Betreff
Grundsatzdiskussion zum Umgang mit Stein-, Kies- und Schottergärten in der Gartengestaltung
Vorlage
190/19
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag / Empfehlung:

 

Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz nimmt die Ausführungen und geplanten Handlungsbausteine zur Kenntnis und beauftragt die Stadtverwaltung mit deren Umsetzung.

 


Begründung:

 

In vielen deutschen Städten und Gemeinden lässt sich seit einiger Zeit ein kritischer Trend bei der Gartengestaltung, insbesondere der Vorgartengestaltung, beobachten. Zunehmend gehen Grundstückseigentümer dazu über, Stein-, Kies- und Schotterflächen anstelle von Gärten und Grünflächen anzulegen. Die Beweggründe für die immer „steriler“ ausgeprägte Gestaltung der Gärten und Vorgärten werden darin vermutet, dass die Eigentümer sich hiervon insbesondere einen geringen Pflegeaufwand sowie ein modernes, sauber gepflegtes Erscheinungsbild ihres Gartens oder Vorgartens versprechen.

Auch in Rheine ist dieser Trend zu beobachten. Es treten in den Vorgartenbereichen vermehrt Stein-, Kies- und Schotterflächen auf.

 

 

Probleme:

Aus klimarelevanter, entwässerungstechnischer, ökologischer sowie städtebaulicher Sicht führen die genannten Entwicklungen zu folgenden Problemen:

 

·         Beeinträchtigung des (Mikro-)Klimas und der Luftqualität

·         Versiegelung des Bodens und Verschlechterung des Wasserhaushalts

·         Verlust von Gartenflächen als Lebens- und Erlebensraum für Tier und Mensch

·         Beeinträchtigung des Stadtbildes

 

Beeinträchtigung des (Mikro-)Klimas und der Luftqualität

Flächige Stein-, Kies- oder Schotterbeete sind insbesondere für das Mikroklima und die Luftqualität im Siedlungsbereich ungünstig. Während Pflanzen in einem gärtnerisch gestalteten Garten und Vorgarten den Boden beschatten und für Verdunstungskühle sorgen, speichern Steine Wärme und strahlen sie ab. Die Rückstrahlungsintensität wird durch die Steinflächen und fehlende Bepflanzung erhöht. Es entsteht eine Bodenbelags- und Umgebungserwärmung. Die Luftqualität im Wohnumfeld leidet. Nicht zuletzt fehlt es an einer bei Pflanzen gewährleisteten Luftverbesserung durch die Sauerstoffbildung und Feinstaubbindung der Pflanzen. Bei den heutigen Kies-, Stein- und Schotterbeeten entfallen diese positiven Effekte.

 

Versiegelung des Bodens und Verschlechterung des Wasserhaushalts

Die zunehmend steinernen und oft ergänzend mit Vlies- oder Folienabdeckung als Unterbau und vermeintlichen Unkrautschutz versehenen Stein-, Kies- und Schotterflächen beeinflussen den Boden- und Wasserhaushalt negativ. Das Speicher- und Filtermedium Boden entfällt.

Die Niederschlagswasseraufnahme, -speicherung und Grundwasserneubildung wird gestört und vermindert. Als Problem kommt oft hinzu, dass auf den Steinflächen trotz Verboten häufig Herbizide eingesetzt werden. Diese können in die Kanalisation fließen und Gewässer verunreinigen.


 

Verlust von Gartenflächen als Lebens- und Erlebensraum

Durch den Wegfall grüner Gärten und Vorgärten kommt es zu einer Reduktion von einem in Summe bedeutsamen Lebensraum für heimische Pflanzen und Tiere. Die rund 17 Millionen Gärten in Deutschland bedecken etwa 1,9 Prozent der deutschen Landesfläche. Was sich zunächst wenig anhört, entspricht etwa der Gesamtfläche aller Naturschutzgebiete in Deutschland. „Angesichts dieser Zahlen und vor dem Hintergrund fortschreitender Zerstörung intakter Lebensräume in der freien Landschaft wird die enorme Bedeutung naturnah gestalteter Gärten offensichtlich.“ (NABU 2019)[1]

Begrünte Gärten haben für Bodenorganismen und für Insekten, die ihrerseits als „Dienstleister am Gesamt-Ökosystem“ fungieren, aber auch für viele bekannte gartenbewohnende Tier- und Pflanzenarten (Singvögel, Fledermäuse, Igel, …) einen wichtigen Stellenwert. Mit schwindenden naturnah bepflanzten Gartenflächen und den stattdessen angelegten Stein-, Kies- und Schotter“gärten“ gehen wichtige Bodenflächen und die in den klassischen, strukturreichen Gärten noch vorhandene Pflanzen- und Blühvielfalt verloren. Stein-, Kies- und Schottergärten beinhalten für Insekten und weitere gartenbewohnende Arten keine Refugien und Nahrungsgrundlagen mehr. Ohne Bäume, Sträucher, Hecken oder Gehölzstreifen fehlen wichtige Grünstrukturen, die für viele Vögel und Kleinsäuger Nist- und Rückzugsmöglichkeiten bieten. Aber auch der Mensch selbst verliert für sich selbst mit begrünt gestalteten Flächen Orte des Aufenthalts, der Erholung und des direkten Kontakts mit Natur und Umwelt.

