Betreff
Unbegleitete minderjährige Ausländer - Sachstand und notwendige Personalaufwendungen
Vorlage
428/15
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

1.   Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht der Verwaltung zur Entwicklung der unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen/Flüchtlinge in Rheine und die Informationen zur Gesetzesänderung des § 42 SGB VIII zur Kenntnis.

 

2.       Die Verwaltung wird beauftragt auf der Grundlage der gesetzlichen Änderungen und der faktischen Entwicklung in Rheine die erforderlichen Angebote und Maßnahmen für diesen Personenkreis zu realisieren und die notwendigen personalwirtschaftlichen Maßnahmen im Jugendamt

umzusetzen.


Begründung:

 

 

1.   Einleitung

 

Viele Menschen suchen aktuell Schutz vor Kriegen, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen und Perspektivlosigkeit. Nach Meinung der Vereinten Nationen sind schätzungsweise 50% der flüchtenden Menschen minderjährig. Die meisten Kinder und Jugendlichen flüchten dabei zusammen mit ihren schutzsuchenden Eltern und werden gemeinsame untergebracht und versorgt.

 

Aus unterschiedlichen Gründen kann es zur Trennung zwischen den Eltern und den Minderjährigen kommen, oder die Jugendlichen fliehen zunächst aufgrund mangelnder finanzieller Mittel alleine. Auch können jugendspezifische Gründe (Misshandlung, Missbrauch, etc.) Ursachen für eine alleinige Flucht sein.

Diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge/Ausländer/innen (kurz: UmF) sind in diesen Krisenzeiten die verletzlichsten Opfer und genießen § 42 III SGB VIII einen besonderen Schutz im Rahmen einer Inobhutnahme durch den öffentlichen Träger der Jugendhilfe am Ort ihrer Kontaktaufnahme.

 

Unbegleitete minderjährige Ausländer/innen sind nach den Erfahrungen des Jugendamtes Rheine in der Regel zwischen 15 und 17 Jahren, männlich und sind unterschiedlicher Herkunft.

 

Ein Erstkontakt mit dem Jugendamt erfolgt meistens ungeplant und kurzfristig, oder geplant nach einer Information aus der Notunterkunft des Landes.

Die aktuelle Entwicklung und ein vom Land NRW angenommener kommunaler Verteilschlüssel von 1:1750 (UmF pro Einwohner) entspricht für Rheine einer Zahl von 41 UmF.

 

Es ist zwingend notwendig, sich auf diese Entwicklung weiter einzustellen.

 

 

2.      Gesetzliche Änderungen mit Wirkung zum 01.11.2015 –

Neufassung des § 42 SGB VIII

 

Seit dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) aus 2005 sind die Jugendämter nach § 42 I S. 3 verpflichtet einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling in Obhut zu nehmen.

Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ….

3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.

 

Im Zuge der Flüchtlingsbewegungen in 2015 ist diese Verpflichtung zur Inobhutnahme von UmFs im Wesentlichen in Grenzregionen und in Großstädten in Erscheinung getreten. Die hohe Anzahl von unbegleiteten Minderjährigen konzentrierte sich bspw. in Grenzlandkreisen in Bayern und in NRW in den Kommunen Dortmund, Köln, Aachen und Bielefeld, und blieb auf der Basis der bestehenden Gesetzeslage mit diesen Kommunen dauerhaft verknüpft.

 

Mit dem Ziel eine gesetzliche Grundlage für eine „gerechte“ Verteilung und kommunale Belastung zu schaffen, ist zum 01.11.2015 das Gesetz zur Verbesserung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendliche

In Kraft getreten.

 

Danach wird zukünftig unterschieden zwischen einer Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen nach § 42 und einer vorläufigen Inobhutnahme von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise nach § 42a SGB VIII.

Das Jugendamt hat dann  im Rahmen einer vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen einzuschätzen,

 

  1. Ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung eines Verteilverfahrens gefährdet würde,
  2. Ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
  3. Ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit den Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen erfordert und
  4. Ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.

 

Auf der Grundlage dieser Einschätzung entscheidet das aufnehmende Jugendamt über eine Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen am Verteilungsverfahren von Bund (Bundesverwaltungsamt) und Land (Landschaftsverband Rheinland).

Das Jugendamt, dem nach Abschluss eines Verteilverfahrens ein Kind oder ein Jugendlicher zugewiesen worden ist, setzt dann gem. §42 SGB VIII die Inobhutnahme dauerhaft fort.

Aufwendungen, die nach § 42a oder nach § 42 von einem Jugendamt getätigt worden sind, werden vom überörtlichen Träger der Jugendhilfe(LWL) erstattet, wenn nachweisbar folgende Rahmenbedingungen erfüllt sind:

 

● innerhalb eines Monats nach der Einreise eines jungen Menschen Jugendhilfe gewährt wird,

 

● sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt dieser Person oder nach der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde richtet.

