Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine empfiehlt dem Rat der Stadt Rheine,
· mit der Zielsetzung kurzfristiger und dauerhafter Einsparungen in der Heimerziehung (2008 ca. 500 T€ ab 2009 ca. 800 T€/a) durch den weiteren Ausbau der Vollzeitpflege, Einführung einer Reintegrationsoffensive und Umsetzung des generellen Verselbständigungsansatzes ab dem 16./17. Lebensjahr
· vorbehaltlich der Zustimmung des Personalrates, den Stellenplan des Fachbereiches 2 - Jugend, Familie und Soziales - befristet für die Dauer von 2 Jahren um insgesamt 2,5 Stellen (TVÖD, Entgeltgruppe 9, Sozialarbeiter(innen), Sozialpädagog(inn)en zu erweitern.
Die Verwaltung wird beauftragt, im Rahmen einer regelmäßigen Evaluation (halbjährlich) über die Zielerreichung im Jugendhilfeausschuss zu berichten.
Begründung:
1. Einleitung
Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine hat sich in seiner Sitzung am 1. Dezember 2005 erstmals mit der Thematik „Strategische Steuerung in der Heimerziehung durch personelle Verstärkung des Aufgabenbereichs Vollzeitpflege und der Entwicklung eines Reintegrationskonzeptes bzw. eines Verselbständigungskonzeptes“ beschäftigt.
Dabei hat der JHA folgenden Beschluss gefasst:
„Der
Jugendhilfeausschuss der Stadt Rheine beauftragt die Verwaltung des Jugendamtes
bis zur nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses, spätestens jedoch zu den
Haushaltsplanberatungen 2006 ein Konzept vorzulegen, in dem
1. die
Bedingungen für eine Erhöhung von Vermittlungszahlen in Vollzeitpflege
und
2. die
Möglichkeit der Reintegration von Kindern und Jugendlichen in ihre Familien
bzw. in eine frühzeitige Verselbständigung beschrieben werden.
Dabei sind die finanziellen
Chancen und Risiken detailliert zu definieren.
Auf die zur Sitzung am 1. Dezember 2005 zur Verfügung gestellten Daten und Grafiken wird verwiesen.
2. Bereich Vollzeitpflege
Im Rahmen der Prüfung der Gemeindeprüfungsanstalt ist der Bereich der Vollzeitpflege u. a. wie folgt beschrieben:
„Die Ausgaben für die
Vollzeitpflege/ Familienpflege sind rückläufig und bewegen sich auf einem
günstigen Niveau, wobei sich die Fallzahlen leicht steigend darstellen.
Dies geht zurück auf
zahlreiche Maßnahmen, insbesondere die Gewinnung weiterer Pflegefamilien und
deren Schulung sowie die nachhaltige Begründung neuer Pflegeverhältnisse.
Gerade der Kontakt zu den Kirchen und karitativen Einrichtungen hat sich
bewährt. Durch diesen umfassenden Ansatz und die beabsichtigte weitere Stärkung
der Vollzeitpflege, der auch eine zeitlich befristete intensive stationäre
Betreuung umfasst, wird die Grundlage für eine dauerhafte Begründung von
Pflegeverhältnissen geschaffen.
Dieses Vorgehen ist
geeignet, erhebliche Folgekosten zu vermeiden, die durch den Abbruch der
Familienpflege entstehen und häufig dazu führen würden, dass in diesen Fällen
lediglich eine dauerhafte Heimerziehung als Mittel der Wahl angesehen werden
könnte.
Eine geringe Abbruchquote –
wie in Rheine- hilft insoweit, Folgekosten zu vermeiden. Die vergleichsweise
geringen Ausgaben je Fall dokumentieren auch den geringen Umfang an
zusätzlichen Hilfen, was als Bestätigung dieses Weges angesehen werden kann.
Handlungsmöglichkeiten:
Aufgrund des hohen Anteils
von Kindern bis zehn Jahren in Heimerziehung sollte geprüft werden, ob der
Pflegekinderdienst durch organisatorische Maßnahmen zeitlich begrenzt personell
verstärkt werden kann, um die Gewinnung weiterer Pflegefamilien zu
intensivieren.