 

Beeinträchtigung des Stadtbildes

Die im Stadtbild zunehmenden Stein-, Kies- und Schottergärten, in denen Steine flächig Verwendung finden und das hauptsächliche Gestaltungsmittel sind, wirken auf den Betrachter häufig leblos, monoton, trist, öde und steril. Anders als es bei einer Bepflanzung der Fall ist, bleiben derartig gestaltete Flächen ohne jahreszeitliche Veränderung. Es gibt kein oder kaum Leben in den durch die Schüttungen versiegelten Bereichen und das verwendete Material trägt mit seinen Eigenschaften dazu bei, dass aufgrund der oben genannten Assoziationen keine Behaglichkeit oder Wohlfühlatmosphäre vermittelt werden. Insbesondere bei einer Aneinanderreihung solcher Ausprägungen gestalten sie den Straßenraum monoton und wenig einladend. Wenn zu den Stein-, Kies- und Schottervorgärten anstelle von Hecken noch unbegrünte und oft blickdicht gewählte Einfriedungen (z.B. hohe Stabgitter-/Lamellenzäune oder steingefüllte Gitterkörbe) hinzu kommen, tragen diese Ausprägungen massiv dazu bei, dass der öffentliche Raum auf eine ausgeräumte Verkehrsfläche reduziert wird, die nur wenig bis gar keine Aufenthalts- oder Wohnquartiersqualität mehr bietet.

 

 

Vorschläge für Gegenmaßnahmen:

Um dem aus den verschiedentlich genannten Gründen negativ zu bewertenden Trend zu Stein-, Schotter- und Kiesbeeten entgegenzuwirken und die Gestaltqualität vor Ort wieder zu verbessern, wird es als sinnvoll und gerechtfertigt angesehen, bei zukünftigen Bebauungsplänen für Neubaugebiete, welche von der Stadt Rheine vermarktet werden, vorsorgliche Mindestvorgaben zur Gestaltung der Gärten und Vorgärten aufzunehmen.

Daneben wird es als zielführend erachtet, auch informell die Bürgerinnen und Bürger dazu zu ermutigen, ihre Vorgärten gärtnerisch und begrünt zu gestalten.

Die nachfolgenden drei Bausteine sollten als Ansätze für eine Kehrtwende zur derzeitigen Entwicklung zunehmender „Stein-, Kies- und Schottergärten“ verfolgt werden:

1.      Stadt Rheine als Vorbild

2.      Öffentlichkeitskampagne für Bürgerinnen und Bürger

3.      Festsetzungen zur Begrünung der Vorgärten und Gärten in Bebauungsplänen

1. Stadt Rheine als Vorbild

Die Stadt Rheine ist Eigentümerin zahlreicher Immobilien. Bei der Neugestaltung der Außenanlagen wird die Stadt Rheine in ihrer Vorbildfunktion zukünftig gestalterische und ökologische Aspekte bei ihren Immobilien verstärkt berücksichtigen. Mittels standortgerechter Bepflanzung und Begrünung sollen gestalterische Qualitäten geschaffen (vielfältig, strukturreich, bunt, artenreich, grün), gleichzeitig mit der Begrünung das Mikroklima sowie der Boden-/Wasserhaushalt begünstigt und die heimische Tier- und Pflanzenwelt gefördert werden.

Als erste Maßnahme wird in diesem Jahr der Vorbereich des Baubetriebshofs der Technischen Betriebe durch die Auszubildenden entsprechend neu gestaltet.

 

2. Öffentlichkeitskampagne für Bürgerinnen und Bürger

Um die Bevölkerung für das Thema Artenvielfalt und Grünflächen zu sensibilisieren, beabsichtigt die Stadt Rheine einen Informationsflyer nach Vorbild der Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW (s. Anlage) zu erstellen. Der Flyer soll z.B. als Information bei der Vermarktung von Baugrundstücken und bei der Erteilung von Baugenehmigungen verteilt werden.