 

 

Die nachfolgende Schematische Darstellung soll die Verfahrensabläufe bei der Bearbeitung deutlich machen.

 


 

Schematische Darstellung der Abläufe innerhalb eines Jugendamtes

(Auszug aus den Handreichungen des MI und MFKJKS NRW und der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen)

 

3. Situation in Rheine

 

Mit Stand vom 09.11.2015 befinden sich in Zuständigkeit der Stadt Rheine insgesamt 46 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. 7 Maßnahmen wurden zwischenzeitlich nach „Abgängigkeiten“ eingestellt.

 

Bei Verwandten untergebracht sind 9 Jugendliche.

 

12 Minderjährige befinden sich in der Obhut eines freien Trägers der Jugendhilfe (Schutzstelle, Wohngruppe).

 

24 Unbegleitete befinden sich noch übergangsweise in Absprache mit dem dort zuständigen Träger in der Notunterkunft des Landes in der Damloup-Kaserne und werden bis zum 13.11.2015 in einer Gemeinschaftsunterkunft des Caritas Kinder- und Jugendheims in Zusammenarbeit mit der Stadt Rheine untergebracht. Dabei handelt es sich lediglich um eine kurzfristige Überbrückungsmaßnahme bis eine reguläre Unterbringung in einer Clearinggruppe umgesetzt werden kann.

 

5 Minderjährige, die nach dem 01.11.2015 mit dem Jugendamt Rheine den Kontakt aufgenommen hatten, sind vorläufig in Obhut genommen worden und zur Verteilung in einer anderen Kommune angemeldet worden.

 

In der internen Organisation des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes sind aufgrund der gestiegenen Fallzahlen erste Änderungen vorgenommen worden. So nehmen eine frühere Fachkraft, die sich in Rente befindet, und eine andere Fachkraft aus einen anderen Sachgebiet, die Aufgaben der Erstkontakte und die damit verbundenen Dokumentationspflichten wahr.

Eine weitere Fallbearbeitung dieser „Neufälle“ geht derzeit in Ermangelung weiterer personeller Ressourcen in eine jugendamtsinterne Verteilung auf alle aktuell einsatzfähigen Fachkräfte des ASD. Diese kurzfristige Lösung kann aufgrund der hohen allgemeinen Fallzahlen und der gestiegenen Zahlen an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht mittelfristig weiterverfolgt werden.

 

Grundsätzlich ist auf der Basis einer Beschreibung und Berechnung des Landesjugendamtes Bayern zu den Prozessschritten und Arbeitsvolumina in der Sachbearbeitung von Fällen mit unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen eine zusätzliche Personalressource im Verhältnis von 1:14 (ges. Personalbedarf JA zu UmF) notwendig. Ferner machen die derzeit sich ständig in Entwicklung befindlichen Handreichungen und Empfehlungen dringend eine zusätzliche Spezialisierung notwendig.


 

 

4.   Geplante und in Entwicklung befindliche Maßnahmen und Leistungen der Jugendhilfe für die Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge

 

In Absprache mit vor Ort tätigen freien Trägern der Jugendhilfe muss zunächst aufgrund der nicht sicher berechenbaren zukünftigen Inobhutnahmeersuchen vom UmFs grundsätzlich die Kapazität von Inobhutnahmeplätzen (auch als Überbrückungsmaßnahme) erweitert werden.

Weiter bedarf es des Ausbaus von Angeboten des ambulanten und stationären Clearings durch Jugendhilfeträger mit dem Ziel individueller Perspektivklärung oder einer Zusammenführung mit den Eltern.

 

Auf der Basis der Ergebnisse aus den Clearingverfahren müssen dann in der Folge individuelle Nachfolgemaßnahmen, ergänzt durch Integrationsleistungen, entwickelt und angeboten werden.

Im Folgenden handelt es sich dabei bspw. um:

 

    Intensivpädagogische stationäre Angebote

    Stationäre Hilfen (Heimplätze)

    Betreutes Wohnen

    Ambulante Unterstützungsangebote

    Akquirierung und Vorbereitung von Gastfamilien, Patenschaften und Sprachmittlern (bereits Arbeitsabsprachen zwischen dem JA Rheine und der Abteilung Pflegekinderwesen des CV Rheine)

    Ergänzende Integrationshilfen

 

 

5.   Aktuelle Arbeitsgruppe der Jugendämter im Kreis Steinfurt

 

