- Vorstellung Ergebnisse Wärmekonzept ( Gertec GmbH Ingenieurgesellschaft, Essen)
- Beschlussfassung energetische Standards
Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz empfiehlt dem Rat wie folgt zu beschließen:
1. für das Quartier „Eschendorfer Aue“ wird festgelegt, dass die energetische Qualität der Gebäude zum Zeitpunkt des Bauantrags immer mindestens der ersten Förderstufe der KfW, bezogen auf die zum Zeitpunkt des Bauantrags geltende Energieeinsparverordnung entsprechen muss.
2. die Quartiersbereiche mit vorrangiger Einfamilienhausbebauung sollen über dezentrale Wärmeversorgungssysteme und die Quartiersbereiche mit vorrangiger Mehrfamilienhausbebauung über eine zentrale Nahwärmeversorgung versorgt werden.
3. auf jedem Einfamilienhaus / Doppelhaus ist eine Photovoltaikanlage mit mindestens 19 Wp/qm² Wohnfläche zu errichten. Bei Grundstücken, die durch Baumbestand verschattet werden, muss eine Einzelfallprüfung erfolgen.
4. Die Stadtverwaltung wird beauftragt, die für die Umsetzung der Bausteine 1-3 erforderlichen konzeptionellen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Verfahren vorzubereiten.
Begründung:
Der Rat der Stadt Rheine hat einstimmig die Klimaschutzziele für die Stadt
Rheine bis zum Jahr 2050 verabschiedet. Entsprechend sollen bis zum Jahr 2050
die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 um mindestens 95%
und der Endenergieverbrauch um mindestens 50% reduziert werden. Als
Kommune mit einem „Masterplan 100% Klimaschutz“ nimmt die Stadt Rheine in
diesem Bereich eine Vorbildfunktion ein. Darüber hinaus wurde der Stadt Rheine
mit dem Forschungsvorhaben „Die kommunale Effizienzrevolution für den
Klimaschutz in den deutschen Städten“ (KomRev) aufgezeigt, dass die Ziele für
das Jahr 2050 nur dann erreicht werden können, wenn ab sofort umfangreiche
und grundlegende Entscheidungen für einen effizienteren Umgang mit
Ressourcen und Energie getroffen werden.
Mit dem in Planung befindlichen Quartier „Eschendorfer Aue“ entwickelt die Stadt
Rheine ein Wohnquartier mit rund 500 Wohneinheiten. Mit der Umsetzung eines
Wärmeversorgungskonzeptes für dieses Wohnquartier, das erstmalig in Rheine
neue Standards für die Energieversorgung definiert, kann die Stadt Rheine
erstmalig einen strategischen und damit erheblichen nachhaltigen Weg zur
Umsetzung der Masterplanziele gehen und erstmals im Stadtgebiet ein ganzes
Wohnviertel zukunftsfähig gestalten.
Im Rahmen der Bürger- und Expertenworkshops im November 2016 zum Auftakt
der Quartiersentwicklung wurde von einer Expertenrunde, bestehend aus
Vertretern der Verwaltung, der Stadtwerke sowie externer Berater, erste
Eckpunkte zusammengetragen. Die Präsentation zu diesem Zeitpunkt sah eine
Vorgabe für den Gebäudestandard im Bereich der Niedrigstenergiehäuser /
Passivhäuser vor. Darüber hinaus sollte die Wärmeversorgung möglichst auf
fossile Brennstoffe verzichten.
Im Laufe der weitergehenden Planung wurde das Büro Gertec Ingenieurgesellschaft GmbH, Essen zur Beratung hinzugezogen und beauftragt,
eine unabhängige Analyse des Wärmebedarfs sowie der Wärmebereitstellung
vorzunehmen und anschließend eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
durchzuführen. Das Konzept wurde mit Mitteln aus dem INTERREG VA- Förderprogramm „WIEFM Wärme in der EUREGIO - modernisieren und fokussieren“ mit einem Anteil von 70% gefördert.
