Betreff
Errichtung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen im Stadtgebiet von Rheine
Beschluss zu den Rahmenbedingungen, Flächen und Kriterien
Vorlage
509/22
Aktenzeichen
PG 5.1 - hs
Art
Beschlussvorlage

Bechlussvorschlag:

 

1.      Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz beschließt, die Errichtung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Stadtgebiet von Rheine auf Grundlage der in dieser Vorlage aufgeführten Rahmenbedingungen, Vorgaben und Kriterien zu ermöglichen.

 

2.      Die Verwaltung wird beauftragt, Vorhaben der Freiflächenphotovoltaik aufgrund der in dieser Vorlage festgelegten Vorgaben und Zielsetzungen in die Prioritätenliste Bauleitplanung einzuarbeiten.

 

 

 

 

 

Begründung:

 

A.   Hintergrund

Im Zuge der bundesweiten Diskussionen um Atom- und Kohleausstieg, um Energiewende und Klimawandel sowie der damit verbundenen Forcierung der erneuerbaren Energien kommt dem Thema einer Errichtung von Photovoltaikanlagen nicht nur auf Gebäuden bzw. Dächern, sondern auch auf Freiflächen - insbesondere auf landwirtschaftlichen Flächen - eine stetig wachsende Bedeutung zu. Die Stadt Rheine ist gehalten, sich diesbezüglich zu positionieren und Vorgaben zur Umsetzbarkeit solcher Anlagen und Steuerung der damit verbundenen Prüfungs- und Entscheidungsprozesse festzulegen.

 

Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz hat diese Fragestellungen bereits in seinen Sitzungen am 08.12.2021 (Vorlage 622/21) und 16.03.2022 (als Information) erörtert. Damalig wurde festgelegt, zunächst eine Potentialanalyse des Kreises Steinfurt abzuwarten und auf dieser Grundlage soweit erforderlich eigene Festlegungen zu treffen. Seitens des Kreises wurden erste Ergebnisse für den Sommer 2022, daran anschließend eine Beteiligung der Kommunen und darauffolgend eine Endfassung der Analyse in Aussicht gestellt. Diese Potentialanalyse verzögert sich, es ist nach Aussage des Kreises frühestens im Frühjahr 2023 mit Ergebnissen zu rechnen.

 

Gleichzeitig hat die Bezirksregierung Münster im Hinblick auf die Vorgaben der Landes- und Regionalplanung signalisiert, Kommunen als Träger der Planungshoheit und zuständiger Verfahrensträger (Flächennutzungsplanänderung, Bebauungsplanaufstellung) für Vorhaben im Bereich Freiflächen-Photovoltaik dahingehend zu unterstützen, dass – unter dem Vorbehalt einer Einzelfallprüfung aufgrund landesplanerischer Anfrage gemäß § 34 LPlG – Vorhaben zumindest bis 10 ha Größe in der Regel „nicht raumbedeutsam“ und somit im „Allgemeinen Freiraum- und Agrarbereich“ potentiell zulassungsfähig sind.

 

Vor dem Hintergrund der diversen Anfragen und Anträge für Vorhaben im Bereich Freiflächen-Photovoltaik empfiehlt die Stadtverwaltung zur aktiven Steuerung der Entwicklungen klare Vorgaben und Regelungen bezüglich der städtischen Zielsetzungen, der in Frage kommenden Flächen, der Anforderungen an die Vorhaben und einer Priorisierung / Rangfolge für die Schaffung von Planungsrecht und Umsetzbarkeit festzulegen.

 

 

 

B.   Zielsetzungen der Stadt Rheine bezüglich Freiflächen-Photovoltaik

 

Gemäß Beschluss des Ausschusses für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz vom 16.03.2022 (Vorlage 049/22) bearbeitet die Verwaltung zzt. die Fortschreibung des Masterplans 100% Klimaschutz mit der Zielsetzung „Klimaneutralität bis zum Jahr 2040.“

 

Unabhängig von noch zu erörternden und zu beschließenden konkreten Maßnahmen werden gerade im Bereich der Nutzung regenerativer Energien zukunftsfähige und nachhaltige Lösungen notwendig sein.

 

In der o. g. Vorlage beigefügten Präsentation zum Szenario „Klimaneutral 2040“ werden u. a. die Handlungs- und Umsetzungserfordernisse im Bereich PV-Freiflächenanlagen dargelegt.

