Betreff
Umsetzung SGB XII - Entwicklung und Tendenzen
Vorlage
260/10
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Sozialausschuss nimmt den Bericht zum Stand der Umsetzung des SGB XII zur Kenntnis.

 


Begründung:

 

In der Sitzung des Sozialausschusses am 03.06.2008 wurde letztmalig über die Umsetzung der Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) berichtet - Vorlage Nr. 213/08. In dieser Vorlage wird die Entwicklung der letzten Jahre erläutert und Tendenzen für die Zukunft aufgezeigt.

 

Die Trennung von erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wurde erstmals mit der Einführung des Grundsicherungsgesetzes (GSiG) zum 01.01.2003 umgesetzt. Die Abspaltung vom damaligen Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wurde auch im Rahmen der Hartz IV-Reform beibehalten und die erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen in das Leistungsrecht des SGB XII überführt. Erwerbsfähige Hilfebedürftige zwischen 15 und 64 Jahren haben bekanntermaßen einen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.

 

Im SGB XII wird zwischen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel unterschieden. Voraussetzung für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist entweder die Vollendung des 65. Lebensjahres oder das Vorliegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung. Sofern Personen länger als 6 Monate aber nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, wird Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel gewährt.

 

Die Altersgrenze für die Grundsicherung im Alter wird ab dem Geburtsjahrgang 1947 analog zur gesetzlichen Rentenversicherung schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Im Einzelnen stellt sich die Anhebung wie folgt dar:

 

Geburts-
jahr

Anhebung um Monate

auf Alter Jahr

auf Alter Monat

1947

1

65

1

1948

2

65

2

1949

3

65

3

1950

4

65

4

1951

5

65

5

1952

6

65

6

1953

7

65

7

1954

8

65

8

1955

9

65

9

1956

10

65

10

1957

11

65

11

1958

12

66

0

1959

14

66

2

1960

16

66

4

1961

18

66

6

1962

20

66

8

1963

22

66

10

1964

24

67

0

 

Personen, die nach dem 31.12.1964 geboren sind, erhalten erst nach Vollendung des 67. Lebensjahres Rente bzw. Grundsicherungsleistungen.

 

Ein wesentliches Element der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist seit Einführung des Grundsicherungsgesetzes der weitestgehende Verzicht auf Unterhaltszahlungen zwischen Eltern und Kindern. Zur Vermeidung von sogenannter „verschämter Altersarmut“ wird unterstellt, dass das jährliche Einkommen der Unterhaltspflichtigen unter 100.000 Euro liegt und somit auf Unterhaltszahlungen verzichtet werden kann. Nur in begründeten Fällen dürfen Einkommensnachweise verlangt werden. In den bisherigen sieben Jahren dieser Regelung wurde nur in einem Fall die SGB XII-Leistungen mit Hinweis auf zumutbarere Unterhaltszahlungen abgelehnt.

 

Die Einkommens- und Vermögensverteilung bei älteren Menschen ist sehr ungleich. Dabei haben Altersreichtum und Altersarmut die unterschiedlichsten Gründe. Z. B. ist das Vorhandensein einer Mietwohnung oder des eigenen Hauses Folge einer sehr frühen Entscheidung im Leben mit gravierenden Folgen im hohen Alter.

 

Es gibt viele Definitionen von Armut, die sich auf unterschiedliche Bezugsgrößen eines Landes beziehen. In der Regel wird das Familieneinkommen im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen des Landes gesetzt und daraus abgelesen, ob es sich um Armut oder Armutsgefährdung handelt. Allerdings wird bei keiner dieser Berechnungen der Lebensstandard der Menschen bzw. des Landes berücksichtigt, so dass sich eine allgemein gültige Definition oder Berechnungsformel für Armut nicht verlässlich aufstellen lässt. Immer gleich sind jedoch die Folgen von Armut.

Armut kann im Lebenslauf zeitweise oder dauerhaft vorhanden sein. Diese vorübergehende und evtl. immer wieder eintretende Armut kann für die Betroffenen schwerwiegende Langzeitfolgen bei der Gesundheit und den Finanzen haben:

 

        -  Vorsorgemaßnahmen werden nicht in Anspruch genommen

        -  Krankheiten werden verschleppt

        -  an gesunden Lebensmitteln wird gespart

        -  Reparaturen in der Wohnung werden verzögert

 

Versteckte oder verschämte Armut liegt vor, wenn Menschen sich so sehr schämen, in Armut geraten zu sein, dass ihre Wertvorstellung es nicht zulässt, dies der Umgebung zu zeigen. Die beschränkten finanziellen Mittel müssen für die Grundbedürfnisse des Lebens ausgegeben werden, so dass die Teilnahme am Leben durch Besuche und kulturelle Veranstaltungen einschläft. Die Isolation führt oft zu weiteren physischen und psychischen Erkrankungen und somit zu einer wesentlichen Verschlechterung der gesamten Lebensumstände. Sobald eine Hilfegewährung unvermeidlich wird, fallen neben der Sicherstellung des Lebensunterhalts oft noch weitere Kosten z. B. für Hilfe zur Pflege an.

