Betreff
Umsetzung SGB XII - Zwischenbericht
Vorlage
213/08
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Sozialausschuss nimmt den Zwischenbericht zum Stand der Umsetzung des SGB XII zur Kenntnis.

 


Begründung:

 

In dieser Vorlage werden die wesentlichen Grundzüge der Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) kurz beschrieben und der Stand der Umsetzung erläutert. Weiterhin wird ein Ausblick auf mögliche Entwicklungen in den nächsten Jahren gegeben.

 

 

1.  Grundzüge der Leistungsgewährung:

 

Durch die Neuordnung der sozialen Sicherungssysteme zum 01.01.2005 wurde die Sozialhilfe zusammen mit der Arbeitslosenhilfe in die neue Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zusammengefasst. Die übrigen Leistungen des ehemaligen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und des Grundsicherungsgesetzes (GSiG) wurden in das neue SGB XII vereinigt.

 

Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ist entweder die Vollendung des 65. Lebensjahres oder eine festgestellte volle Erwerbsminderung; d. h. der Antragsteller ist nicht in der Lage wenigstens 3 Stunden pro Tag irgendeine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Bei Personen, die in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten, wird eine volle Erwerbsminderung unterstellt.

 

Das SGB XII unterscheidet zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes Leistungen nach dem 3. Kapitel (Sozialhilfe) und Leistungen nach dem 4. Kapitel (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit). Ausschlaggebend für die Einordnung der Art der Hilfegewährung ist die Dauer der Erwerbsunfähigkeit. Bei Erwerbsunfähigkeit, die für einen Zeitraum länger als 6 Monate aber nicht dauerhaft festgestellt wurde wird Sozialhilfe gewährt. Bei Personen ab Vollendung des 65. Lebensjahres oder festgestellter dauerhafter Erwerbsminderung wird Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gezahlt.

 

Ein wesentliches Merkmal der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist der aus dem Grundsicherungsgesetz übernommene weitgehende Verzicht auf Unterhaltszahlungen zwischen Eltern und Kindern zur Vermeidung der sog. „verschämten Altersarmut“. Der Gesetzgeber geht von einem Jahreseinkommen der Eltern zusammen bzw. der Kinder einzeln von unter 100.000 Euro aus und verzichtet in diesen Fällen auf Unterhaltszahlungen (gilt für beide Richtungen). Nur bei hinreichenden Hinweisen auf ein höheres Jahreseinkommen wird das tatsächliche Einkommen des Unterhaltspflichtigen geprüft und ggfls. Unterhalt angerechnet.

 

Neben der Sicherstellung des Lebensunterhalts werden weitere Hilfen nach dem 5. ‑ 9. Kapitel erbracht:

 

  5. Kapitel     Hilfen zur Gesundheit

  6. Kapitel     Eingliederungshilfe für behinderte Menschen

                     (Leistungsgewährung durch den Kreis Steinfurt)

  7. Kapitel     Hilfe zur Pflege

  8. Kapitel     Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten

  9. Kapitel     Hilfe in anderen Lebenslagen

 

 

2.  Personal:

 

Gegenwärtig ist für den Bereich SGB XII folgendes Personal eingesetzt:

 

  1    Stelle     Produktverantwortlicher

  3    Stellen   Leistungsgewährung (gehobenen Dienst)

  2    Stellen   Leistungsgewährung (mittleren Dienst)

 

Die Mitarbeiter/in in der Leistungsgewährung stammen überwiegend aus dem Bereich der ehemaligen Sozialhilfe (BSHG) bzw. der Grundsicherung (GSiG).

 

Aufgrund der Fallzahlsteigerung und der zu erwartenden Entwicklung (siehe nachfolgende Punkte) wird in absehbarer Zeit eine Anpassung der Personalstärke erforderlich sein.

 

 

3.  Fallzahlen: (Stand 01.05.2008)

 

Zahl der Bedarfsgemeinschaften:

 

 

01.05.2005   607 Fälle

01.05.2006   670 Falle  (+ 10,4 % zum Vorjahr)

01.05.2007   708 Fälle  (+  5,7 % zum Vorjahr)

01.05.2008   755 Fälle  (+  6,6 % zum Vorjahr)

                                    (+ 24,4 % gegenüber dem Beginn des SGB XII)

 

Zum 01.05.2008 befanden sich insgesamt 910 Personen in 755 Bedarfsgemeinschaften im Hilfebezug.