Eine öffentliche Sensibilisierung bezogen auf den Gestaltwert von Grünflächen im Siedlungsraum und die Förderung der Identifikation und Befassung mit Grünbepflanzungen als bedeutendes Gestaltungselement streben auch die Technischen Betriebe der Stadt Rheine im Rahmen eines Projektes an. Der Bürgerschaft soll künftig angeboten werden, dass Bürger bei Interesse eine Beet-Patenschaft für öffentliche Grünbeete und kleinere Pflanz- oder Grünflächen übernehmen können. Eine Win-Win-Situation ist dabei möglich (geringerer Pflegeaufwand bei den TBR, höhere Identifikation und Gestaltungsmöglichkeiten für Bürger).

Nicht zuletzt ist von der Stadt Rheine eine öffentliche und kostenfreie Vortragsreihe beabsichtigt, welche die Gartengestaltung als Thema aufgreift und auf die Probleme der heutigen Stein-, Kies- und Schottergärten sowie auf Alternativen zum „Schottergarten“ hinweist. Diese Vortragsreihe könnte im Herbst 2019 starten und bis zum Frühjahr 2020 laufen. Im Rahmen dieser Reihe könnten auch Exkursionen im Stadtgebiet, z.B. in Kooperation mit dem NABU gestaltet und durchgeführt werden. Weitere Anreize über die Gestaltung von Gärten können auch Dach- und Fassadenbegrünungen sein. Auch dort prüft die Verwaltung derzeit inwieweit, gerade in der Innenstadt – Anreize gesetzt werden können.

 

 

3. Festsetzungen zur Begrünung der Vorgärten und Gärten in Bebauungsplänen

Der Gesetzgeber eröffnet durch das Baugesetzbuch (BauGB) mit den §§ 9 Abs. 1 Nrn. 20 und 25 grundsätzlich die Möglichkeit aus städtebaulichen Gründen Begrünungsfestsetzungen zu treffen.

Eine Festsetzung könnte beispielsweise wie unten formuliert werden. Auch hier muss jedoch in jeden Bebauungsplanverfahren die richtige und angemessene Festsetzung gefunden werden. Je nach Art des Gebietes, Vorgartengrößen o.ä. können andere Ausprägungen sinnvoll sein.

Textfeld: Beispiele für mögliche Festsetzungen 

Die nicht mit Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen (z.B. Zufahrten, Stellplätze, Terrassen, Wege und Müllstandplätze) überbauten Flächen eines Baugrundstückes sind zu begrünen und naturnah unter Beibehalt oder Anlage einer wasseraufnahmefähigen obersten Bodenschicht gärtnerisch zu gestalten. 
Die Bepflanzung dieser Garten- und Grünflächen ist strukturreich mit überwiegend standortgerechten, einheimischen Bäumen, Sträuchern und Stauden anzulegen. 
Eine flächige Gestaltung mit Steinen, Schotter und/oder Kies ist mit Ausnahme eines bis zu 1 m breiten Kiesstreifens um das Haus (Spritzschutz) nur außerhalb der Vorgärten bis maximal 5 m² zulässig. Als Vorgärten gelten die Grundstücksflächen zwischen der Grenze der zugeordneten Erschließungsanlage und der vorderen Baugrenze oder -linie inklusive deren seitliche Verlängerung bis zu den Grundstücksgrenzen.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Eine solche Festsetzung kann mit dem Ziel der Bewältigung der zuvor genannten Probleme im Sinne einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung und als Beitrag der Bauleitplanung, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln mit Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 20 begründet werden. Auch auf die im Naturschutzrecht bezeichneten Ziele und Maßnahmen kann bei der Begründung der Festsetzung von Mindestbegrünungsvorgaben zurückgegriffen werden (vgl. Söfker in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentierung zum BauGB, § 9 Rn. 158). Das Erfordernis ist jeweils in den Bebauungsplänen, in denen die Festsetzungen getroffen werden sollen, gesondert zu überprüfen und die Festsetzung gegenüber anderen in der konkreten Planung zu berücksichtigenden Belangen abzuwägen.

 

 

Bei den stadteigenen Grundstücksvermarktungen in neuen Baugebieten werden die vorgesehenen, im öffentlichen Interesse begründbaren Mindestbegrünungsvorgaben, welche die künftigen Grundstückseigentümer an die formulierten Vorgaben binden, in der Regel als praktikabel und gerechtfertigt angesehen. Hier sollen sie daher zukünftig grundsätzlich Anwendung finden. Bei allen anderen Bebauungsplanverfahren wird künftig im Einzelfall geprüft, ob die Aufnahme einer Festsetzung sinnvoll und gerechtfertigt ist.

 

 


Anlagen:

 

Anlage 1:         Flyer der Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW, Recklinghausen

                        „Blühende Vielfalt im Vorgarten - Muss es denn immer Schotter sein?“