Betreff
Maßnahmen zur Attraktivierung der Innenstadt
Vorlage
288/20
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

Der Antrag der FDP-Fraktion „Maßnahmen zur Attraktivierung der Innenstadt“ vom 11.03.2020, Vorschlag 1: „Die Freigabe der Emsstraße von der Lingener Straße bis zur Mühlenstraße für den Radverkehr wird rückgängig gemacht.“ wird abgelehnt.

 


Begründung:

 

Die FDP-Fraktion im Rat der Stadt Rheine stellt mit Datum vom 11.03.2020 einen Antrag zur Attraktivierung der Innenstadt. Der Antrag enthält zwei Vorschläge:

 

Vorschlag 1: Die Freigabe der Emsstraße von der Lingener Straße bis zur Mühlenstraße für den Radverkehr wird rückgängig gemacht.

 

Vorschlag 2: Die Fußgängerzone wird für den Lieferverkehr nur noch von 19:00 bis 22:00 Uhr und von 07:00 bis 11:00 Uhr freigegeben. Dieser Vorschlag wird an dieser Stelle nicht behandelt und muss im zuständigen Gremium, HFA beraten werden.

 

 

Größere Bereiche der Fußgängerzone sind seit September 2017 für Radfahrer freigegeben (vgl. Vorlage 227/17 sowie 420/19). Die Regelung, den östlichen Teil der Emsstraße in Rheine für den Fahrradverkehr zu öffnen ist nach einer mehrjährigen Probephase mittlerweile etabliert und wurde in den vergangenen Jahren mehrmals von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit flankiert (zuletzt Sommer 2020).

Die öffentlichkeitswirksamen Kampagnen hatten das Ziel, die gegenseitige Rücksichtnahme zu fördern und das Gefährdungspotenzial zu senken. Die Kampagne stellte heraus, dass:

- Fußgänger Vorrang haben und nicht behindert oder gefährdet werden dürfen

- Radfahrer zu Gast in der Fußgängerzone sind und sich rücksichtsvoll verhalten müssen

- in der Fußgängerzone Schrittgeschwindigkeit gilt und Radfahrer im Zweifel absteigen müssen.

Die Kampagne hat das Thema „Rücksicht und Respekt“ erfolgreich im öffentlichen Bewusstsein grundsätzlich verankert. Gleichwohl ist festzustellen, dass einige, wenige Radfahrer/innen durch nicht angemessenes und zum Teil rücksichtsloses Fahren in der Fußgängerzone auffallen. Flankierende Maßnahmen, wie die Optimierung der Beschilderung in der Emsstraße tragen ebenfalls dazu bei, die Akzeptanz der Regelung weiter zu fördern.

 

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Abbildung 1

Kampagne Rücksicht und Respekt, März 2019

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Abbildung 2

Kampagne Rücksicht und

Respekt, August 2020

 

 

In der Sitzung des Bauausschuss am 14.11.2019 wurde darauf hingewiesen, dass klare und eindeutige Verkehrszeichen und Beschilderungen der Fußgängerzone fehlen. Diesen Hinweisen wurde nachgegangen. Die Beschilderung in der Emsstraße wurde durch die Errichtung von Doppelpfostenschildern jetzt erheblich optimiert. Die Hinweisschilder werden an vier strategisch wichtigen Punkten in der Emsstraße aufgestellt, befinden sich dann in Augenhöhe des Betrachters, sind dadurch deutlich besser wahrnehmbar und eindeutiger beschriftet als die bisherigen Schilder.

http://www.rheine-buergerinfo.de/doctemp/67028537058742235959931058492580/05716019834220867983289092396067.png
 

 

 

 

 

 

 

 

 


Abbildung 3

Beispiel Beschilderung zur Aufmerksamkeits-steigerung,

Installation vorauss. Herbst 2020

 

 

 

Unfallstatistik der Kreispolizeibehörde

Die Auswertung der Unfallstatistik der Kreispolizeibehörde ergab, dass sich im Bereich der Emsstraße in den Jahren 2017 bis 2019 keine meldepflichtigen Unfälle ereigneten. Auch Bagatellunfälle unter Fahrradbeteiligung konnten nicht verzeichnet werden.

 

Eine aktuelle Abfrage der Unfallstatistik für den Zeitraum vom Juni 2019 bis Juni 2020 ergab nach Information des Verkehrskommissariats Rheine ebenfalls keine meldepflichtigen Unfälle. Dies lässt den Schluss zu, dass die Dimension des Straßenraums in der unteren Emsstraße ein gefahrfreies Nebeneinander von Radfahrern und Fußgängern zulässt.

 

Forschungsvorhaben „Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt“

Aus gegebenem Anlass soll an dieser Stelle auf die Ergebnisse einer aktuell veröffentlichten Studie eingegangen werden, die der Frage nachging, ob ein Nebeneinander von Fuß- und Radverkehr tatsächlich ein Sicherheitsrisiko in Fußgängerzonen ist?

Dieser Frage ging das NRVP-Forschungsvorhaben "Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt – Konflikte und Potenziale bei der Öffnung von Fußgängerzonen für den Radverkehr" nach – gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes (NRVP 2020) sowie vom Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL) und von der Stadt Offenbach a.M.

Untersucht wurde die Fragestellung, ob im Sinne des Schutzes des Fußverkehrs eine Freigabe von Fußgängerzonen für den Radverkehr abzulehnen und dieses ggf. mit ordnungsrechtlichen Mitteln durchzusetzen ist oder ob eine beschränkte bzw. vollständige Freigabe im Sinne einer Förderung des Radverkehrs und ggf. einer Belebung des Einzelhandels anzuraten ist.