Auf der Basis der geplanten Bebauungsstruktur (MFH bzw. EFH), sowie der
zeitlichen Entwicklungsschritte des Gebietes, wurde dann das Gebiet in Cluster
eingeteilt. Ausgehend von durchschnittlichen Wärmebedarfen der verschiedenen
Gebäudetypen in den Clustern wurden zunächst verschiedene Systemvarianten ermittelt. Die dargestellten Systemvarianten wurden anschließend hinsichtlich der Parameter CO2-Ausstoß, Wirtschaftlichkeit, Akzeptanz bewertet und einem Systemvergleich hinsichtlich Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit unterzogen.
Inhalte und Ergebnisse des Konzepts wurden mit den Stadtwerken Rheine (EWR) erörtert und entwickelt. Hierbei hat sich gezeigt, dass die perspektivische Entwicklung der Wärmeversorgung zur Umsetzung der Klimaziele zu einem Zielkonflikt hinsichtlich der im Konzessionsvertrag mit der EWR normierten Verpflichtung der flächendeckenden Gasanschlussversorgung führt.
Ein zunächst angedachtes Anreizsystem zur Steigerung der
Nutzung nicht-fossiler Wärmeversorgungsysteme im Bereich der
Einfamilienhausgebiete führt nach Auffassung
der Stadtwerke Rheine (Zitat:) zu einem
gesamtstädtisch ineffizienten Mitteleinsatz, zu sinkenden Einnahmen im Bereich
der Vermarktung von Liegenschaften und höheren Kosten für Kunden mit
bestehenden Erdgasanschlüssen.
Kritisch wird von den Stadtwerken Rheine ebenso die ökologische Bilanz von fossil erzeugtem Wärmepumpenstrom gesehen.
Soweit eine zukünftige Entwicklung der Wärmeversorgung ohne fossile Brennstoffe für die Wohnbaugebiete politisches Ziel ist, sollte aus Sicht der Stadtwerke Rheine nicht ein konkurrierendes System aufgebaut, sondern bereits im Ansatz auf eine Erdgaserschließung verzichtet werden. Seitens der Liegenschaftsverwaltung werden hierzu Bedenken hinsichtlich der Akzeptanz geäußert.
In der Stadt Rheine wurden bisher bei der Entwicklung von Neubaugebieten keinerlei Vorgaben im Bereich des Klimaschutzes gemacht. Auch gab es bisher keine Anreiz- oder Belohnungssysteme im Bereich der Grundstücksvergabe für nicht-fossile Versorgungssysteme.
Das für den Bereich der Eschendorfer Aue hier vorliegende Konzept geht erstmalig den Weg, zum Erreichen der gesetzten Klimaziele Rahmenbedingungen für die Entwicklung zu definieren.
Im Ergebnis werden für die Cluster mit überwiegend EFH-Bebauung
sowie jenen mit überwiegend MFH-Bebauung unterschiedliche Systeme
(dezentral bzw. zentral) eingesetzt.
Darüber hinaus wird die Kombination verschiedener Konzeptbausteine
empfohlen, mit deren Umsetzung sowohl dem Anspruch an die Umsetzung der
Klimaschutzziele entsprochen, als auch den Kriterien Wirtschaftlichkeit,
Akzeptanz und Vermarktbarkeit Rechnung getragen werden kann.
Das Konzept wird in der Sitzung durch Herrn Andreas Hübner, Gertec GmbH
Ingenieurgesellschaft Essen, vorgestellt und erläutert.
Baustein 1:
Festlegung eines Gebäudestandards:
Die Berechnungen der Studie der Firma Gertec wurden auf Basis des KfW55-
Standards, als heute wirtschaftlichster Baustandard, vorgenommen.
Mit der Sicherstellung eines Gebäudestandards durch Verpflichtung der
Investoren bzw. Baufamilien auf einen baulichen Standard, der der 1. Stufe der
jeweils aktuellen KfW-Förderung entspricht (heute KfW55-Standard), wird jeweils
unabhängig von Anpassungsbedarfen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben der
EnEV im Laufe des Vermarktungszeitraums ein Gebäudestandard definiert. Durch
die Kopplung an die KfW-Förderung erfolgt eine rechtssichere Definition und es
wird den Bauherren der Zugang zu Fördermitteln ermöglicht. Darüber hinaus
wird so eine kontinuierliche Optimierung der Gebäudestandards erreicht und den
kommunalen Zielvorgaben der Stadt Rheine entsprochen.
