Beschlussvorschlag/Empfehlung:
1.
Der
Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht der Verwaltung zur Entwicklung der
unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen/Flüchtlinge in Rheine und die
Informationen zur Gesetzesänderung des § 42 SGB VIII zur Kenntnis.
2. Die Verwaltung wird beauftragt auf der Grundlage der gesetzlichen Änderungen und der faktischen Entwicklung in Rheine die erforderlichen Angebote und Maßnahmen für diesen Personenkreis zu realisieren und die notwendigen personalwirtschaftlichen Maßnahmen im Jugendamt
umzusetzen.
1.
Einleitung
Viele Menschen
suchen aktuell Schutz vor Kriegen, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen und
Perspektivlosigkeit. Nach Meinung der Vereinten Nationen sind schätzungsweise
50% der flüchtenden Menschen minderjährig. Die meisten Kinder und Jugendlichen
flüchten dabei zusammen mit ihren schutzsuchenden Eltern und werden gemeinsame
untergebracht und versorgt.
Aus
unterschiedlichen Gründen kann es zur Trennung zwischen den Eltern und den
Minderjährigen kommen, oder die Jugendlichen fliehen zunächst aufgrund mangelnder
finanzieller Mittel alleine. Auch können jugendspezifische Gründe
(Misshandlung, Missbrauch, etc.) Ursachen für eine alleinige Flucht sein.
Diese
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge/Ausländer/innen (kurz: UmF) sind in
diesen Krisenzeiten die verletzlichsten Opfer und genießen § 42 III SGB VIII einen
besonderen Schutz im Rahmen einer Inobhutnahme durch den öffentlichen Träger
der Jugendhilfe am Ort ihrer Kontaktaufnahme.
Unbegleitete
minderjährige Ausländer/innen sind nach den Erfahrungen des Jugendamtes Rheine
in der Regel zwischen 15 und 17 Jahren, männlich und sind unterschiedlicher
Herkunft.
Ein Erstkontakt
mit dem Jugendamt erfolgt meistens ungeplant und kurzfristig, oder geplant nach
einer Information aus der Notunterkunft des Landes.
Die aktuelle
Entwicklung und ein vom Land NRW angenommener kommunaler Verteilschlüssel von
1:1750 (UmF pro Einwohner) entspricht für Rheine einer Zahl von 41 UmF.
Es ist zwingend
notwendig, sich auf diese Entwicklung weiter einzustellen.
2. Gesetzliche
Änderungen mit Wirkung zum 01.11.2015 –
Neufassung des § 42 SGB VIII
Seit dem Kinder-
und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) aus 2005 sind die Jugendämter
nach § 42 I S. 3 verpflichtet einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling in
Obhut zu nehmen.
… Das Jugendamt ist berechtigt und
verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn
….
3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer
Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge-
noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Im Zuge der
Flüchtlingsbewegungen in 2015 ist diese Verpflichtung zur Inobhutnahme von UmFs
im Wesentlichen in Grenzregionen und in Großstädten in Erscheinung getreten.
Die hohe Anzahl von unbegleiteten Minderjährigen konzentrierte sich bspw. in
Grenzlandkreisen in Bayern und in NRW in den Kommunen Dortmund, Köln, Aachen
und Bielefeld, und blieb auf der Basis der bestehenden Gesetzeslage mit diesen
Kommunen dauerhaft verknüpft.
Mit dem Ziel eine
gesetzliche Grundlage für eine „gerechte“ Verteilung und kommunale Belastung zu
schaffen, ist zum 01.11.2015 das Gesetz zur Verbesserung, Versorgung und
Betreuung ausländischer Kinder und Jugendliche
In Kraft getreten.
Danach wird
zukünftig unterschieden zwischen einer Inobhutnahme von Kindern und
Jugendlichen nach § 42 und einer vorläufigen Inobhutnahme von ausländischen
Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise nach § 42a SGB VIII.
Das Jugendamt hat
dann im Rahmen einer vorläufigen
Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen einzuschätzen,
- Ob das Wohl
des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung eines Verteilverfahrens
gefährdet würde,
- Ob sich eine
mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland
aufhält,
- Ob das Wohl
des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit den Geschwistern
oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen
erfordert und
- Ob der
Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des
Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der
vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme
eingeholt werden.
Auf der Grundlage
dieser Einschätzung entscheidet das aufnehmende Jugendamt über eine Anmeldung
des Kindes oder des Jugendlichen am Verteilungsverfahren von Bund
(Bundesverwaltungsamt) und Land (Landschaftsverband Rheinland).
Das Jugendamt, dem
nach Abschluss eines Verteilverfahrens ein Kind oder ein Jugendlicher zugewiesen
worden ist, setzt dann gem. §42 SGB VIII die Inobhutnahme dauerhaft fort.
