Betreff
Antrag Bündnis 90 / Die Grünen vom 27.05.2021 - Teilstationäres Angebot für Mütter/Väter/Eltern und KInder (Grundlage der §§ 27, 31 und 32 SGB VIII)
Vorlage
329/21
Art
Beschlussvorlage

Beschlussantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:

Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Stadt Rheine ein Konzept für ein teilstationäres Angebot für Mütter/Väter/Eltern und Kinder bis zu 6 Jahren auf der Grundlage der §§ 27, 31 und 32 SGB VIII zu entwickeln und dieses öffentlich auszuschreiben.

 

 

Beschlussvorschlag der Verwaltung:

Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Ausbau teilstationärer Hilfen für Familien in Rheine in der kommenden Sitzung der Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII „Ambulante erzieherische Hilfen“ vorzustellen und einen möglichen zusätzlichen Bedarf für die Familien in Rheine vor dem Hintergrund der bereits bestehenden differenzierten Angebote an ambulanten,  flexiblen und teilstationären Hilfen einzuschätzen.

Über das Ergebnis dieser Beratung wird die Verwaltung unaufgefordert den Jugendhilfeausschuss informieren.

 


Begründung:

Der Träger führt in seiner Antragstellung zutreffend aus, dass die Stadt Rheine über ein differenziertes Angebot an ambulanten und stationären Hilfen zur Erziehung verfügt.  Ambulante und flexible Hilfen zur Erziehung werden von ca. 10 Trägern in Rheine und für Familien aus Rheine angeboten. Ein Großteil dieser Hilfen wird im Rahmen einer für den Einzelfall geplanten sozialpädagogischen Familienhilfe oder in Erziehungsbeistandschaften angeboten. Darüber hinaus werden aufgrund sehr unterschiedlicher und individueller Bedarfe und Zielsetzungen der Familien Hilfen nach § 27 Abs. 3 angeboten. Solche Hilfen können und werden bei festgestellten Bedarfen auch in Kombination mit anderen Hilfen oder auch additiv eingerichtet.

 

Was der Antragsteller nicht benennt im Antrag ist das seit mehreren Jahrzehnten etablierte Angebot der teilstationären Hilfen nach § 32 SGB VIII, das hier in Rheine vom Caritas Kinderheim als Träger angeboten und durchgeführt wird.

Die Nachfrage nach Angeboten teilstationärer Hilfen nach § 32 SGB VIII ist in den vergangen Jahren in vielen Jugendamtsbereichen in NRW deutlich gesunken. Viele Jugendämter verfügen im Gegensatz zur Stadt Rheine nicht weiter über ein solches ortsnahes Angebot. Zurückzuführen ist die Nachfrageentwicklung in erster Linie auf den seit knapp 2 Jahrzehnten Ausbau an Angeboten der Offenen Ganztagsschulbetreuung.

 

Bei dem vom Antragsteller benannten Angebot der Hilfen nach § 19 – Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder handelt es sich nicht um Leistungen der Hilfen zur Erziehung, sondern um eine Leistung im 2. Abschnitt, Förderung der Erziehung in der Familie. Auch in diesem Segment (Hilfen nach § 19)  hält das Caritas Kinderheim eine Einrichtung mit einer ausreichenden Platzzahl bereit. Erfahrungsgemäß wird diese Mutter/Vater und Kind Einrichtung auch von anderen Jugendämtern aus dem Umland und auch aus ganz NRW belegt. Eine weitere Einrichtung nach § 19 bietet die evangelische Jugendhilfe in Hörstel an.

Insofern besteht für Elternteile aus Rheine, die alleine für ein Kind sorgen, eine gute Wahlmöglichkeit, die Zielsetzung des § 5 SGB VIII, Wunsch- und Wahlrecht, erfüllt.

 

Die im Antrag benannte Zielsetzung, zur Verhinderung von Kindeswohlgefährdungen eine Maßnahmenlücke zwischen ambulanten und vollstationären Hilfen (nicht Hilfen zur Erziehung, s. o.)  zu schaffen, kann insofern von der Verwaltung nicht ganz nachvollzogen werden, da bereits ein etabliertes teilstationäres Angebot und auch sehr individuelle ambulante Hilfen in Rheine praktiziert werden.

 

Die zudem in dem Antrag formulierte These, dass für besondere Fallkonstellation zwingend ein solches Angebot notwendig sei, da ansonsten zwischen der möglichen Weigerung der leistungsberechtigten Eltern, einer Maßnahmen nach § 19 zuzustimmen,  und den Präsenzzeiten einer ambulanten Familienhilfe der Kinderschutz strukturell gefährdet sein könnte, klingt zwar auf den ersten Blick recht einleuchtend,  verschiebt aber die Verantwortlichkeit für den Schutz  von Kindern vorschnell von den Eltern  in die Hände von Trägern und Jugendämtern.

