnabstandsgebot beinhaltet die Forderung, dass Einkommen, die als Sozialleistungen gewährt werden, deutlich unter den Einkommen liegen sollen, die in den unteren Lohngruppen am Arbeitsmarkt erzielt werden können.

 Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass sich trotz eines anfänglichen Einkommensüberhanges die Einkommensdifferenz zwischen Personen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und Empfängern von Leistungen nach dem SGB II bei genauerer Betrachtung durch zusätzliche Leistungen deutlich annähert.

  

Das Lohnabstandsgebot - Fehlanreize durch das Sozialticket?

Beispiel:

- vierköpfige Familie: Mutter (40 J.), Vater (40 J.), Sohn (13 J.), Tochter (5 J.)

- Kaltmiete: 400,- € monatlich

- Heizkostenabschlag: 90,- € monatlich

- Nebenkostenabschlag: 70,- € monatlich

Ausgehend von diesem Beispiel wird in den nachfolgenden Berechnungen das der Familie zur Verfügung stehende Nettoeinkommen bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II und bei Erwerbstätigkeit des Vaters mit einem Bruttoverdienst von 2.400,- € dargestellt.

1. Anspruch bei laufendem SGB II-Leistungsbezug

Familie im laufenden SGB II-Leistungsbezug (Einkommen: nur Kindergeld)

Regelbedarf Vater                   337,- €

Regebedarf Mutter                  337,- €

Regelbedarf Sohn                   251,- €

Regelbedarf Tochter               219,- €

Kaltmiete                                 400,- €

Heizkostenabschlag                  90,- €

Nebenkostenabschlag               70,- €

Gesamtbedarf Familie        1.704,- €

./. Einkommen

    (2 x 184,- € Kindergeld)       368,- €

Leistungsanspruch SGB II    1.336,- €

Die Familie verfügt im Ergebnis über ein Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 1.704,- € monatlich, bestehend aus Arbeitslosengeld II/Sozialgeld und Kindergeld. Bei der Berechnung sind evtl. einmalige Leistungsansprüche und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabpaket außer Betracht geblieben (siehe dazu 3.)

2. Verfügbares Einkommen bei Erwerbstätigkeit ohne Sozialleistungsbezug

Einkommen des Vaters:     2.400,- € brutto, rd. 1.795,- € netto (Steuerklasse 3)

Mit dem zur Verfügung stehenden Erwerbseinkommen des Vaters besteht kein laufender Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II und auch kein Anspruch auf Wohngeld.

Im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit fallen Kosten/Aufwendungen an, die das tatsächlich verfügbare Nettoerwerbseinkommen mindern. Nachfolgend wird das Einkommen um die im SGB II üblichen Absetzungsbeträge (ohne Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II) gemindert. Es wird von einem Arbeitsweg (einfacher Weg) von 15 km bei 19 Arbeitstagen monatlich und Kosten für die Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 35,- € monatlich ausgegangen:

Nettoerwerbseinkommen                              1.795,00 €

./. Fahrtkosten

    (19 Tage x 0,20 € x 15 km)                              57,00 €

./. Pauschale für Versicherungen                          30,00 €

./. Kfz-Haftpflichtversicherung                               35,00 €

./. Arbeitsmittelpauschale                                      15,33 €

tatsächlich verfügbar                                     1.657,67 €

zuzüglich Kindergeld                                           368,00 €

Verfügbares Nettoeinkommen                      2.025,67 €

Das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen liegt damit rund 322,- € über dem Gesamteinkommen der im SGB II-Leistungsbezug stehenden Familie (2.026,- € gerundet abzüglich 1.704 €).

3. Beurteilung des "Mehreinkommens" unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrages nach § 11b Abs. 3 SGB II

Im SGB II wird erwerbstätigen Leistungsberechtigten der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II zugestanden.

Der Freibetrag beträgt 20 % des Bruttoeinkommens zwischen 100,- € und 1.000,- € zzgl. 10 % des Einkommens zwischen 1.000,- € und 1.200,- € (1.500,- € bei minderjährigen Kindern in der Bedarfsgemeinschaft). Durch die Freibetragsregelung sollen Anreize zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit geboten werden.

Bei einer Antragstellung im SGB II würde der Beispielfamilie mit erwerbstätigem Vater und minderjährigen Kindern (siehe Ziffer 2.) dementsprechend ein Erwerbstätigenfreibetrag von 230,- € zustehen. Das im Bereich des SGB II anrechenbare Einkommen würde sich im Ergebnis wie folgt reduzieren:

Verfügbares Nettoeinkommen                        2.025,67 €

./. Erwerbstätigenfreibetrag                                230,00 €

anrechenbares Einkommen im SGB II        1.795,67 €

./. Bedarf nach dem SGB II                             1.704,00 €

Einkommen über SGB II-Niveau                       91,67 €

Das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen der Beispielfamilie mit erwerbstätigem Vater liegt im Ergebnis somit nur rund 92,- € oberhalb des Einkommensniveaus, ab dem ein Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II bestehen könnte.

4. Beurteilung des "Mehreinkommens"   unter Berücksichtigung einmaliger Leistungsansprüche und sonstiger Vergünstigungen bei laufendem SGB II-Leistungsbezug

Zu berücksichtigen ist, dass aus dem unter Ziffer 2. berechneten "Mehreinkommen" der Familie mit erwerbstätigem Elternteil von rund 322,- € auch Kosten zu bestreiten sind, für die im laufenden SGB II-Bezug stehende Familien ggf. zusätzliche Leistungen erhalten oder sonstige Vergünstigungen in Anspruch nehmen können. Dazu zählen u.a.:

Einmalige Leistungen für den Lebensunterhalt

- Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt

- Leistungen aus Anlass von Nachforderungen im Rahmen der Jahresabrechnung (Heiz- und Nebenkosten)

Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket

- Leistungen für Schulausflüge und Klassenfahrten (i.d.R. in Höhe der tatsächlichen Kosten)

- Schulbedarfspaket pro Kind und Jahr in Höhe von 100,- €

- Gutscheine für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (10,- € mtl. pro Kind)

- Leistungen für Mittagsverpflegung

- Leistungen für Lernförderung (Kosten für Nachhilfeunterricht)

Sonstige Vergünstigungen für SGB II-Bezieher

- Befreiung von der GEZ-Gebühr möglich (derzeit 17,98 € monatlich)

- vergünstigter Anschluss bei der Telekom möglich

- keine Elternbeiträge in Kindertageseinrichtungen etc.

- je nach Kommune Vergünstigungen in sonstigen Einrichtungen möglich (VHS, Musikschule, Bäder, etc.)

Hinweis:

Bei höheren zusätzlichen Belastungen (z.B. Heizkostennachforderung im Rahmen der Jahresrechnung, Klassenfahrten), die über 92,- € hinausgehen (s. Ziffer 3.), bestünde ggf. auch für die Familie mit Arbeitseinkommen in einzelnen Monaten Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II.

5. Fazit

Die Einführung eines Sozialtickets widerspricht dem Lohnabstandsgebot. Es besteht die Gefahr, dass Fehlanreize gesetzt werden, wenn der Erwerbstätige den ÖPNV zu den nicht durch das Sozialticket subventionierten Preisen in Anspruch nehmen muss (vgl. hierzu Beispiel zur "4. Frage"). Denn die über dem Preis des Sozialtickets hinausgehenden Mehraufwendungen müsste der Erwerbstätige aus seinem Einkommen bestreiten.

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