Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Der Antrag der
FDP-Fraktion „Maßnahmen zur Attraktivierung der Innenstadt“ vom 11.03.2020,
Vorschlag 1: „Die Freigabe der Emsstraße von der Lingener Straße bis zur
Mühlenstraße für den Radverkehr wird rückgängig gemacht.“ wird abgelehnt.
Begründung:
Die FDP-Fraktion
im Rat der Stadt Rheine stellt mit Datum vom 11.03.2020 einen Antrag zur
Attraktivierung der Innenstadt. Der Antrag enthält zwei Vorschläge:
Vorschlag 1: Die
Freigabe der Emsstraße von der Lingener Straße bis zur Mühlenstraße für den
Radverkehr wird rückgängig gemacht.
Vorschlag 2: Die
Fußgängerzone wird für den Lieferverkehr nur noch von 19:00 bis 22:00 Uhr und
von 07:00 bis 11:00 Uhr freigegeben. Dieser Vorschlag wird an dieser Stelle
nicht behandelt und muss im zuständigen Gremium, HFA beraten werden.
Größere Bereiche der Fußgängerzone sind
seit September 2017 für Radfahrer freigegeben (vgl. Vorlage 227/17 sowie
420/19). Die Regelung, den östlichen Teil der Emsstraße in Rheine für den
Fahrradverkehr zu öffnen ist nach einer mehrjährigen Probephase mittlerweile
etabliert und wurde in den vergangenen Jahren mehrmals von Maßnahmen der
Öffentlichkeitsarbeit flankiert (zuletzt Sommer 2020).
Die öffentlichkeitswirksamen Kampagnen
hatten das Ziel, die gegenseitige Rücksichtnahme zu fördern und das
Gefährdungspotenzial zu senken. Die Kampagne stellte heraus, dass:
- Fußgänger Vorrang haben und nicht
behindert oder gefährdet werden dürfen
- Radfahrer zu Gast in der Fußgängerzone
sind und sich rücksichtsvoll verhalten müssen
- in der Fußgängerzone
Schrittgeschwindigkeit gilt und Radfahrer im Zweifel absteigen müssen.
Die Kampagne hat das Thema „Rücksicht
und Respekt“ erfolgreich im öffentlichen Bewusstsein grundsätzlich verankert.
Gleichwohl ist festzustellen, dass einige, wenige Radfahrer/innen durch nicht
angemessenes und zum Teil rücksichtsloses Fahren in der Fußgängerzone
auffallen. Flankierende Maßnahmen, wie die Optimierung der Beschilderung in der
Emsstraße tragen ebenfalls dazu bei, die Akzeptanz der Regelung weiter zu
fördern.
Abbildung 1
Kampagne Rücksicht und Respekt, März
2019
Abbildung 2
Kampagne Rücksicht und
Respekt, August 2020
In der Sitzung des Bauausschuss am
14.11.2019 wurde darauf hingewiesen, dass klare und eindeutige Verkehrszeichen und
Beschilderungen der Fußgängerzone fehlen. Diesen Hinweisen wurde nachgegangen.
Die Beschilderung in der Emsstraße wurde durch die Errichtung von
Doppelpfostenschildern jetzt erheblich optimiert. Die Hinweisschilder werden an
vier strategisch wichtigen Punkten in der Emsstraße aufgestellt, befinden sich
dann in Augenhöhe des Betrachters, sind dadurch deutlich besser wahrnehmbar und
eindeutiger beschriftet als die bisherigen Schilder.
Abbildung 3
Beispiel Beschilderung zur
Aufmerksamkeits-steigerung,
Installation vorauss. Herbst 2020
Unfallstatistik
der Kreispolizeibehörde
Die Auswertung der Unfallstatistik der
Kreispolizeibehörde ergab, dass sich im Bereich der Emsstraße in den Jahren
2017 bis 2019 keine meldepflichtigen Unfälle ereigneten. Auch Bagatellunfälle
unter Fahrradbeteiligung konnten nicht verzeichnet werden.
Eine aktuelle Abfrage der
Unfallstatistik für den Zeitraum vom Juni 2019 bis Juni 2020 ergab nach
Information des Verkehrskommissariats Rheine ebenfalls keine meldepflichtigen
Unfälle. Dies lässt den Schluss zu, dass die Dimension des Straßenraums in der
unteren Emsstraße ein gefahrfreies Nebeneinander von Radfahrern und Fußgängern
zulässt.
Forschungsvorhaben
„Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt“
Aus gegebenem Anlass soll an dieser Stelle auf die Ergebnisse einer aktuell veröffentlichten Studie eingegangen werden, die der Frage nachging, ob ein Nebeneinander von Fuß- und Radverkehr tatsächlich ein Sicherheitsrisiko in Fußgängerzonen ist?
Dieser Frage ging das NRVP-Forschungsvorhaben "Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt – Konflikte und Potenziale bei der Öffnung von Fußgängerzonen für den Radverkehr" nach – gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes (NRVP 2020) sowie vom Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL) und von der Stadt Offenbach a.M.
Untersucht wurde die Fragestellung, ob im Sinne des Schutzes des Fußverkehrs eine Freigabe von Fußgängerzonen für den Radverkehr abzulehnen und dieses ggf. mit ordnungsrechtlichen Mitteln durchzusetzen ist oder ob eine beschränkte bzw. vollständige Freigabe im Sinne einer Förderung des Radverkehrs und ggf. einer Belebung des Einzelhandels anzuraten ist.