 

Danach müssten bis zum Jahr 2040 Flächen mit PV-Freiflächenanlagen in folgender Größenordnung angeboten und belegt werden:

 

·         20 Anlagen á 350 kWp pro Jahr (jährlich 7.000 kWp)

·         Pro Hektar können ca. 900 kWp installiert werden

·         Pro Jahr müsste eine Fläche von ca. 8 ha für PV-Freiflächenanlagen ausgewiesen werden

 

Bis zum Jahr 2040 wären damit Anlagen mit einer Gesamtleistung von 126.000 kWp bzw. ca. 140 ha nötig.

 

Daraus ergibt sich, dass unmittelbarer und mittelfristiger Handlungsbedarf zur Ermöglichung entsprechender Vorhaben besteht. Die Verwaltung empfiehlt, dass die Möglichkeiten und Chancen der Errichtung von PV-Freianlagen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben proaktiv und gezielt angegangen werden. Hierfür bedarf es klarer Vorgaben und Steuerungsinstrumente.

 

 

 

C.   Flächenermittlung/-abgrenzung und Ausschlusskriterien

 

Die unter B. definierten Zielsetzungen bedingen, dass zunächst grundsätzlich alle Flächen im sog. „Außenbereich“, die nicht zwingend zugunsten anderer Zielsetzungen, Funktionen und Nutzungen benötigt werden, für eine Errichtung von PV-Freianlagen in Frage kommen können.

 

Insbesondere folgende in der Vergangenheit diskutierte Aspekte sollten dabei nicht als Ausschlusskriterien festgelegt werden:

 

·         Keine Beschränkung auf EEG-förderfähige Vorhaben

·         Keine Vorgabe von Mindest- oder Maximalflächengrößen

·         Keine „Puffer“ / Schutz- und Achtungsabstände zu Bauflächen bzw. Siedlungsbereichen

 

Auszuschließen sind jedoch alle Flächen, die im Flächennutzungsplan nicht als landwirtschaftliche Fläche (ohne Zweckbestimmung) oder Versorgungsfläche dargestellt sind (Flächenermittlungsfilter 1).

 

Innerhalb der landwirtschaftlichen und Versorgungsflächen sind dann folgende Flächen auszuschließen (Flächenermittlungsfilter 2):

 

·         Flächen, die im Regionalplan als ASB oder GIB festgelegt bzw. durch die Stadt als Potentialflächen (Regionalplanneuaufstellung) gemeldet worden sind

·         Natur- und Landschaftsschutzgebiete

·         Natura 2000 Gebiete (FFH-Gebiete und europäische Vogelschutzgebiete)

·         Gesetzl. Geschützte Biotope

·         Extensives Grünland (gemäß Biotopkataster LANUV NRW)

·         Kompensationsflächen

·         Ökokontoflächen

·         Gebiet zum Schutz der Natur sowie Gebiete zum Schutz der Landschaft und landschaftsorientierten Erholungen (Regionalplan Münsterland)

·         Flächen mit Böden mit einer Bodenwertzahl (-punkte) > 30

·         Überschwemmungsgebiete

·         Gebiete in Wasserschutzzone 1

·         Moor- oder Feuchtgebiete

·         Gewässer (z.B. Ems und Bachläufe) inkl. Gewässerrandstreifen (5 m)

·         Eingetragene Boden- und Baudenkmäler

·         Bereiche zur Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze (Regionalplan) und Flächen für Abgrabungen (FNP)

·         Flächen für Aufschüttung

·         Anbauverbotszonen Bundesautobahn (40 m); Bundesstraße (20 m) – jeweils vom äußeren Rand der Fahrbahn

·         Abstand von Bahnstrecken (15 m vom äußersten Rand der Fahrbahn)

 

Auf dieser Grundlage ergibt sich im Stadtgebiet Rheine ein Flächenvolumen von rd. 2.380 ha, die im Sinne der städtischen Zielsetzungen potentiell nutzbar sind (Die im Flächennutzungsplan dargestellten LW-Flächen insgesamt umfassen rd. 8.000 ha).

Es wird zudem darauf hingewiesen, dass auch die Potentialflächen verfahrensbezogen in jedem Einzelfall hinsichtlich aller einschlägigen abwägungsrelevanten öffentlichen und privaten Belange auf ihre Eignung hin zu überprüfen sind. Z. B. können Belange des Artenschutzes, des Landschaftsbildes oder der Landwirtschaft Einzelfallausschlusskriterien darstellen.

 

 

D.   Mindestanforderungen / Bedingungen für einen Verfahrenseinstieg

 

Eine Projektierung und Verfahrensdurchführung kann zudem nur dann im Sinne der Zielsetzungen in Frage kommen, wenn seitens des Vorhaben- bzw. Projektträgers vor Einstieg in ein Verfahren bewertbare Planunterlagen, Nachweise und Informationen vorgelegt werden.