Erläuterung:
Energetische Qualität wird anhand des Jahresprimärenergiebedarfes
und des
Transmissionswärmeverlustes gemessen. Für diese beiden Kennzahlen
definiert die
Energieeinsparverordnung (EnEV) Höchstwerte, die ein
vergleichbares
Referenzgebäude einhalten muss. Aus dem Vergleich erfolgt die
Zuordnung in einen
der Förderstandards. Ein KfW-Effizienzhaus 55 hat einen
Jahresprimärenergiebedarf
von nur 55 % eines vergleichbaren Referenzgebäudes
nach EnEV.
Die KfW fördert aktuell den Neubau von Wohnhäusern mit den KfW-Effizienzhaus- Standards 40 Plus, 40 und 55. Dabei gilt: Je kleiner die Zahl, desto besser die Energieeffizienz der Wohnimmobilie und desto höher die KfW-Förderung.
Baustein 2:
Wärmeversorgung Gebäude:
Im Bereich der Einfamilienhäuser (EFH) haben sich im Ergebnis der Untersuchung die Varianten Erdgas mit Solarthermie und Luft-Wasser-Wärmepumpe als im Gesamtergebnis sinnvollste Varianten dargestellt.
Aufgrund der auf dem Gelände in der Gesamtheit nicht abbildbaren Flächen für
die Unterbringung von Erdsonden als Wärmequelle für eine zentrale
Wärmeversorgung wurde die Betrachtung dieser Variante als
Gesamtversorgungskonzept verworfen. Dennoch ist im Zuge der individuellen
Entscheidung der Baufamilien die Versorgung mittels Erd-Wärmepumpe möglich. In
der Vergleichsbewertung (S.14) schneiden die beiden Systeme Erdgas mit
Solarthermie und Luft-Wärme Systeme für die Gebiete mit überwiegender
EFH-Bebauung wirtschaftlich gleich ab, wobei das System Luft-Wärme-Pumpe
hinsichtlich der CO2-Bilanz ein besseres Ergebnis erzielt. Bei Aufbau eines
Erdgasverteilnetzes in den Clustern 2,3 und 4 wird angenommen, dass 80% der
Hauseigentümer eine Gasbrennwertlösung mit Solarthermie wählen würde, 20% eine
Luftwärmepumpe.
Diese Werte
beruhen auf Ist-Auswertungen der Stadtwerke und können bei neueren
Baugebietsentwicklungen aufgrund Erfahrungswerten anderer Kommunen und energetische
höherwertiger Baustandards auch einen geringeren Anteil der Anteile der
Gasbrennwertlösung erwarten lassen.
Aufgrund der
schlechteren CO2-Bilanz des
Einsatzes von Erdgas wird der
Einsatzes von
Klima-neutralem Erdgas empfohlen. Ein entsprechendes Produkt
wird von den
Stadtwerken Rheine angeboten.
Erdgas ist
aufgrund seiner verhältnismäßig sauberen Verbrennung,
beispielsweise
im Vergleich zu Benzin, ein umweltschonenderer Brennstoff.
Trotzdem
entstehen bei der Förderung und bei der Nutzung des fossilen Gases
sogenannte
Klima- oder Treibhausgase, allen voran Kohlendioxid. Da sich dies
nicht vermeiden
lässt, wird bei diesem Produkt der entstehende Ausstoß
rechnerisch ermittelt
und die Menge an freigesetzten Treibhausgasen an anderer
Stelle durch
Kompensationsmaßnahmen ausgeglichen, die über einen geringfügig höheren Tarif
finanziert werden.