In diesem Zusammenhang
erscheint es sinnvoll, über allgemeine Informationen sowie gezielte Ansprache
in Vereinen und Verbänden auch den nicht institutionalisierten
gesellschaftlichen Vorfeldbereich abzudecken. Bei nicht wenigen Bürgerinnen und
Bürgern besteht die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement in vielfältiger
Hinsicht, die ggf. auch für ein Pflegeverhältnis genutzt werden kann.“ (S.236/237)
Durch den erfolgreichen Verlauf des Projektes „Strategische Steuerung in der Heimerziehung“ hier: Vollzeitpflege auch in den Jahren 2004 und 2005 werden aktuell 83 Kinder im Rahmen der Vollzeitpflege incl. der Fälle mit Kostenerstattung betreut.
Diese sehr hohe Fallzahl bedingt, dass kaum noch Zeitressourcen für die Rekrutierung neuer Pflegefamilien zur Verfügung stehen.
Wie aus der Altersverteilung Heimerziehung zu entnehmen ist, sind derzeit noch 9 Kinder unter 10 Jahren in Heimerziehung. Bei 7 steht eine Vermittlung bevor. Bei diesen Kindern ist davon auszugehen, dass nur unter erschwerten Bedingungen geeignete Pflegeeltern gefunden werden können, so dass der Aquise zunehmend Bedeutung zukommt.
Es gilt demnach erneut verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um wiederum Vermittlungen zu beschleunigen.
Da bei diesen Kindern ein erhöhter therapeutischer Bedarf besteht und die Perspektivplanung zeitnah zu erfolgen hat, belaufen sich die Kosten pro Kind und pro Jahr auf 60.000 €. Dieses entspricht für 7 Kinder einem Ausgabevolumen von 420.000 € pro Jahr.
Durch zusätzlichen Personaleinsatz (1 Stelle) kann die Vermittlung in eine Pflegefamilie zeitnäher erfolgen.
Durchschnittlich betragen die Kosten in einer Pflegefamilie 19.000 € im Jahr. Bei 7 Kindern also jährlich 133.000 €.
Es ergibt sich demnach folgende Berechnung auf Jahresbasis:
Personalkosten 50.000 €
Pflegekosten 133.000 €
Gesamt 183.000 €
Derzeitiger Aufwand 420.000 €
Minderausgaben 237.000 €
Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass die derzeitige Personalressource nicht ausreicht, eine zeitnahe Vermittlung zu realisieren.
3. Bereich Reintegration und Verselbständigungshilfe
Neben dem schon aus der Vergangenheit bekannten erfolgreichem Projekt zur Stärkung der Vollzeitpflege soll nunmehr über ein Projekt „Reintegration“ und „Verselbständigung“ versucht werden, der hohe Fallzahlbelastung im Bereich der Heimerziehung der 12- bis 17-Jährigen/18-Jährigen zu begegnen.
Die Altersverteilung Heimerziehung (Anlage 1) zeigt, dass mit Stichtag 30.11.2005 insgesamt 71 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Heimerziehung incl. des betreuten Wohnens mit Sicherstellung des Lebensunterhaltes untergebracht sind.
Trotz aller Bemühungen, ambulant vor stationär, Zugangssteuerung usw. ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, den Anteil der Heimerziehung in den Fallzahlen nachhaltig zu reduzieren. Zwar konnte es gelingen, den steilen Aufwärtstrend zu stoppen und trotz Zunahme der altersgleichen Bevölkerung der 12- bis 17-Jährigen
das Niveau zu halten. Es muss festgehalten werden, dass der
Anteil an Heimerziehung zwar nicht nur, aber auch aus finanziellen
Gesichtspunkten zu reduzieren ist. Diese Aussage wird untermauert durch den HZE
– Bericht NRW 2003, herausgegeben im Juli 2005, in dem deutlich erkennbar ist,
dass sich Rheine sowohl im stationären als auch im ambulanten
Erziehungshilfebereich im oberen Drittel der Fallzahlen der Jugendämter
gleicher Größenordnung und vergleichbarer Sozialstruktur befindet. (siehe Anlagen 2-5)
Aus diesem Grunde schlägt die Verwaltung vor, eine „Reintegrationsoffensive“ zu starten, um insbesondere in jedem Einzelfall der 12- bis 16-Jährigen intensiv an eine Rückkehr in das Elternhaus zu arbeiten und durch eine sehr zeitnahe, noch strukturiertere Hilfeplanung eine Rückkehr zu ermöglichen.
Das Ziel ist, die Anzahl der Heimunterbringungen so um 20 % zu reduzieren.
Bei 71 Heimfällen und durchschnittlichen Kosten je Fall von 48.000 € jährlich entspricht dieses einer jährlich Minderausgabe von rund 680.000 €.