Freigabe
verträglicher als vermutet
So hat sich in der Studie gezeigt, dass problematische Ereignisse oder Verhaltensweisen nach einer Fußgängerzonenfreigabe nicht zunahmen. Auch eine Verringerung der Aufenthaltsqualität konnte in den empirischen Befragungen nicht nachgewiesen werden. Die Verträglichkeit des Miteinanders stieg mit der Fußgängerdichte sogar an. Hohe Fußgängerdichten sind demnach kein Ausschlusskriterium für eine Radverkehrsfreigabe in Fußgängerzonen. Zudem wiesen radfahrende Kunden einen höheren Jahresumsatz im Einzelhandel auf als Kfz-fahrende Kunden. Daher wird davon ausgegangen, dass auch der innerstädtische Einzelhandel von einer Fußgängerzonenfreigabe für den Radverkehr profitieren kann.
In der vorliegenden Untersuchung hat sich damit die ganztätige versuchsweise Öffnung der Fußgängerzone in Offenbach und die erweiterte Öffnung in Gera als unproblematisch erwiesen. Die Ergebnisse für beide Städte sind zusätzlich detailliert in gesonderten Evaluationsberichten auf https://radsam‐kampagne.de/ zu finden.
Die Ergebnisse der Studie sollten jetzt jedoch keinen Anlass geben, die Freigabe für den ganzen Bereich der Emsstraße zu fordern. Die Verwaltung spricht sich nachdrücklich – dafür aus, das Radfahren im Bereich der Emsstraße zwischen Borneplatz und Nepomukbrücke weiterhin nur in dem Zeitraum von 19:00 bis 9:00 Uhr zu erlauben.
Begleitende
Öffentlichkeitsarbeit empfohlen
Die Studie empfiehlt, parallel zur Öffnung von Fußgängerzonen für Radfahrer öffentlichkeitswirksame Kampagnen durchzuführen. Exakt dieses wurde von Seiten der Stadt mit der Kampagne „Rücksicht und Respekt“ vollzogen. Die Kampagne der Stadt Rheine ähnelt der im Projektverlauf der Studie entwickelten und erfolgreich angewendeten Kampagne RADSAM. Diese steht Kommunen unter radsam-kampagne.de zur begleitenden Öffentlichkeitsarbeit bei einer Fußgängerzonen-Freigabe zur kostenlosen Verfügung und wird bereits verschiedentlich angewendet.
Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass:
1. Verkehrsunfälle zwischen Radfahrern
und Fußgängern im gesamten dreijährigen Zeitraum von Juni 2017 bis zum Juni
2020 nicht verzeichnet wurden.
2. Die Dimension des Straßenraums in der
unteren Emsstraße ein gefahrfreies Nebeneinander von Radfahrern und Fußgängern
grundsätzlich zulässt.
3. Die für den Radverkehr freigegebene Verbindung in der
Fußgängerzone im Sinne des Radverkehrskonzeptes der Stadt eine direkte, kurze
und attraktive Verbindungsachse zwischen dem nördlichen und südlichen
Stadtbereich darstellt.
4. Die Öffnung von Fußgängerzonen für den
Radverkehr mittlerweile in sehr vielen Städten etabliert wurde, zu
Umsatzsteigerungen des Handels beiträgt und keine Minderung der
Aufenthaltsqualität darstellt.
5. Eine erhöhte Kontrolldichte durch die
Polizei wünschenswert wäre, um Fehlverhalten entsprechend auch zu
sanktionieren.
Obschon eingewendet werden kann, dass
die erweiterte Öffnung der Fußgängerzone in Rheine vor allem von Fußgängern als
Komfortverlust empfunden wird, bestehen aktuell noch keine objektiv zwingenden
sicherheitsrelevanten Gründe dafür, die erweiterte Öffnung der Fußgängerzone für
Radfahrer zurückzunehmen. Die Ergebnisse der vorgenannten Studie legen nahe,
dass die Öffnung keine Minderung der Aufenthaltsqualität darstellt und der
Einzelhandel sogar von der Öffnung profitiert.
Die Verwaltung der Stadt Rheine sieht
daher noch keinen Anlass, die bestehende Regelung wieder aufheben zu lassen und
empfiehlt, den Antrag der FDP-Fraktion abzulehnen.
Auswirkungen auf den kommunalen
Klimaschutz
Die erweiterte Öffnung der Fußgängerzone für Radfahrer stellt eine Förderung des Radverkehrs dar und unterstützt die Klimaschutzziele der Stadt Rheine nachhaltig. Einkäufe mit dem Fahrrad werden überwiegend in der näheren Umgebung der Wohnorte erledigt. Fahrräder benötigen dabei nur ca. ein Sechstel eines Kfz-Stellplatzes zum Parken. Wenn es gelingt, auch nur einen Teil der kurzen Pkw-Einkaufsfahrten auf das Fahrrad zu verlagern, kann neuer planerischer Gestaltungsraum für eine bessere Aufenthaltsqualität in der Stadt gewonnen werden. Radfahrer stellen zudem eine kaufkräftige und treue Kundengruppe dar. Hindernissen beim Einkauf auf zwei Rädern sollte daher mit einem breiten Serviceangebot und komfortablen Abstellmöglichkeiten begegnet werden. Die Verwaltung verweist diesbezüglich auf die Vorlage 297/20 zur Errichtung von zusätzlichen Fahrradabstellanlagen in der Innenstadt.