Beschlussantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Der
Jugendhilfeausschuss beauftragt die Stadt Rheine ein Konzept für ein
teilstationäres Angebot für Mütter/Väter/Eltern und Kinder bis zu 6 Jahren auf
der Grundlage der §§ 27, 31 und 32 SGB VIII zu entwickeln und dieses öffentlich
auszuschreiben.
Beschlussvorschlag der Verwaltung:
Der
Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung den Antrag der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen zum Ausbau teilstationärer Hilfen für Familien in Rheine in der
kommenden Sitzung der Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII „Ambulante
erzieherische Hilfen“ vorzustellen und einen möglichen zusätzlichen Bedarf für
die Familien in Rheine vor dem Hintergrund der bereits bestehenden
differenzierten Angebote an ambulanten,
flexiblen und teilstationären Hilfen einzuschätzen.
Über das Ergebnis
dieser Beratung wird die Verwaltung unaufgefordert den Jugendhilfeausschuss
informieren.
Begründung:
Der Träger führt
in seiner Antragstellung zutreffend aus, dass die Stadt Rheine über ein
differenziertes Angebot an ambulanten und stationären Hilfen zur Erziehung
verfügt. Ambulante und flexible Hilfen
zur Erziehung werden von ca. 10 Trägern in Rheine und für Familien aus Rheine
angeboten. Ein Großteil dieser Hilfen wird im Rahmen einer für den Einzelfall
geplanten sozialpädagogischen Familienhilfe oder in Erziehungsbeistandschaften
angeboten. Darüber hinaus werden aufgrund sehr unterschiedlicher und
individueller Bedarfe und Zielsetzungen der Familien Hilfen nach § 27 Abs. 3
angeboten. Solche Hilfen können und werden bei festgestellten Bedarfen auch in
Kombination mit anderen Hilfen oder auch additiv eingerichtet.
Was der
Antragsteller nicht benennt im Antrag ist das seit mehreren Jahrzehnten
etablierte Angebot der teilstationären Hilfen nach § 32 SGB VIII, das hier in
Rheine vom Caritas Kinderheim als Träger angeboten und durchgeführt wird.
Die Nachfrage nach
Angeboten teilstationärer Hilfen nach § 32 SGB VIII ist in den vergangen Jahren
in vielen Jugendamtsbereichen in NRW deutlich gesunken. Viele Jugendämter
verfügen im Gegensatz zur Stadt Rheine nicht weiter über ein solches ortsnahes
Angebot. Zurückzuführen ist die Nachfrageentwicklung in erster Linie auf den
seit knapp 2 Jahrzehnten Ausbau an Angeboten der Offenen
Ganztagsschulbetreuung.
Bei dem vom
Antragsteller benannten Angebot der Hilfen nach § 19 – Gemeinsame Wohnformen
für Mütter/Väter und Kinder handelt es sich nicht um Leistungen der Hilfen zur
Erziehung, sondern um eine Leistung im 2. Abschnitt, Förderung der Erziehung in
der Familie. Auch in diesem Segment (Hilfen nach § 19) hält das Caritas Kinderheim eine Einrichtung
mit einer ausreichenden Platzzahl bereit. Erfahrungsgemäß wird diese
Mutter/Vater und Kind Einrichtung auch von anderen Jugendämtern aus dem Umland
und auch aus ganz NRW belegt. Eine weitere Einrichtung nach § 19 bietet die
evangelische Jugendhilfe in Hörstel an.
Insofern besteht
für Elternteile aus Rheine, die alleine für ein Kind sorgen, eine gute
Wahlmöglichkeit, die Zielsetzung des § 5 SGB VIII, Wunsch- und Wahlrecht,
erfüllt.
Die im Antrag
benannte Zielsetzung, zur Verhinderung von Kindeswohlgefährdungen eine
Maßnahmenlücke zwischen ambulanten und vollstationären Hilfen (nicht Hilfen zur
Erziehung, s. o.) zu schaffen, kann
insofern von der Verwaltung nicht ganz nachvollzogen werden, da bereits ein
etabliertes teilstationäres Angebot und auch sehr individuelle ambulante Hilfen
in Rheine praktiziert werden.
Die zudem in dem
Antrag formulierte These, dass für besondere Fallkonstellation zwingend ein
solches Angebot notwendig sei, da ansonsten zwischen der möglichen Weigerung
der leistungsberechtigten Eltern, einer Maßnahmen nach § 19 zuzustimmen, und den Präsenzzeiten einer ambulanten
Familienhilfe der Kinderschutz strukturell gefährdet sein könnte, klingt zwar
auf den ersten Blick recht einleuchtend,
verschiebt aber die Verantwortlichkeit für den Schutz von Kindern vorschnell von den Eltern in die Hände von Trägern und Jugendämtern.
