Betreff
Antrag der Fraktion Die Linke auf Einfühung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge
Vorlage
454/15
Aktenzeichen
II-50-hf
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

 

Der Sozialausschuss empfiehlt dem Rat der Stadt Rheine folgenden Beschluss zu fassen:

 

Der Rat der Stadt Rheine beschließt der „Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Gesundheitsvorsorge für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 Absatz 1 SGB V in Verbindung mit §§ 1, 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Nordrhein-Westfalen“ nicht beizutreten.

 

 


Begründung:

 

 

  1. Ausgangslage

 

Gem. § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten Grundleistungsempfänger nach diesem Gesetz Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. Es handelt sich hierbei um -im Vergleich zur gesetzl. Krankenversicherung- eingeschränkte Leistungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände und anderer unaufschiebbarer Behandlungen. Kostenträger der Krankenhilfe ist ausschließlich die Kommune. Eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht vorgesehen. Die Hilfeempfänger erhalten bei Bedarf jeweils einen Krankenschein pro Quartal für ärztliche und zahnärztliche Behandlung. Eine Prüfung der Notwendigkeit des Arztbesuches erfolgt nicht, lediglich die Kostenübernahmen bestimmter Behandlungen (z.B. besondere Therapien, geplante OP etc.) werden unter Einschaltung des Gesundheitsamtes des Kreises Steinfurt im Einzelfall entschieden. Die Abrechnung der erbrachten Leistungen erfolgt durch die Ärzte bzw. deren Abrechnungsstellen mit dem Kreis Steinfurt (Solidarfonds Asyl). Rechnungen über stationäre Aufenthalte werden direkt mit den Krankenhäusern abgerechnet. Es handelt sich hier um ein System das sich seit Jahren im Kreis Steinfurt etabliert hat. Nach Ablauf von 15 Monaten erhalten die Hilfeempfänger im Normalfall Leistungen nach § 2 AsylbLG, analog zum SGB XII. Ab diesem Zeitpunkt erfolgt eine Anmeldung nach § 264 SGB V bei einer gesetzlichen Krankenversicherung incl. einer Krankenversicherungskarte.

 

Ende August 2015 hat nun das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) des Landes Nordrhein-Westfalen mit zunächst 8 Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Gesundheitsversorgung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit §§ 1, 1a AsylbLG geschlossen. Städte und Gemeinden können vor Ort entscheiden, ob sie dieser Vereinbarung beitreten wollen, und damit allen Flüchtlingen  eine elektronische Gesundheitskarte (eGK)  zur Verfügung stellen möchten.

 

Ein entsprechender Antrag zum Beitritt der Stadt Rheine zur Rahmenvereinbarung wurde zwischenzeitlich durch die Ratsfraktion „Die Linke“ eingebracht. Die Ausstellung einer Gesundheitskarte im Zuge der Rahmenvereinbarung in NRW betrifft lediglich einen Zeitraum von ca. 12 Monaten (Zuweisung Kommune bis Gewährung Analogleistungen).  Es ist ausdrücklich zu beachten, dass es sich bei den Krankenhilfekosten auch bei Einführung der Gesundheitskarte zu 100 % um Kosten der Kommunen handelt. Durch die Karte erfolgt lediglich die auftragsweise Abwicklung durch die Krankenkasse.

 

 

  1. Abwägung (pro und contra zur Einführung der eGK)

 

Pro

 