Daneben wäre es eine Aufgabe, dort, wo eine Reintegration nicht möglich ist, darauf hinzuwirken, dass spätestens mit 16/17 Jahren ein Wechsel aus der klassischen Heimerziehung in eine Verselbständigungshilfe mit dem Ziel der Sicherstellung des Lebensunterhaltes außerhalb der Jugendhilfe realisiert wird.
Durch eine generelle
Regelung des Verselbständigungsansatzes ab dem 16./17. Lebensjahr sind durch
reduzierte Pflegesätze pro Fall jährlich ca. 14.000 € einzusparen. Bei derzeit
9 Fällen ist so ein Einsparpotential von jährlich 126.000 € zu erzielen.
Letztendlich bedeutet ein solches Vorgehen, dass mit den derzeitigen Mechanismen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII die oben beschriebenen Ziele nicht erreichbar sind. Bei diesem Projekt sind grundsätzlich Hilfeplangespräche in kürzeren Abständen nötig, um die Vereinbarungen auch überprüfen zu können.
Nur so kann man der Steuerungsverantwortung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe gerecht werden. (36a SGB VIII)
Im Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt steht dazu:
„Die Stadt Rheine sollte prüfen, ob durch eine
Intensivierung des Hilfeplanprozesses die Steuerung des Einzelfalls im Hinblick
auf den finanziellen Ressourcenverbrauch noch besser strukturiert werden kann.
Hierbei sollten verstärkt Alternativen zur stationären Betreuung in den
Einrichtungen in Rheine erschlossen werden.“(GPA-Bericht S.224)
Ein solches Projekt ist jedoch nur mit zusätzlicher Personalressource zu realisieren. Bei zusätzlich 1,5 Stellen (Kosten jährlich ca. 75.000 €) und einer ambulanten Absicherung der Reintegration von ca. 160.000 € jährlich ergibt sich ein jährlicher Einspareffekt von bis zu 571.000 €.
4. Auswirkungen
auf den Haushalts- und Finanzplan
Bei Betrachtung der Auswirkungen auf den Haushalts- und Finanzplan sind oben genannte Summen aufgrund monatlicher Vermittlungs- und Reintegrationsbemühungen zu berücksichtigen.
Unter der Voraussetzung, dass die zusätzliche Personalressource ab Januar 2007 zur Verfügung steht, können Einsparpotentiale ab Ende des II. Quartals 2007 generiert werden, die im Haushaltsjahr 2009 die Zielgröße von jährlich insgesamt von 812.920 € erreichen.
Folgende Tabelle zeigt im Jahresverlauf 2007 – 2009, wie sich die Einsparpotentiale entwickeln.
Jahr Minderausgaben Aufwendungen für Differenz
für die Personal, Pflegegeld,
Heimerziehung Ambulante Hilfen
2007 228.470 € 173.193
€ 55.277 €
2008 836.928 € 320.884
€ 516.044 €
2009 1.105.928 € 293.008 € 812.920 €
Darüber hinaus wird auf die beiliegende Grafik verwiesen (Anlage 6), in der die Aufwendungsarten detaillierter dargestellt sind.
5 Zusammenfassung
Seitens der Verwaltung wird vorgeschlagen, die 2,5 Stellen zunächst auf 2 Jahre zu befristen. Danach soll evaluiert werden, ob die vorgesehenen Effekte eingetreten sind.
Im Rahmen der Evaluation ist jedoch nicht nur zu überprüfen, ob die finanziellen Ziele erreicht worden sind, sondern es muss auch nachgehalten werden, welche Folgen insbesondere die frühzeitige Verselbständigung haben wird.
Nach Auffassung der Verwaltung beinhaltet gerade dieser Ansatz ein nicht unerhebliches Risiko, da letztlich der Versuch gestartet wird, Jugendliche und junge Volljährige, die in ihrer Biographie belastenden Situationen ausgesetzt waren und sind, in eine eigenständige, selbständige Wohnform zu integrieren, obwohl sie von den Grundressourcen u. U. dazu nur eingeschränkt in der Lage sind.
Gerade bei diesem Vorschlag überwiegen, und das soll an dieser Stelle auch deutlich mitgeteilt werden, die finanziellen Aspekte und nicht die pädagogischen Fragestellungen.
Anlagen:
Anlage 1: Grafik Altersverteilung Heimerziehung
Anlagen 2 - 5: HZE–Bericht NRW 2003, herausgegeben im Juli 2005
Anlage 6: Grafik Aufwendungsarten