Um möglichst kreisweit eine einheitliche Verfahrensweise und für alle Jugendämter ausreichende Ressourcen für diese in diesem Umfang neue Aufgabe vorhalten zu können, wurde eine kreisweite Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich im Wesentlichen mit nachfolgenden Fragestellungen beschäftigt:

-          Einheitliche Rechtspraxis

-          Einheitliche Vorgehensweisen

-          gemeinsame Strategie im Umgang mit den Leistungsanbietern der Jugendhilfe (Freie Träger)

 

In einem weiteren Treffen der Jugendämter mit den großen Trägern der ambulanten und stationären Hilfen sind gemeinschaftlich die Optionen und Möglichkeiten des kurzfristigen und mittelfristigen Ausbaus von benötigten Jugendhilfeleistungen thematisiert worden. Ein weiteres Treffen mit der Aktualisierung der einzelnen Vorhaben und Planungen wird noch vor der nächsten Jugendhilfeausschusssitzung erfolgen. 

Es geht bei diesen Treffen um einen abgestimmter Ausbau der notwendigen Jugendhilfeangebote, da keine strukturelle Strategie des Landesjugendamtes als Bewilligungsbehörde zu erwarten ist.

 

 

 

6.   Notwendiger verwaltungsinterner personalwirtschaftlicher Bedarf

 

Zur Sicherstellung qualifizierter Schutzmaßnahmen für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die Steuerung von Clearingprozessen und individuellen Hilfen, die Wahrnehmung der Aufgaben der Vormundschaften und Pflegschaften, sowie Aufgaben der Kostenbewilligung und –erstattung ergeben sich notwendige Personalbedarfe in den nachfolgenden Aufgabenbereiche:

 

        Vormundschaften und Pflegschaften

        Allg. Sozialen Dienstes

        Wirtschaftlichen Jugendhilfe

 

Die differenzierte und sich aktuell stetig in Veränderung und Verbesserung befindliche Anwendungspraxis erfordert mittelfristig eine Spezialisierung in diesen Aufgabengebieten, um die Aufgaben sachgerecht und ökonomisch erbringen zu können.

 

Nach einer Analyse der Prozessabläufe des Landesjugendamtes Bayern wird ein Gesamtpersonalbedarf von 1 Fachkraft auf 14 UmFs ausgegangen. Bei einer derzeitigen Anzahl von mehr als 40 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Zuständigkeit des Jugendamtes Rheine und dem von der Landesregierung angenommenen Verteilungsschlüssel von 1:1750 wird von einem aktuell kurzfristigen Mindestpersonalbedarf von

 

1,0 Stellen Vormundschaften,

1,0 Stellen ASD und

0,3 Stelle WJH ausgegangen.

 

Für den Bereich der Vormundschaft und des ASD vgl. Vorlage zum Stellenplan.

Die zusätzliche Ressource für die wirtschaftliche Jugendhilfe soll in 2016 im Rahmen des bestehenden Stellentableaus im Fachbereich Jugend, Familie und Soziales abgebildet werden.

 

 

 

7.   Prognose zur Entwicklung der Aufwendungen und Erträge in diesen neuen Aufgabenbereich

 

 

Wie schon oben beschrieben, soll im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruches gegenüber dem Landesjugendamt die Hilfe für UmF kostenneutral im Haushalt abgebildet werden können. Ausgehend von den 350 Mio € Bundesmitteln ist sowohl im Ertrag als auch auf der Ausgabenseite ein Betrag in identischer Höhe eingestellt worden.

 

Ob diese Beträge dann den tatsächlichen Ein- und Ausgaben entspricht, wird sich im Haushaltsvollzug zeigen.

 

 

Im Referentenentwurf des Landes NRW für ein Ausführungsgesetz zum

§ 42 SGB VIII ist beabsichtigt, pro UmF pro Jahr eine Kostenerstattung von 3.100 € zur Verfügung zu stellen. Bei derzeit 46 UmF wäre das ein Betrag von 142.000 € pro Jahr.

 

Die oben beschriebenen zusätzlichen Personalkosten wären damit refinanziert, so dass mit zusätzlichen haushalterischen Belastungen nicht gerechnet werden muss.

 

In einem Gespräch mit dem Ministerium am 10.11. 2015 ist ebenfalls geklärt worden, dass die Kostenerstattungsfristen, 1 Monat, erst ab Registrierung, laufen, so dass zunächst mit einer 100 % Refinanzierungsquote gerechnet werden kann.

 

Grundsätzlich lässt sich bei dieser Thematik, wie bei allen Problematiken im Kontext der Finanzierung der Flüchtlingshilfe festhalten, dass entweder in den laufenden Haushaltsplanberatungen oder in den jeweiligen Quartalsberichten in 2016 die dann aktuellen Erkenntnisse mitgeteilt werden müssen.