Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Der
Jugendhilfeausschuss nimmt die Vorstellung des Arbeitsbereiches der Stelle der
Verfahrenslotsin nach §10b SGB VIII zur Kenntnis.
Begründung:
Einführung
Am
10. Juni 2021 trat das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) in Kraft. Ziel
ist es unteranderem, Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und
ohne Behinderungen zu gewähren.
Die
bisherige Aufteilung der Eingliederungshilfe in Leistungen nach dem SGB IX und
SGB VIII, in Verbindung mit unterschiedlichen Zuständigkeiten für Leistungen,
stellt besonders Eltern vor große Schwierigkeiten. Ob ein Antrag auf Hilfe beim
LWL, beim Sozialamt oder beim Jugendamt zu stellen ist, hängt immer vom Alter
des Kindes und der vorliegenden Beeinträchtigung ab. Da besonders die
Beeinträchtigung nicht immer klar abgrenzend definiert werden kann, geraten
Hilfesuchende schnell in einen Dschungel von unterschiedlichen Zuständigkeiten,
Fristen, Begutachtungen und Hürden bis zur Hilfegewährung.
Die
Reformstufen des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sollen diese Situation
verändern und „eine Verankerung der Inklusion als Leitgedanken der Kinder- und
Jugendhilfe“ erreichen.“[1]
Zum
01.01.2024 tritt die nächste Reformstufe des KJSG in Kraft und führt damit die
Tätigkeit von Verfahrenslotsen nach §10b SGB VIII ein. Da zum 01.01.2028 die
nächste Reformstufe, die Überführung der SGB IX Leistungen der Eingliederungshilfe
in das SGB VIII ansteht, ist die Tätigkeit der Verfahrenslotsen bisher bis zum
01.01.2028 befristet[2].
Die
Aufgabe der Verfahrenslotsen gliedert sich in zwei Bereiche:
1.
Die Begleitung
und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit (drohender) Behinderung, um
ihnen zu Leistungen der Eingliederungshilfe zu verhelfen.
§10b Abs. 1 SGB VIII
Junge Menschen, die Leistungen der
Eingliederungshilfe wegen einer Behinderung oder wegen einer drohenden
Behinderung geltend machen oder bei denen solche Leistungsansprüche in Betracht
kommen, sowie ihre Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigten
haben bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung dieser Leistungen
Anspruch auf Unterstützung und Begleitung durch einen Verfahrenslotsen. Der Verfahrenslotse
soll die Leistungsberechtigten bei der Verwirklichung von Ansprüchen auf
Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig unterstützen sowie auf die
Inanspruchnahme von Rechten hinwirken. Diese Leistung wird durch den örtlichen
Träger der öffentlichen Jugendhilfe erbracht.
2.
Unterstützung
des Jugendamtes bei der Zusammenführung der Eingliederungshilfe in deren
Zuständigkeit
§10b Abs. 2 SGB VIII
Der Verfahrenslotse unterstützt den örtlichen Träger
der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der
Eingliederungshilfe für junge Menschen in dessen Zuständigkeit. Hierzu
berichtet er gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe
halbjährlich insbesondere über Erfahrungen der strukturellen Zusammenarbeit mit
anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen, insbesondere mit anderen
Rehabilitationsträgern.
Ziel der Verfahrenslotsen
Der
Gesetzgeber möchte mit der verpflichtenden Stelle der Verfahrenslotsen
bundesweit eine personelle Ressource im Jugendamt schaffen, um die oft schon
sehr belasteten Familien mit einem Kind mit Behinderung zu unterstützen und auf
die Inanspruchnahme von Eingliederungshilfe hinzuwirken.
Zudem
kann der Verfahrenslotse durch die Begleitung von konkreten Einzelfällen und
der Zusammenarbeit mit wesentlichen Akteuren der Eingliederungshilfe,
Erfahrungen sammeln und somit Hürden, Herausforderungen und Hemmnisse der
Inanspruchnahme von Leistungen aufzeigen, um dann in der strukturellen
Zusammenführung der Leistungen im Jugendamt eine beratende Rolle einzunehmen.
Profil und Aufgaben der Verfahrenslotsen
o Unabhängigkeit:
Die Verfahrenslotsen agieren im Interesse der Kinder
und Jugendlichen und sind damit in ihrer Beratung nicht weisungsgebunden.
o Freiwilligkeit:
Die Begleitung und Unterstützung der
Verfahrenslotsen erfolgt auf Wunsch der Betroffenen und ist freiwillig und
kostenlos.
o Niederschwelligkeit:
Die Beratung kann zu jedem Zeitpunkt in Anspruch
genommen werden. Vor der Hilfe, wo und wie eine Diagnose gestellt werden kann,
über die Antragsstellung selber, bis zum Widerspruchsverfahren, können die
Verfahrenslotsen unterstützen und begleiten.
o Interessensvertretung:
Die Verfahrenslotsen verstehen sich als
Interessensvertretung der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung.