Es ist Aufgabe der
Jugendämter und der Träger der Jugendhilfe den Eltern diese grundgesetzliche
Verantwortung für die Schutz ihrer Kinder als deren Aufgabe deutlich zu machen
und sie dabei zu unterstützen. Unterstützung heißt in diesem Fall oft
Informationen geben, Situationen üben, Neues Lernen und Verhalten trainieren.
Nicht ein
spezielles oder genau das passende Angebot ist dafür verantwortlich, dass
Eltern Lernfortschritte machen und den Kinderschutz selber sicherstellen können,
sondern in erster Linie die Erkenntnis der eigenen Verantwortung, die
Vorsatznahme zu Veränderungen und die tatsächliche, feststellbare Umsetzung von
Lernschritten.
In diesem Sinn
handeln die pädagogischen Fachkräfte vom Jugendamt oder Träger immer eher als
Koproduzenden im Entwicklungsverlauf von Familien.
Selbst
Einrichtungen nach § 19 können trotz dezidierter Kinderschutzkonzepte in den
Mutter-Kind-Einrichtungen nicht Gefährdungssituationen sicher ausschließen, da
leistungsberechtigte Eltern nicht einer Vollüberwachung unterliegen.
Nach § 78 SGB VIII
soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Bildung von
Arbeitsgemeinschaften anstreben, in denen neben ihnen die anerkannten Träger
der freien Jugendhilfe, sowie die Träger der geförderten Maßnahmen vertreten
sind. In den Arbeitsgemeinschaften soll darauf hingewirkt werden, dass die
geplanten Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden und sich gegenseitig
ergänzen.
Nach § 79 SGB VIII
(Abs. 1) obliegt dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung
einschließlich der Planungsverantwortung. Nach Abs. 2 soll der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe gewährleisten, dass die erforderlichen und geeigneten
Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen rechtzeitig und ausreichend zur
Verfügung stehen.
In § 80 SGB VIII
ist die Planungsverantwortung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, sowie
die Grundsätze einer Jugendhilfeplanung, normiert. Danach sollen in einer
bereichsbezogenen Jugendhilfeplanung der Bestand an Einrichtungen und Diensten
festgestellt, der Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse
ermittelt und notwendige Vorhaben rechtzeitig und ausreichend geplant werden.
Damit ist das
Prinzip einer Kreislaufprozessplanung im Bereich der Jugendhilfeplanung
skizziert.
Die bisherige
Arbeitspraxis der Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII orientiert sich an den
o. g. Maßstäben und gesetzlichen Regelungen.
Mögliche neue oder
zusätzliche Bedarfe, die sich aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen
ergeben, werden fachlich in der AG erörtert und eingeschätzt.
Bspw. war in 2019
im Netzwerk der Frühen Hilfen ein möglicher Bedarf für Kinder psychisch kranker
Eltern formuliert worden. Die Arbeitsgemeinschaft war zu Frage eines
zusätzlichen Bedarfes beteiligt worden und hatte diese als einen solchen
eingeschätzt.
Anschließend wurde
im Rahmen eines Interessenbekundungs- und Konzeptentwicklungsverfahren eine Entscheidung für ein Konzept und einen
Träger getroffen. Mit dem Träger ist für einen Erprobungszeitraum von 2 Jahren
eine Vereinbarung getroffen worden.
Die AG nach § 78
ist nach Auffassung der Verwaltung der gesetzlich normierte und geeignete Ort mögliche zusätzliche Bedarfe zu
erörtern und einzuschätzen.
Es ist dann in der
Tat im Anschluss daran Aufgabe des Jugendhilfeausschusses einen Beschluss zu weiteren Angeboten und
Dienstleistungen zu treffen, wenn diese Bedarfe nicht im Rahmen von flexiblen
Hilfeplanungsgestaltungen gedeckt werden können.
Insofern schlägt
die Verwaltung vor, vor einer Beratung und Beschlussfassung die
Arbeitsgemeinschaft zu beteiligen.
Das sogenannte
Subsidiaritätsprinzip sieht zudem für die Jugendhilfe vor, dass sich
öffentliche Träger der Jugendhilfe (hier insbesondere der Teil des Jugendamtes)
nur dann bei der Konzeptionierung und Realisierung von Angeboten beteiligen
soll, wenn Träger der freien Jugendhilfe dazu nicht bereit und in der Lage
sind. Daher sollte die Arbeitsgemeinschaft nach § 78 nicht nur zur Frage eines
möglichen Bedarfs beteiligt werden, sondern die dort organisierten Träger
sollten auch im Falle eines zusätzlichen Bedarfs bei der Konzeptionierung
eingebunden, bzw. zumindest im Rahmen einer Interessenbekundung angefragt
werden.
Vor diesem
Hintergrund sieht sich die Verwaltung nicht als Adressat einer Konzeptentwicklung,
sondern eher als Organisator einer dazu umzusetzenden Interessenbekundung.