Aufwendungen, die
nach § 42a oder nach § 42 von einem Jugendamt getätigt worden sind, werden vom
überörtlichen Träger der Jugendhilfe(LWL) erstattet, wenn nachweisbar folgende
Rahmenbedingungen erfüllt sind:
● innerhalb
eines Monats nach der Einreise eines jungen Menschen Jugendhilfe gewährt wird,
● sich die
örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt dieser Person oder
nach der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde richtet.
Die nachfolgende
Schematische Darstellung soll die Verfahrensabläufe bei der Bearbeitung
deutlich machen.
Schematische
Darstellung der Abläufe innerhalb eines Jugendamtes
(Auszug aus den
Handreichungen des MI und MFKJKS NRW und der Landschaftsverbände Rheinland und
Westfalen)
3. Situation in Rheine
Mit Stand vom
09.11.2015 befinden sich in Zuständigkeit der Stadt Rheine insgesamt 46 unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge. 7 Maßnahmen wurden zwischenzeitlich nach „Abgängigkeiten“ eingestellt.
Bei Verwandten
untergebracht sind 9 Jugendliche.
12 Minderjährige
befinden sich in der Obhut eines freien Trägers der Jugendhilfe (Schutzstelle,
Wohngruppe).
24 Unbegleitete
befinden sich noch übergangsweise in Absprache mit dem dort zuständigen Träger
in der Notunterkunft des Landes in der Damloup-Kaserne und werden bis zum
13.11.2015 in einer Gemeinschaftsunterkunft des Caritas Kinder- und Jugendheims
in Zusammenarbeit mit der Stadt Rheine untergebracht. Dabei handelt es sich
lediglich um eine kurzfristige Überbrückungsmaßnahme bis eine reguläre
Unterbringung in einer Clearinggruppe umgesetzt werden kann.
5 Minderjährige,
die nach dem 01.11.2015 mit dem Jugendamt Rheine den Kontakt aufgenommen
hatten, sind vorläufig in Obhut genommen worden und zur Verteilung in einer
anderen Kommune angemeldet worden.
In der internen
Organisation des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes sind aufgrund
der gestiegenen Fallzahlen erste Änderungen vorgenommen worden. So nehmen eine
frühere Fachkraft, die sich in Rente befindet, und eine andere Fachkraft aus
einen anderen Sachgebiet, die Aufgaben der Erstkontakte und die damit verbundenen
Dokumentationspflichten wahr.
Eine weitere
Fallbearbeitung dieser „Neufälle“ geht derzeit in Ermangelung weiterer
personeller Ressourcen in eine jugendamtsinterne Verteilung auf alle aktuell einsatzfähigen
Fachkräfte des ASD. Diese kurzfristige Lösung kann aufgrund der hohen
allgemeinen Fallzahlen und der gestiegenen Zahlen an unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen nicht mittelfristig weiterverfolgt werden.
Grundsätzlich ist
auf der Basis einer Beschreibung und Berechnung des Landesjugendamtes Bayern zu
den Prozessschritten und Arbeitsvolumina in der Sachbearbeitung von Fällen mit
unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen eine zusätzliche Personalressource
im Verhältnis von 1:14 (ges. Personalbedarf JA zu UmF) notwendig. Ferner machen
die derzeit sich ständig in Entwicklung befindlichen Handreichungen und
Empfehlungen dringend eine zusätzliche Spezialisierung notwendig.
4.
Geplante und in
Entwicklung befindliche Maßnahmen und Leistungen der Jugendhilfe für die
Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge
In Absprache mit
vor Ort tätigen freien Trägern der Jugendhilfe muss zunächst aufgrund der nicht
sicher berechenbaren zukünftigen Inobhutnahmeersuchen vom UmFs grundsätzlich
die Kapazität von Inobhutnahmeplätzen (auch als Überbrückungsmaßnahme) erweitert
werden.
Weiter bedarf es
des Ausbaus von Angeboten des ambulanten und stationären Clearings durch Jugendhilfeträger
mit dem Ziel individueller Perspektivklärung oder einer Zusammenführung mit den
Eltern.
Auf der Basis der
Ergebnisse aus den Clearingverfahren müssen dann in der Folge individuelle Nachfolgemaßnahmen,
ergänzt durch Integrationsleistungen, entwickelt und angeboten werden.
Im Folgenden
handelt es sich dabei bspw. um:
► Intensivpädagogische stationäre Angebote
► Stationäre Hilfen (Heimplätze)
► Betreutes Wohnen
► Ambulante Unterstützungsangebote
► Akquirierung und Vorbereitung von Gastfamilien,
Patenschaften und Sprachmittlern (bereits Arbeitsabsprachen zwischen dem JA
Rheine und der Abteilung Pflegekinderwesen des CV Rheine)
► Ergänzende Integrationshilfen
5.