o Netzwerk und Kooperation:
Die örtlichen Leistungserbringer und
Beratungsmöglichkeiten werden erkannt und ein enger Kontakt der Zusammenarbeit
wird hergestellt.
o Abgrenzung zur Rechtsberatung:
Keine Vertretung der Klienten, keine selbstständige
Akteneinsicht, keine dezidierte Rechtsberatung, keine eigene Stellungnahme,
z.B. im Widerspruchsverfahren, sondern nur eine Unterstützung der Klienten wie
ein Widerspruch zu gestalten ist.
o Halbjährliche Berichterstattung gegenüber dem
Jugendhilfeausschuss:
Inhalte des Berichts können die Erfahrungen der
strukturellen Zusammenarbeit mit anderen Akteuren sein, die Anlässe der
Beratungen und aufkommende Hürden und Hemmnisse der Leistungsannahme.[3]
In
der Fachdiskussion wird die Einführung der Verfahrenslotsen nach §10b SGB VIII
kontrovers thematisiert. Besonders das sehr umfassende und nicht abschließende
Aufgabenportfolio, sowie die Befristung der Stelle bis 2028 stellt eine
Herausforderung dar. Zum einen sind sowohl die persönlichen und fachlichen Kompetenzen
der Verfahrenslotsen sehr offen formuliert, als auch die strukturelle Anordnung
im Jugendamt und der Stellenumfang, nicht näher beschrieben. Ein einheitliches
Curriculum zur Zertifizierung der Verfahrenslotsen ist derzeit in der Endphase
der Entwicklung, jedoch ohne Klarheit einer zukünftigen Verbindlichkeit. Die
flächendeckende Einführung der Verfahrenslotsen wird somit bundesweit sehr
heterogen ausgestaltet sein.
Als
Gewinn wird die Entlastung von Familien gesehen, da sie durch den
Verfahrenslotsen eine Orientierung im Leistungssystem erhalten. Zudem sind
durch die halbjährlichen Berichterstattungen vorhandene Hürden und
Hemmschwellen sichtbarer und ermöglichen den Jugendämtern Steuerungschancen.
Umsetzung in Rheine
Die
Stadt Rheine hat im Juni 2023 die Stelle der Verfahrenslotsen intern
ausgeschrieben und zum 01.09.2023 mit Frau Althaus als Sozialarbeiterin
unbefristet besetzt.
Als
Verfahrenslotsin ist sie mit einem Stundenumfang von 19,5 Wochenstunden tätig.
Angesiedelt ist die Stelle im Jugendamt als Teil der sozialen Dienste unter der
Produktverantwortlichkeit von Herrn Röwer, der auch andere Bereiche der
sozialen Dienste leitet.
Erste Handlungsschritte in Rheine
In
der Entwicklung der neuen Stelle der Verfahrenslotsen sind bisher folgende Bereiche
fokussiert worden:
1.
Fortbildungen:
Teilnahme an Online-Fortbildungsreihen des DIJuF und der Organisation zur
Umsetzungsplanung des BTHG´s
2.
Interne
Kooperation: Vorstellungsrunden in den Teams des Jugendamtes (noch nicht
abgeschlossen), fachliche Einarbeitung in die internen Abläufe und
Schnittstellen
3.
Externe
Kooperation: Erste Vorstellungsrunden zu externen Kooperationspartnern, wie der
Caritas Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen, der Agentur für Arbeit,
der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, Vernetzung mit Verfahrenslotsen
im Kreis Steinfurt (weitere Termine folgen)
4.
Fallarbeit:
Erste Begleitung und Unterstützung von Eltern mit Kindern mit Behinderung
5.
Dokumentation:
Entwicklung von Dokumentationsmöglichkeiten der Fallarbeit, aber auch der
strukturellen Hürden
6.
Öffentlichkeitsarbeit:
Erstellung eines Flyers, Vorstellung auf der Homepage der Stadt Rheine,
Vorstellung im Jugendhilfeausschuss
In
der Ausschusssitzung am 16.11.2023 erfolgt eine mündliche Vorstellung der
Stelle der Verfahrenslotsin in Rheine.
[1] BMFSFJ. (2023) Gesetz zur Stärkung
von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG).
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/neues-kinder-und-jugendstaerkungsgesetz-162860
(Zugriff 11.10.2023)
[2] DIJuF.
(2022). Positionspapier zum Verfahrenslotsen – nach §10b SGB VIII.
https://dijuf.de/fileadmin/Redaktion/Handlungsfelder/KJSG/Positionspapier_Verfahrenslotse_2022-09-14.pdf
(Zugriff 11.10.2023)
[3] DIJuF. (2022). Positionspapier zum Verfahrenslotsen – nach §10b SGB VIII. https://dijuf.de/fileadmin/Redaktion/Handlungsfelder/KJSG/Positionspapier_Verfahrenslotse_2022-09-14.pdf (Zugriff 11.10.2023)