 

Zur kreisweit einheitlichen Durchsetzung des pflegerischen Grundsatzes „ambulant vor stationär“ hat der Kreis Steinfurt, der bereits für die stationäre Hilfe zur Pflege zuständig ist, auch die ambulante Hilfe zur Pflege von der Delegation auf die Kommunen ausgenommen. Ab dem 01.01.2010 erfolgen die Beratung in den drei Pflegestützpunkten und die Sachbearbeitung zentral im Kreishaus in Steinfurt. Sowohl die Beratung in den Pflegstützpunkten als auch der Übergabe der Leistungsgewährung funktioniert bisher reibungslos.

Insgesamt wurden 125 Fälle der Hilfe zur Pflege an den Kreis Steinfurt abgegeben. In 84 Fällen werden jedoch weiterhin ergänzende Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts durch die Stadt Rheine erbracht. Die Gesamtzahl der Fälle ist daher zum 01.01.2010 lediglich um 41 gesunken.

 

Aus der nachfolgenden Fallzahlentwicklung ist neben dem Weggang der Hilfe zur Pflege auch der „Wohngeld-Knick“ erkennbar. Zum 01.01.2009 wurde das Wohngeld deutlich erhöht, was neben dem Fallzahlrückgang auch zu einem insgesamt etwas flacheren Anstieg geführt hat. Allerdings erfolgen Wohngelderhöhungen nicht wie Renten- und Regelsatzerhöhungen jährlich, sondern in wesentlich größeren Abständen. Für die Zukunft ist bei unveränderten Wohngeldgrenzen wieder mit mehr Hilfeempfängern und einem steileren Anstieg der Fallzahlen zu rechnen.

Abgerundete rechteckige Legende: Abgabe der Hilfe zur Pflege an den Kreis SteinfurtAbgerundete rechteckige Legende: Wohngeld-
erhöhung

 

Die einzelnen Erhöhungen stellen sich wie folgt dar:

01.01.2005     570  Fälle

01.01.2006     662  Fälle     ( + 16,1 %  zum Vorjahr)

01.01.2007     689  Fälle     ( +   4,0 %  zum Vorjahr)

01.01.2008     729  Fälle     ( +   5,8 %  zum Vorjahr)

01.01.2009     797  Fälle     ( +   9,3 %  zum Vorjahr)

01.01.2010     793  Fälle     (  -   0,5 %  zum Vorjahr)

01.05.2010     792  Fälle     ( + 39,0 %  gegenüber dem Beginn des SGB XII)

 

Hinter den 792 Fällen verbergen sich insgesamt 883 hilfebedürftige Menschen.

 

Die Altersstruktur der Hilfeempfänger ist aus der nachfolgenden Übersicht zu entnehmen:

 

Alter

Hilfeempfänger

Durch-
schnittsalter

von

 

bis

Personen

in %

0

-

17

 

22

2,49

55,38

 

8,86

40,66

18

-

30

 

133

15,06

 

24,41

31

-

40

 

76

8,61

 

35,71

41

-

50

 

92

10,42

 

45,02

51

-

60

 

109

12,34

 

55,20

61

-

64

57

199

6,46

62,61

66,24

65

-

70

142

16,08

44,62

67,69

72,97

71

-

80

 

214

24,24

 

74,52

81

-

90

 

37

4,19

 

83,73

91

-

100

 

1

0,11

 

91,00

 

Die Finanzierung der SGB XII-Leistungen erfolgt im Gegensatz zum SGB II vollständig aus Mitteln des Kreises. Im gesamten Kreisgebiet wurden 2009 rund 13.700.000 Euro für SGB XII-Leistungen außerhalb von Einrichtungen ausgegeben. Die Stadt Rheine hat mit 4.130.000 Euro einen Anteil von 30,15 %.

 

Bevölkerungsstruktur Rheine 2010

weiblich

 

männlich

 

 

Die zukünftige Entwicklung ist maßgeblich von der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Hilfebedürftigen abhängig. Wie aus der Bevölkerungsstruktur für Rheine im Jahr 2010 ersichtlich ist, wird der Anteil der über 65-jährigen in den nächsten 20 - 25 Jahren kontinuierlich steigen.

Für die schlechter werdenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Hilfebedürftigen sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Insbesondere der Niedriglohnbereich und die fehlende soziale Absicherung der Leiharbeitsfirmen führen zu unsteten Versicherungsverläufen und somit zu geringeren Rentenansprüchen. Hinzu kommen die Absenkungen des Rentenniveaus durch die Rentenreformen der vergangenen Jahre. Die Alterssicherung wird immer mehr in die Hände der Betroffenen gelegt, die bei knappem Einkommen keine entsprechenden Rücklagen bilden können.

 

Zusammenfassend muss sich der Bereich der Leistungsgewährung nach dem SGB XII mit leichten aber stetig steigenden Fallzahlen auseinandersetzen.