 

Die Verwaltung schlägt vor, folgende Mindestanforderungen und Bedingungen vorzugeben:

 

·         Benennung des Vorhaben-/Projektträgers bzw. der Betreibergesellschaft mit allen einschlägigen Kontaktdaten

·         Nachweis: Sitz der Betreibergesellschaft in Rheine (Auszug aus dem Handelsregister)

·         Benennung eines zuständigen Projektsteuerers / zentralen Ansprechpartners für das gesamte Verfahren mit allen einschlägigen Kontaktdaten

·         Nachweis der Flächenverfügbarkeit der projektierten Flächen

·         Nachweis der wirtschaftlichen / finanziellen Leistungsfähigkeit bezogen auf das Vorhaben (mindestens eine belastbare Absichtserklärung eines Geldinstituts)

·         Übernahme aller Kosten, die im Zusammenhang mit der Planung und Umsetzung des Vorhabens entstehen

·         Vorlage geeigneter Planunterlagen (Lageplan, Vorhabenplanung, Erläuterungsbericht, wesentliche Zahlen und Daten)

·         Verortung des (wahrscheinlichen) Einspeisepunktes und Nachweis, dass eine Einspeisung in den/die Netzverknüpfungspunkt(e) sichergestellt werden kann

·         Nachweis/Erklärung: Keine Fällung von Bäumen (Vorgaben vergleichbar mit denen der Baumschutzsatzung)

·         Ausschluss der Verwendung von chemischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln

·         Ausgleich der durch das Vorhaben hervorgerufenen naturschutzrechtlichen Eingriffe im Gebiet, keine Verschlechterung der ökologischen Wertigkeit der Flächen

·         Bei Einzäunung: Durchgängigkeit für Kleintiere (mind. 20 cm Bodenabstand);

·         Rückbauverpflichtung nach Ablauf der Lebensdauer, mindestens Wiederherstellung des vorherigen Flächenzustandes, Sicherung von finanziellen Rücklagen (Bürgschaft)

 

 

E.   Priorisierung im Arbeitsprogramm Bauleitplanung / Bewertungskriterien

 

In jedem Fall werden nach aktuellen gesetzlichen Vorgaben für PV-Freiflächen-Vorhaben eine Änderung des Flächennutzungsplanes und die Aufstellung eines Bebauungsplanes erforderlich. Diese sind im sog. „Normal-Verfahren“ ohne Erleichterungen oder Beschleunigungen durchzuführen. Neben den Unterlagen Bebauungsplan und FNP-Änderung (Plan und Begründung) sind mindestens ein Umweltbericht (inkl. Eingriffs-/Ausgleichbilanzierung) und eine Artenschutzuntersuchung zwingend erforderlich, es sind zweistufige Verfahren inklusive frühzeitiger Beteiligung und öffentlicher Auslegung durchzuführen, zudem werden für die FNP-Änderung landesplanerische Anfragen und letztlich eine Genehmigung durch die Bezirksregierung erforderlich.

 

Dadurch werden – selbst wenn die Planungen und Untersuchungen von externen Fachleuten durchgeführt werden - Ressourcen in der Stadtplanung und hier im Bereich der Bauleitplanung gebunden, die in das jährlich aufzustellende und zu beschließende Arbeitsprogramm – erstmals für 2023 - aufzunehmen sind.

 

Eine Vorabschätzung hat ergeben, dass ca. 0,3 bis 0,5 Vollzeit-Planerstellen jährlich für PV-Freiflächenprojekte zur Verfügung gestellt werden müssten.

 

Die aktuell schon vorliegenden Anfragen werden mutmaßlich dennoch das leistbare Volumen der zur Verfügung stehenden Ressourcen übersteigen.

 

Daher schlägt die Verwaltung auch hier eine Priorisierung nach klaren Kriterien vor. Diese orientieren sich an den Kriterien für die anderen Thermenbereiche, sind aber auf den aktuellen Erkenntnisstand i. S. Freiflächen-Photovoltaik zugeschnitten.