 

 

Aufteilung nach Hilfearten:

 

Erläuterungen

 

3. Kapitel SGB XII

    vorübergehend voll erwerbsunfähig

    (länger als 6 Monate)

4. Kapitel SGB XII

    älter als 65 Jahre oder

    dauerhaft voll erwerbsunfähig

HbL = Hilfe in besonderen Lebenslagen

    nach dem 5. - 9. Kapitel SGB XII z. B.

    Hilfe zur Pflege       (74 Fälle)

    Hilfe bei Krankheit   (64 Fälle)

 

 

 

Altersstruktur und Durchschnittsalter:

 

Alter

Hilfeempfänger

Durch-
schnittsalter

von

 

bis

Personen

in %

0

-

17

 

17

1,87

50,44

 

9,12

41,61

18

-

30

 

100

10,99

 

23,99

31

-

40

 

90

9,89

 

35,93

41

-

50

 

102

11,21

 

45,33

51

-

60

 

99

10,88

 

55,56

61

-

64

51

244

5,60

62,49

66,63

65

-

70

193

21,21

49,56

67,72

72,76

71

-

80

 

202

22,20

 

74,22

81

-

90

 

51

5,60

 

83,84

91

-

100

 

5

0,55

 

95,8

 

 

4.  Gründe der Fallzahlsteigerungen:

 

Seit Beginn des SGB XII zum 01.01.2005 ist eine kontinuierliche Steigerung der Fallzahlen zu beobachten. Als Begründung hierfür sind sicherlich nicht nur einzelne Gründe verantwortlich. Vielmehr führen mehrere Faktoren zum Anstieg der Empfängerzahlen, wovon einige exemplarisch kurz angesprochen werden:

 

Verschämte Altersarmut:

 

Häufig beantragen ältere und erwerbsunfähige Menschen keine Sozialhilfe, weil sie befürchten, ihre Kinder werden zum Unterhalt herangezogen. Diese Hauptursache für verschämte Altersarmut wurde mit Einführung der bedarfsorientierten Grundsicherung behoben, so dass sich immer mehr ältere Menschen „trauen“ einen Antrag auf Sozialleistungen zu stellen, um das Einkommen den stetig steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen.

 

 

Demographische Entwicklung:

 

Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung in den nächsten Jahren stetig steigen. Auf Basis der Modellrechnung zur Bevölkerungsentwicklung der Stadt Rheine des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS NRW) wird sich der Anteil der über 65-jährigen im Zeitraum 2007 bis 2025 von 19,2 % auf 24,3 % erhöhen; das entspricht einer Erhöhung um 26,6 %.

 

 

 

Absenkung des Rentenniveaus:

 

Durch die von den Kommunen nicht zu beeinflussenden Regelungen zur gesetzlichen Rentenversicherung ist bereits heute die Situation eingetreten, dass ein Durchschnittsverdiener gut 28 Jahre braucht, um eine Rente auf Sozialhilfe/Grundsicherungsniveau zu erhalten.

 

(Quelle: Mitteilung des Städte- und Gemeindebundes NRW Dezember 2007, Az.: III 810-12

 

 

Niedriglohnbereich:

 

Durch den wachsenden Niedriglohnbereich auf dem Arbeitsmarkt werden immer mehr Arbeitnehmer mit einer nicht ausreichenden Alterssicherung konfrontiert. „So bekommt ein Arbeitnehmer, der für 7,50 Euro Stundenlohn nach 47 Jahren 2030 in Rente geht, eine Rente von 530 Euro, die damit unter den heutigen Grundsicherungsansprüchen von ca. 650,00 Euro (347,00 Euro plus Unterkunftskosten) liegt.