Mit Einführung einer Gesundheitskarte benötigen Hilfeempfänger (HE) nach dem AsylbLG keine Krankenscheine mehr, um einen Arzt aufzusuchen, wobei zu berücksichtigen ist, dass auch bisher nur 1 Krankenschein pro Quartal -nicht bei jedem Arztbesuch- erforderlich ist. Eine  Notwendigkeitsprüfung für Arztbesuche erfolgt seitens der Stadt Rheine nicht. Jeder der zu einem Arzt will, erhält unproblematisch Zugang. Lediglich bei geplanten OP bzw. gesonderten Therapien und Hilfsmitteln erfolgt eine Prüfung der nicht aufschiebbaren Notwendigkeit, ggf. unter Einschaltung des Gesundheitsamtes. Durch den Beitritt zum Rahmenvertrag können Rabattvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Anbietern zu Kosteneinsparungen bei Behandlungen und/oder Hilfsmitteln führen. Das Abrechnungsverfahren für die Ärzte würde sich durch die Einführung der eGK vereinfachen bzw. weiter vereinheitlichen.

 

 

Contra

 

Durch den Beitritt zur Rahmenvereinbarung werden für die Kommunen massive Mehrkosten entstehen. Durch die Krankenkassen wird eine Verwaltungskostenpauschale von 8% des Leistungsvolumens, mindestens jedoch von 10 € pro angefangenem Betreuungsmonat je Leistungs-berechtigtem in Rechnung gestellt. Ausgehend von den vorliegenden Daten aus 2014 ergaben sich für die Grundleistungsempfänger nach dem AsylbLG im Bereich der Krankenhilfe Kosten in Höhe von ca. 1.700,00 € / Jahr pro Leistungsberechtigtem. Hochgerechnet auf im Jahresschnitt ca. 376 Leistungsberechtigte Grundleistungsempfänger für das Jahr 2015 ergeben sich Krankenhilfekosten von ca. 640.000 €. Durch die 8 %ige Verwaltungskostenpauschale ergäbe sich hier eine Mehrbelastung in Höhe von ca. 51.000 €. Hinzu kommen noch mtl. 10 € für diejenigen Leistungsempfänger, die keine Leistungen der Krankenkasse in Anspruch genommen haben (geschätzt 15 % der HE = ca. 6.900 €) sowie für jeden Leistungsberechtigten einmalig 10 € (ca. 3.800 €) für das Ausstellen der eGK. Kosten bei Verlust der Karte sind noch nicht berücksichtigt. Als Umlage für die Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenkassen sieht die Rahmenvereinbarung einen zusätzlichen Betrag von 10 € pro Leistungsempfänger (Stichtag 01.07. eines Jahres) vor. Der in der Rahmenvereinbarung festgelegte Leistungsumfang der eGK geht über den Leistungsumfang des § 4 AsylbLG hinaus. Die Aufschiebbarkeit von Leistungen wird entgegen der Vorgabe des Gesetzgebers nicht geprüft. Auch hier ist zwangsläufig mit Mehrkosten zu rechnen, die sich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer beziffern lassen (ca. 10.000 €). Sämtliche Verfahrenskosten die im Rahmen von Klage-/Widerspruchsverfahren anfallen sind -unabhängig vom Verfahrenausgang- durch die Kommunen zu tragen (bei 5-10 Verfahren ca. 5.000 € / Jahr).Insgesamt ist für die Stadt Rheine bei Einführung der eGK für Grundleistungsempfänger nach dem AsylbLG  von einer zusätzlichen Belastung von ca. 80.000 € / Jahr auszugehen. Bei  steigenden Flüchtlingszahlen erhöht sich diese Summe entsprechend.

 

Die eGK wird lt. Rahmenvereinbarung mit einer Gültigkeit von 24 Monaten ausgestellt. Bei Ende des Leistungsbezuges sind die Karten durch die Kommunen einzubehalten, was in der Praxis jedoch zu massiven Problemen z.B. aufgrund von „untertauchen“, ausreisen oder auch schlicht durch nichtreagieren auf  Anschreiben/Ansprachen führen wird. Ein Missbrauch der Karte bis zum Gültigkeitsablauf ist nicht auszuschließen wobei das Sperren einer eGK -wie z.B. bei einer Bankkarte- nicht möglich ist. Die Kommunen sind für alle durch eine gültige eGK entstandenen Kosten, also auch bei Missbrauch, erstattungspflichtig.