 

·         Eigentum in der Abstufung
Der Nachweis einer Verfügbarkeit der Flächen ist bereits als Mindestanforderung vorgegeben. Daher erfolgt lediglich eine zusätzliche Punktvergabe wie folgt:

- städtische Flächen bzw. von städtischen Tochtergesellschaften (3 Punkte)

·         Umsetzbarkeit/Aufwand/Nutzen
Hier sollten – neben einer Einschätzung der konkreten verfahrenstechnischen Erfordernisse – insbesondere die Anlagengrößen mit in die Bewertung einbezogen werden. Größere Anlagen-sollten bevorzugt behandelt werden, wobei Anlagen > 10 ha aufgrund möglicher aufwändiger Abstimmungen mit der Bezirksregierung gesondert zu betrachten wären.
Die volle Punktzahl sollte nur vergeben werden, wenn der Vorhaben-/Projektträger ein belastbares Umsetzungskonzept für das Verfahren vorlegt, in dem geregelt ist, dass alle nicht hoheitlichen Planungs- und Untersuchungsleistungen seinerseits an fachtechnisch versierte Büros vergeben werden, die Leistungsinhalte und –schnittstellen mit der Stadt (vor-)abgestimmt sind, der Gesamtprozess gesteuert wird und sämtliche Kosten und Aufwendungen von ihm getragen werden.

- positives Verhältnis Aufwand zu Nutzen (3 Punkte),
- ausgewogenes Verhältnis Aufwand zu Nutzen (2 Punkte)
- kritisches Verhältnis Aufwand zu Nutzen (1 Punkt)

 

·         Lagebesonderheiten / Lage im Stadtgebiet
Bewertungsgrundlagen sollten hier insbesondere Fragen des Landschaftsbildes, des sich Einfügens in das Umfeld (u. a. keine „Zerschneidung“ von zusammenhängenden landwirtschaftlichen Strukturen, Konzentration von Anlagen), der Lage im Bereich von großen Erschließungstrassen (analog zu den EEG-Vorgaben) und der infrastrukturellen Anbindung (z. B. Erreichbarkeit für Wartung/Unterhaltung) sein.


- besondere Lagegunst, Bodenwertzahl < 30 (3 Punkte)
- gut geeignete Lage (2 Punkte)
- neutrale Lagebewertung (1 Punkt)

 

·         Natur-, Umwelt- und ökologische Belange
Die konkreten Bedingungen und Abwägungserfordernisse können erst im Rahmen des Verfahrens geprüft werden. Eine grundsätzliche Vorabschätzung kann erfolgen, entscheidend sollten dabei folgende Kriterien sein:
Durchführung einer standortgerechten ökologischen Aufwertung (z. B. Anlegung von arten- und blühreichen Wiesen, Insektenhotels, Brut- und Nisthilfen, Kleinbiotope wie etwa Teiche, Stein-/Totholzhaufen),
Umsetzung einer Doppelnutzung der Flächen (z. B. mit Agri-PV) im Abgleich mit den Ausgleichsmaßnahmen,
Eingrünung der Flächen mit standortgerechten Pflanzen in mind. 3 m Breite.

- Wesentliche ökologische Aufwertung, Doppelnutzung, Eingrünung (3 Punkte)
- mindestens einer der drei vorgenannten Punkte (2 Punkte)
- neutrale ökologische Bewertung vorher/nachher (1 Punkt)

 

 

F.    Weiteres Vorgehen

Bei positivem Beschluss des Ausschusses werden die Vorgaben Bestandteil der Aufgaben der Stadtverwaltung und hier insbesondere der Stadtplanung.

Aktuell vorliegende Anfragen/Anträge werden für die Aufstellung des Arbeitsprogramms Bauleitplanung 2023 erstmalig bewertet und in dieses eingestellt.

Eine Vorlage und potentielle Beschlussfassung für das Arbeitsprogramm 2023 ist für die erste Sitzung des Ausschusses in 2023 vorgesehen.

 

Bis Ende des Jahres 2023 wird das Vorgehen evaluiert und – ggf. mit ermittelten Optimierungen und/oder Modifikationen – in zukünftige Arbeitsprogramme übernommen.

 

 

 

G.   Auswirkungen auf den kommunalen Klimaschutz

PV-Freiflächenanlagen stellen im Rahmen der o. g. Bedingungen grundsätzlich einen Beitrag zur zukunftsorientierten Versorgung mittels sog. regenerativer Energien dar und leisten dadurch im Ergebnis einen positiven Beitrag auch zum kommunalen Klimaschutz.

Sie stellen andererseits natürlich auch bauliche Anlagen dar, deren Herstellung (und ggf. späterer Rückbau/Entsorgung) Energie verbraucht. Auch ist zu beachten, dass durch die Errichtung solcher Anlagen bisherige Freiflächen (baulich) genutzt werden.

Durch die derzeit geltenden Vorgaben bezüglich Standorten und Planungsrecht wird sichergestellt, dass im Planungsprozess eine umfassende Abwägung im Einzelfall stattfindet, in die die Belange des Klimaschutzes einzustellen sind.