Es ist Aufgabe der Jugendämter und der Träger der Jugendhilfe den Eltern diese grundgesetzliche Verantwortung für die Schutz ihrer Kinder als deren Aufgabe deutlich zu machen und sie dabei zu unterstützen. Unterstützung heißt in diesem Fall oft Informationen geben, Situationen üben, Neues Lernen und Verhalten trainieren.

Nicht ein spezielles oder genau das passende Angebot ist dafür verantwortlich, dass Eltern Lernfortschritte machen und den Kinderschutz selber sicherstellen können, sondern in erster Linie die Erkenntnis der eigenen Verantwortung, die Vorsatznahme zu Veränderungen und die tatsächliche, feststellbare Umsetzung von Lernschritten.

In diesem Sinn handeln die pädagogischen Fachkräfte vom Jugendamt oder Träger immer eher als Koproduzenden im Entwicklungsverlauf von Familien.

Selbst Einrichtungen nach § 19 können trotz dezidierter Kinderschutzkonzepte in den Mutter-Kind-Einrichtungen nicht Gefährdungssituationen sicher ausschließen, da leistungsberechtigte Eltern nicht einer Vollüberwachung unterliegen.

 

Nach § 78 SGB VIII soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Bildung von Arbeitsgemeinschaften anstreben, in denen neben ihnen die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe, sowie die Träger der geförderten Maßnahmen vertreten sind. In den Arbeitsgemeinschaften soll darauf hingewirkt werden, dass die geplanten Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden und sich gegenseitig ergänzen.

 

Nach § 79 SGB VIII (Abs. 1) obliegt dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. Nach Abs. 2 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährleisten, dass die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.

 

In § 80 SGB VIII ist die Planungsverantwortung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, sowie die Grundsätze einer Jugendhilfeplanung, normiert. Danach sollen in einer bereichsbezogenen Jugendhilfeplanung der Bestand an Einrichtungen und Diensten festgestellt, der Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse ermittelt und notwendige Vorhaben rechtzeitig und ausreichend geplant werden.

Damit ist das Prinzip einer Kreislaufprozessplanung im Bereich der Jugendhilfeplanung skizziert.

Die bisherige Arbeitspraxis der Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII orientiert sich an den o. g. Maßstäben und gesetzlichen Regelungen.

Mögliche neue oder zusätzliche Bedarfe, die sich aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen ergeben, werden fachlich in der AG erörtert und eingeschätzt.

Bspw. war in 2019 im Netzwerk der Frühen Hilfen ein möglicher Bedarf für Kinder psychisch kranker Eltern formuliert worden. Die Arbeitsgemeinschaft war zu Frage eines zusätzlichen Bedarfes beteiligt worden und hatte diese als einen solchen eingeschätzt.

Anschließend wurde im Rahmen eines Interessenbekundungs- und Konzeptentwicklungsverfahren  eine Entscheidung für ein Konzept und einen Träger getroffen. Mit dem Träger ist für einen Erprobungszeitraum von 2 Jahren eine Vereinbarung getroffen worden.

 

Die AG nach § 78 ist nach Auffassung der Verwaltung der gesetzlich normierte und  geeignete Ort mögliche zusätzliche Bedarfe zu erörtern und einzuschätzen. 

Es ist dann in der Tat im Anschluss daran Aufgabe des Jugendhilfeausschusses  einen Beschluss zu weiteren Angeboten und Dienstleistungen zu treffen, wenn diese Bedarfe nicht im Rahmen von flexiblen Hilfeplanungsgestaltungen gedeckt werden können.

Insofern schlägt die Verwaltung vor, vor einer Beratung und Beschlussfassung die Arbeitsgemeinschaft zu beteiligen.

 

Das sogenannte Subsidiaritätsprinzip sieht zudem für die Jugendhilfe vor, dass sich öffentliche Träger der Jugendhilfe (hier insbesondere der Teil des Jugendamtes) nur dann bei der Konzeptionierung und Realisierung von Angeboten beteiligen soll, wenn Träger der freien Jugendhilfe dazu nicht bereit und in der Lage sind. Daher sollte die Arbeitsgemeinschaft nach § 78 nicht nur zur Frage eines möglichen Bedarfs beteiligt werden, sondern die dort organisierten Träger sollten auch im Falle eines zusätzlichen Bedarfs bei der Konzeptionierung eingebunden, bzw. zumindest im Rahmen einer Interessenbekundung angefragt werden.

Vor diesem Hintergrund sieht sich die Verwaltung nicht als Adressat einer Konzeptentwicklung, sondern eher als Organisator einer dazu umzusetzenden Interessenbekundung.