Betreff
Umsetzung SGB XII - Entwicklung und Tendenzen
Vorlage
274/11
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Sozialausschuss nimmt den Bericht zum Stand der Umsetzung des SGB XII zur Kenntnis.


Begründung:

 

Seit Einführung des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zum 01.01.2005 wurde in den Sitzungen des Sozialausschusses am 03.06.2008 (Vorlage 213/08) und am 06.07.2010 (Vorlage 260/10) ausführlich über die Umsetzung des SGB XII berichtet. In dieser Vorlage werden die Entwicklung des letzten Jahres erläutert und Tendenzen für die Zukunft aufgezeigt.

 

Zum 01.01.2011 wurde das SGB XII durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch geändert. Eine wesentliche und in den Medien viel diskutierte Änderung stellt die Erhöhung des Eckregelsatzes von 359,00 auf 364,00 Euro dar. Der Gesetzgeber hat ferner klargestellt, dass auch im SGB XII (wie im SGB II) volljährige Kinder, die im Haushalt der Eltern leben, nicht den vollen Regelsatz (neue Regelsatzstufe 1 = 364,00 Euro) sondern den Regelsatz der neuen Regelbedarfsstufe 3 (= 291,00 Euro für erwachsene leistungsberechtigte Personen, die weder einen eigenen Haushalt führen, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen) erhalten sollen.

 

Anders als im SGB II begründen Kinder im Haushalt der Eltern ab dem 25. Lebensjahr jedoch keine eigene Bedarfsgemeinschaft. In der Praxis führt das dazu, dass der 50-jährige, voll erwerbsgeminderte Sohn, der bei seiner 75 ‑jährigen Mutter wohnt, vom Regelsatz eines Haushaltsvorstand auf die neu eingeführte Regelbedarfsstufe 3 zurückgestuft wird. Die daraus resultierende Differenz von 73,00 Euro pro Monat steht dem Hilfeempfänger dann nicht mehr zur Deckung seines Lebensunterhalts zur Verfügung.

 

Der Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundestages und Bundesrates, der dieses Gesetz beraten hat, hat in einer Protokollerklärung beschlossen, dass „der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 mit dem Ziel überprüft wird, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen.“ Aufgrund dieser unklaren Rechtslage wurden vom Kreis Steinfurt alle Bescheide, die eine Senkung auf die Regelbedarfsstufe 3 beinhalten, mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen. Bei Änderung der rechtlichen Grundlagen durch Gesetz oder Rechtsprechung wird eine Nachzahlung ab Zeitpunkt der Wirksamkeit auch ohne formelle Einlegung eines Widerspruchs erfolgen. Hiervon sind in Rheine ca. 75 Personen betroffen.

 

Als weitere Änderung in der Regelsatzstruktur wurden die Kosten der Warmwassererzeugung aus dem Regelsatz herausgenommen und den Heizkosten zugeordnet. Sofern die Warmwasseraufbereitung über eine Sammelheizung erfolgt, wurde bisher beim Haushaltsvorstand ein Betrag in Höhe von 6,47 Euro (Ehegatten = 2 x 5,82 Euro) von den Heizkosten abgezogen. Dieser Betrag verbleibt dem Hilfeempfänger und stellt in den meisten Fällen die nominal größte Erhöhung dar.

 

Ein weiteres Thema des Änderungsgesetzes ist das beschlossene Bildungs- und Teilhabepaket, wovon auch SGB XII-Empfänger betroffen sind. Die Einzelheiten hierzu sind in der Vorlage Nr. 263/11 -Sachstandsbericht SGB II - gesetzliche Neuerungen- erläutert. Aufgrund der geringen Zahl von Anspruchsberechtigten (ca. 30 Personen) spielt das Bildungs- und Teilhabepaket keine große Rolle im SGB XII. Die Abwicklung erfolgt wie im SGB II direkt über den Kreis Steinfurt, so dass, anders als im SGB II, keine nennenswerte Mehrbelastung entsteht.

 

Aus dem nachfolgenden Diagramm ist die Entwicklung der Fallzahlen seit der Einführung des SGB XII zum 01.01.2005 ersichtlich. Markiert sind die Punkte zum

 

        01.01.2009     Erhöhung des Wohngeldes

        01.01.2010     Der Kreis Steinfurt hat die Hilfe zur Pflege von der Delegation ausgenommen und bearbeitet die Fälle in eigener Zuständigkeit

        01.01.2011     Erhöhung der Regelsätze und Berücksichtigung der Kosten der Warmwassererwärmung

 

Die Kurve zeigt deutlich die Auswirkungen der demographischen Entwicklung in Rheine. Zum einen wird der Anteil der Personen über 65 Jahre immer größer und zum anderen steigt der Anteil der Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Vorsorge (Rente, Ersparnisse usw.) decken können kontinuierlich an. Selbst kleine Erhöhungen des Regelsatzes (wie zum 01.01.2011) führen zu merklichen Sprüngen in der Fallzahl.

 

Abgerundete rechteckige Legende: Regelsatz-erhöhungAbgerundete rechteckige Legende: Wohngeld-erhöhung

2005           2006          2007          2008           2009          2010      2011

 
Abgerundete rechteckige Legende: Abgabe der Hilfe zur Pflege an den Kreis Steinfurt

 

Die personelle Situation im SGB XII-Team ist in der Vorlage 212/11 ausführlich beschrieben. Im Ergebnis ist mit einem stetig steigenden Personalbedarf in den nächsten Jahren zu rechnen.

 

Die Hauptgründe für die Fallsteigerungen sind in der Vorlage 213/08 ausführlich beschrieben worden. Stichpunktartig seien hier nur

 

    -  die verschämte Altersarmut

    -  die demographische Entwicklung

    -  Absenkungen des Rentenniveaus

    -  Beschäftigung im Niedriglohnbereich

    -  Beschäftigung in Leiharbeit

    -  fehlende Vorsorge Selbständiger

 

genannt.

 

Das Durchschnittsalter der über 65-jährigen ist seit der ersten Berichterstattung Mitte 2008 in drei Jahren von 72,76 auf 73,22 Jahre gestiegen. Der Anstieg von 0,46 Jahre bedeutet in der Praxis einen weiter gestiegenen Beratungs- und Unterstützungsbedarf. Für viele ältere Menschen ist der notwendige „Papierkram“ für die Leistungsgewährung nicht mehr möglich. Seitens der Sachbearbeitung muss vermehrt Zeit aufgewendet werden, um die notwendigen Unterlagen zu beschaffen.