 

Auch bei Einführung der eGK sind die Kommunen weiterhin mit umfangreichen Verwaltungsaufgaben belastet. So sind neben dem An- und Abmeldeverfahren auch während der Laufzeit der eGK diverse Änderungen an die Krankenkassen zu melden. Bis zur Aushändigung der eGK werden durch die Krankenkassen zwar Abrechnungsscheine (vergleichbar der jetzigen Krankenscheine) für die Hilfeempfänger zur Verfügung gestellt, jedoch sind diese durch die Kommunen -nicht durch die Krankenkassen- auszuhändigen. Des Weiteren haben die Kommunen sicherzustellen, dass die Leistungsberechtigten über die Nutzung und Anwendung der Karte informiert werden. Bestimmte Leistungsbereiche wie erstmaliger Zahnersatz, Haushaltshilfen etc. sowie auch ggf. Kostenerstattungs-/Regressverfahren sind auch weiterhin durch die Kommunen zu prüfen.

 

Es ist davon auszugehen, dass die Krankenkassen nicht zeitnah in der Lage sein werden, für alle Leistungsberechtigten Grundleistungsempfänger eine eGK auszuhändigen. Im Frühjahr 2015 eröffnete eine Änderung des AsylbLG die Möglichkeit, ca. 30 HE aus Rheine bei einer Krankenkasse nach § 264 SGB V zu melden. Bereits bei dieser vergleichweise kleinen Anzahl von Berechtigten waren Wartezeiten für die eGK von 3-4 Monaten zu verzeichnen. Nun könnten ca. 380 Hilfeempfänger gemeldet werden, was auch nach Rücksprache mit einer Krankenkasse zu erheblichen Wartezeiten bei der Kartenerstellung führen wird.

 

Für die Auftragsweise Gesundheitsversorgung erhalten die Krankenkassen zunächst einen monatlichen Pauschalbetrag von 200 € / Leistungsempfänger. Die Spitzabrechnung der Leistungen erfolgt derzeit (für die Analog-Leistungsberechtigten) erst nach ca. 1,5 Jahren, wodurch Haushaltsplanungen erschwert werden.

 

Durch die Einführung der eGK für Asylbewerber könnte eine weitere Anreizfunktion geschaffen werden.

 

 

 

 

 

 

  1. Resümee

 

Durch die Einführung der eGK auch für die Grundleistungsempfänger nach dem AsylbLG werden für die Stadt Rheine finanzielle Mehrbelastungen in Höhe von ca. 80.000 €/Jahr entstehen. Diese Kosten werden sich bei steigenden Fallzahlen und bei einem nicht auszuschließenden Missbrauch der Karte weiter erhöhen. Eine erhebliche Entlastung bei den Verwaltungsarbeiten ist demgegenüber nicht zu erwarten.

 

Auch der Integrationsrat hat sich in seiner letzten Sitzung am 29. Oktober 2015 mit dem Antrag beschäftigt. Der Integrationsrat hat sich gegen einen Beitritt der Stadt Rheine ausgesprochen. Die Mitglieder sahen keine großen Vorteile für die Flüchtlinge bei der Ausstellung einer Gesundheitskarte, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass nach spätestens 15 Monaten Aufenthalt in Rheine die meisten Hilfeempfänger  im Rahmen der Analogleistungsgewährung eine Krankenversicherungskarte erhalten

 

Aus Sicht der Verwaltung überwiegen die Vorteile einer Einführung der eGK gegenüber den Nachteilen nicht, so dass an dem bisherigen etablierten Krankenscheinverfahren festgehalten werden sollte.

 

Insgesamt haben in NRW bislang nur 9 Kommunen die eGK eingeführt (Stand 17. November 2015, laut Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW).


Anlagen:

 

Antrag der Fraktion Die Linke vom 14. September 2015