Aktuelle
Arbeitsgruppe der Jugendämter im Kreis Steinfurt
Um möglichst
kreisweit eine einheitliche Verfahrensweise und für alle Jugendämter
ausreichende Ressourcen für diese in diesem Umfang neue Aufgabe vorhalten zu
können, wurde eine kreisweite Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich im Wesentlichen
mit nachfolgenden Fragestellungen beschäftigt:
-
Einheitliche Rechtspraxis
-
Einheitliche Vorgehensweisen
-
gemeinsame Strategie im Umgang mit den
Leistungsanbietern der Jugendhilfe (Freie Träger)
In einem weiteren
Treffen der Jugendämter mit den großen Trägern der ambulanten und stationären
Hilfen sind gemeinschaftlich die Optionen und Möglichkeiten des kurzfristigen
und mittelfristigen Ausbaus von benötigten Jugendhilfeleistungen thematisiert
worden. Ein weiteres Treffen mit der Aktualisierung der einzelnen Vorhaben und
Planungen wird noch vor der nächsten Jugendhilfeausschusssitzung erfolgen.
Es geht bei diesen
Treffen um einen abgestimmter Ausbau der notwendigen Jugendhilfeangebote, da keine
strukturelle Strategie des Landesjugendamtes als Bewilligungsbehörde zu
erwarten ist.
6.
Notwendiger
verwaltungsinterner personalwirtschaftlicher Bedarf
Zur Sicherstellung
qualifizierter Schutzmaßnahmen für die unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge, die Steuerung von Clearingprozessen und individuellen Hilfen, die
Wahrnehmung der Aufgaben der Vormundschaften und Pflegschaften, sowie Aufgaben
der Kostenbewilligung und –erstattung ergeben sich notwendige Personalbedarfe
in den nachfolgenden Aufgabenbereiche:
● Vormundschaften und Pflegschaften
● Allg. Sozialen Dienstes
● Wirtschaftlichen Jugendhilfe
Die differenzierte
und sich aktuell stetig in Veränderung und Verbesserung befindliche Anwendungspraxis
erfordert mittelfristig eine Spezialisierung in diesen Aufgabengebieten, um die
Aufgaben sachgerecht und ökonomisch erbringen zu können.
Nach einer Analyse
der Prozessabläufe des Landesjugendamtes Bayern wird ein Gesamtpersonalbedarf
von 1 Fachkraft auf 14 UmFs ausgegangen. Bei einer derzeitigen Anzahl von mehr
als 40 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Zuständigkeit des
Jugendamtes Rheine und dem von der Landesregierung angenommenen
Verteilungsschlüssel von 1:1750 wird von einem aktuell kurzfristigen
Mindestpersonalbedarf von
1,0 Stellen Vormundschaften,
1,0 Stellen ASD und
0,3 Stelle WJH ausgegangen.
Für den Bereich
der Vormundschaft und des ASD vgl. Vorlage zum Stellenplan.
Die zusätzliche
Ressource für die wirtschaftliche Jugendhilfe soll in 2016 im Rahmen des
bestehenden Stellentableaus im Fachbereich Jugend, Familie und Soziales abgebildet
werden.
7.
Prognose zur
Entwicklung der Aufwendungen und Erträge in diesen neuen Aufgabenbereich
Wie schon oben
beschrieben, soll im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruches gegenüber dem
Landesjugendamt die Hilfe für UmF kostenneutral im Haushalt abgebildet werden
können. Ausgehend von den 350 Mio € Bundesmitteln ist sowohl im Ertrag als auch
auf der Ausgabenseite ein Betrag in identischer Höhe eingestellt worden.
Ob diese Beträge
dann den tatsächlichen Ein- und Ausgaben entspricht, wird sich im
Haushaltsvollzug zeigen.
Im
Referentenentwurf des Landes NRW für ein Ausführungsgesetz zum
§ 42 SGB VIII ist
beabsichtigt, pro UmF pro Jahr eine Kostenerstattung von 3.100 € zur Verfügung
zu stellen. Bei derzeit 46 UmF wäre das ein Betrag von 142.000 € pro Jahr.
Die oben
beschriebenen zusätzlichen Personalkosten wären damit refinanziert, so dass mit
zusätzlichen haushalterischen Belastungen nicht gerechnet werden muss.
In einem Gespräch
mit dem Ministerium am 10.11. 2015 ist ebenfalls geklärt worden, dass die Kostenerstattungsfristen,
1 Monat, erst ab Registrierung, laufen, so dass zunächst mit einer 100 % Refinanzierungsquote
gerechnet werden kann.
Grundsätzlich lässt
sich bei dieser Thematik, wie bei allen Problematiken im Kontext der
Finanzierung der Flüchtlingshilfe festhalten, dass entweder in den laufenden
Haushaltsplanberatungen oder in den jeweiligen Quartalsberichten in 2016 die
dann aktuellen Erkenntnisse mitgeteilt werden müssen.