Freigabe verträglicher als vermutet

So hat sich in der Studie gezeigt, dass problematische Ereignisse oder Verhaltensweisen nach einer Fußgängerzonenfreigabe nicht zunahmen. Auch eine Verringerung der Aufenthaltsqualität konnte in den empirischen Befragungen nicht nachgewiesen werden. Die Verträglichkeit des Miteinanders stieg mit der Fußgängerdichte sogar an. Hohe Fußgängerdichten sind demnach kein Ausschlusskriterium für eine Radverkehrsfreigabe in Fußgängerzonen. Zudem wiesen radfahrende Kunden einen höheren Jahresumsatz im Einzelhandel auf als Kfz-fahrende Kunden. Daher wird davon ausgegangen, dass auch der innerstädtische Einzelhandel von einer Fußgängerzonenfreigabe für den Radverkehr profitieren kann.

In der vorliegenden Untersuchung hat sich damit die ganztätige versuchsweise Öffnung der Fußgängerzone in Offenbach und die erweiterte Öffnung in Gera als unproblematisch erwiesen. Die Ergebnisse für beide Städte sind zusätzlich detailliert in gesonderten Evaluationsberichten auf https://radsamkampagne.de/ zu finden.

Die Ergebnisse der Studie sollten jetzt jedoch keinen Anlass geben, die Freigabe für den ganzen Bereich der Emsstraße zu fordern. Die Verwaltung spricht sich nachdrücklich – dafür aus, das Radfahren im Bereich der Emsstraße zwischen Borneplatz und Nepomukbrücke weiterhin nur in dem Zeitraum von 19:00 bis 9:00 Uhr zu erlauben.

Begleitende Öffentlichkeitsarbeit empfohlen

Die Studie empfiehlt, parallel zur Öffnung von Fußgängerzonen für Radfahrer öffentlichkeitswirksame Kampagnen durchzuführen. Exakt dieses wurde von Seiten der Stadt mit der Kampagne „Rücksicht und Respekt“ vollzogen. Die Kampagne der Stadt Rheine ähnelt der im Projektverlauf der Studie entwickelten und erfolgreich angewendeten Kampagne RADSAM. Diese steht Kommunen unter radsam-kampagne.de zur begleitenden Öffentlichkeitsarbeit bei einer Fußgängerzonen-Freigabe zur kostenlosen Verfügung und wird bereits verschiedentlich angewendet.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass:

1. Verkehrsunfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern im gesamten dreijährigen Zeitraum von Juni 2017 bis zum Juni 2020 nicht verzeichnet wurden.

2. Die Dimension des Straßenraums in der unteren Emsstraße ein gefahrfreies Nebeneinander von Radfahrern und Fußgängern grundsätzlich zulässt.

3. Die für den Radverkehr freigegebene Verbindung in der Fußgängerzone im Sinne des Radverkehrskonzeptes der Stadt eine direkte, kurze und attraktive Verbindungsachse zwischen dem nördlichen und südlichen Stadtbereich darstellt.

4. Die Öffnung von Fußgängerzonen für den Radverkehr mittlerweile in sehr vielen Städten etabliert wurde, zu Umsatzsteigerungen des Handels beiträgt und keine Minderung der Aufenthaltsqualität darstellt.

5. Eine erhöhte Kontrolldichte durch die Polizei wünschenswert wäre, um Fehlverhalten entsprechend auch zu sanktionieren.

Obschon eingewendet werden kann, dass die erweiterte Öffnung der Fußgängerzone in Rheine vor allem von Fußgängern als Komfortverlust empfunden wird, bestehen aktuell noch keine objektiv zwingenden sicherheitsrelevanten Gründe dafür, die erweiterte Öffnung der Fußgängerzone für Radfahrer zurückzunehmen. Die Ergebnisse der vorgenannten Studie legen nahe, dass die Öffnung keine Minderung der Aufenthaltsqualität darstellt und der Einzelhandel sogar von der Öffnung profitiert.

Die Verwaltung der Stadt Rheine sieht daher noch keinen Anlass, die bestehende Regelung wieder aufheben zu lassen und empfiehlt, den Antrag der FDP-Fraktion abzulehnen.

 

Auswirkungen auf den kommunalen Klimaschutz

Die erweiterte Öffnung der Fußgängerzone für Radfahrer stellt eine Förderung des Radverkehrs dar und unterstützt die Klimaschutzziele der Stadt Rheine nachhaltig. Einkäufe mit dem Fahrrad werden überwiegend in der näheren Umgebung der Wohnorte erledigt. Fahrräder benötigen dabei nur ca. ein Sechstel eines Kfz-Stellplatzes zum Parken. Wenn es gelingt, auch nur einen Teil der kurzen Pkw-Einkaufsfahrten auf das Fahrrad zu verlagern, kann neuer planerischer Gestaltungsraum für eine bessere Aufenthaltsqualität in der Stadt gewonnen werden. Radfahrer stellen zudem eine kaufkräftige und treue Kundengruppe dar. Hindernissen beim Einkauf auf zwei Rädern sollte daher mit einem breiten Serviceangebot und komfortablen Abstellmöglichkeiten begegnet werden. Die Verwaltung verweist diesbezüglich auf die Vorlage 297/20 zur Errichtung von zusätzlichen Fahrradabstellanlagen in der Innenstadt.