 

(Quelle: Mitteilung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW vom 29.04.2008)

 

 

Leiharbeit:

 

Der Anteil der Leiharbeitnehmer nimmt seit Jahren stetig zu. Das gegenüber den regulär Beschäftigten deutlich niedrigere Lohnniveau führt später zu einem geringeren Rentenanspruch. Außerdem sind Leiharbeiter deutlich häufiger von Kündigung bedroht, was insgesamt zu unstetigeren Erwerbsbiographien führt.

 

 

Selbständige:

 

Viele Selbständige, die nicht in berufsständischen Versorgungswerken versichert sind, fallen bei einem unternehmerischen Misserfolg bzw. nicht über die Lebenshaltungskosten hinausgehenden Erfolg im Alter in die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, weil die Mittel zur (zusätzlichen) Altersversorgung bzw. freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung fehlen.

 

 

5.  Finanzierung:

 

Für die Hilfegewährung nach dem SGB XII ist der Kreis Steinfurt der zuständige Kosten- und Leistungsträger. Nach Abzug der Einnahmen stellt sich die Nettobelastung wie folgt dar:

 

6.  Zusammenfassung und Ausblick:

 

Beim Personenkreis des SGB XII ist es im Gegensatz zum SGB II nicht möglich, die Fallzahl aktiv durch Vermittlungen zu beeinflussen. Die mangelnde Erwerbsfähigkeit bzw. das Erreichen des Rentenalters sind Voraussetzung für die Leistungsgewährung. Es besteht lediglich die Möglichkeit durch Beratung und Leistungsabsprachen die Lebenssituation der Betroffenen soweit zu stabilisieren bzw. zu verbessern, dass weitere Hilfen vermieden und dadurch Kosten eingespart werden.

Die Hilfe zur Pflege wird aufgrund der Alterung der Gesellschaft, abnehmender familiärer Pflege und sinkendem Einkommen zukünftig noch zunehmen. Durch intensive Beratung und Aktivierung aller Selbsthilfemöglichkeiten wird versucht, den Pflegegrundsatz „ambulant vor stationär“ so lange wie möglich aufrecht zu halten. Allerdings sind diesem Grundsatz mit zunehmendem Alter der Hilfeempfänger Grenzen gesetzt.

Bei der Hilfe zur Gesundheit trägt die Stadt Rheine über die Kreisumlage die vollen Krankenkosten, die im Einzelfall über 100.000,00 Euro liegen können. In diesem Bereich ist es von großer Bedeutung alle Aufnahmemöglichkeiten in die gesetzliche Krankenversicherung zu kennen und die Hilfeempfänger entsprechend zu beraten.

 

Insgesamt nimmt die Beratung und Unterstützung der Hilfeempfänger einen wesentlichen Teil der täglichen Arbeit ein. Bei einem Durchschnittsalter der über 65-jährigen von 72,76 Jahren kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Unterlagen vorliegen bzw. Vordrucke (z. B. Weitergewährungsanträge) ausgefüllt werden. Viele ältere Menschen sind mit dem „Papierkram“ überfordert.

 

Auf der anderen Seite gibt es bei den vorübergehend bzw. dauerhaft voll erwerbsunfähigen Personen einen hohen Anteil an psychisch Kranken und Menschen mit Suchtproblemen. Dieser Personenkreis bringt neben einem hohen Beratungs- und Unterstützungsbedarf in der Regel auch ein hohes Maß an Konfliktpotential mit sich.

 

Nimmt man die Anzahl der Anträge auf Übernahme der Bestattungskosten als Indiz für schwindendes Einkommen und Vermögen in den unteren Einkommensklassen, so lässt sich eine deutliche Zunahme feststellen. Wurden in 2005 und 2006 noch in 26 bzw. 21 Fällen die Übernahme der Bestattungskosten beantragt, so waren es 2007 schon 30 Anträge. Bis zum 30.04.2008 wurde bereits in 18 Fällen eine entsprechende Hilfe beantragt. Die Bestattungsfälle mit durchschnittlich 2 - 3 Antragstellern, bei denen das gesamte Einkommen und Vermögen überprüft werden muss, nehmen mittlerweile einen wesentlichen Teil der Arbeitszeit ein.