Bei der Nutzung
von Erdgas werden ca. 250g Kohlendioxid-Äquivalente (unter
Berücksichtigung
aller treibhausrelevanten Gase bei der Erdgasproduktion und -verbrennung) pro
Kilowattstunde freigesetzt. Die Klimaneutralstellung des
Erdgases erfolgt
über die Löschung von CO2-Minderungszertifikaten in
Deutschland und
Europa. Bei dem Produkt „proRheineGas-Klima“ der Stadtwerke
Rheine erfolgt
die Freistellung zu 70% über ein Grubengas-Projekt in
Deutschland und
zu 30% über ein Windkraft -Projekt in der Türkei.
Durch die
Stadtwerke wird für das Projekt „Eschendorfer Aue“ geprüft, ob Kompensationsmöglichkeiten
im regionalen Kontext umgesetzt werden können.
Bei Kompensation der CO2-Emissionen aus der Erdgasverbrennung in den
Clustern 2,3 und 4 durch nachvollziehbare, parallel zu der Neubaugebietserschließung umgesetzter Kompensationsprojekte in Rheine und Umgebung kann im Zusammenhang mit der Umsetzung aller Konzeptbausteine ein bilanzieller Ausgleich erreicht werden, der im Ergebnis eine Null-Emissions-Siedlung umsetzt.
Es ist jedoch jeweils zu berücksichtigen, dass es keinerlei Möglichkeit seitens der
Stadt Rheine gibt, die Bauherren zum Bezug eines solchen klima-neutralen
Erdgases zu verpflichten. Eine hohe Bezugsauslastung wäre durch eine
entsprechende Marketinggestaltung sowie die Preisgestaltung zu beeinflussen.
In der Bezugnahme des Rechenmodells können deshalb nicht die durch die
Kompensation zu errechnenden CO2-Werte zu Grunde gelegt werden.
Ebenfalls bieten die
Stadtwerke Rheine ein Stromprodukt
(proRheine Strom – Wärmepumpe mit watergreen+)
für den Einsatz von
Wärmepumpen im
Privatkundenbereich an. Bei dem Produkt handelt es sich um
zertifizierten Ökostrom aus
regenerativer Produktion. Eine Kompensation durch
Zertifikate ist nicht
notwendig. Den zukünftigen Baufamilien bieten die Stadtwerke
Rheine somit eine weitere
Möglichkeit zur klimafreundlichen Wärmeversorgung im
dezentralen Bereich an.)
Im
Bereich der Mehrfamilienhäuser (MFH; Cluster 1 und 5) zeichnete sich der Einsatz
eines Nahwärmenetzes als zentrale Wärmeversorgung als wirtschaftlichste und
gleichzeitig emissionsarme Variante ab. Entsprechend soll ein Nahwärmenetz auf
Basis des Einsatzes von Kraft-Wärme-Kopplung umgesetzt werden.
Als
Brennstoff für ein Blockheizkraftwerk (BHKW) wäre der Einsatz von Bio-
Methan
am vorteilhaftesten. Dieses, in Biogasanlagen durch Abfälle und
nachwachsende
Rohstoffe erzeugte Bio-Methan (Biogas), stellt eine umwelt- und
klimafreundliche
Variante dar. Die Erzeugung muss nicht vor Ort geschehen,
sondern
kann bundesweit in das Erdgasnetz eingespeist werden. Der Nachweis
erfolgt
rein bilanziell. Im Gegensatz zu fossilem Erdgas sind hierbei keine
Kompensationsmaßnahmen
notwendig.
Die
Stadtwerke Rheine können bei Bedarf ein solches Produkt anbieten.
Alternativ
wäre auch hier der Einsatz eines Kompensationsproduktes mit
regionalem
Ausgleich denkbar. Bilanziell würde hier das gleiche Ergebnis erzielt.
Der
verbindliche Anschluss aller Mehrfamilienhäuser an das
Nahwärmeversorgungssystem ist über Satzungsrecht zu
gewährleisten.
Baustein 3: Lokale erneuerbare Energieerzeugung:
Mit der
dezentralen Erzeugung von Solarstrom im Gebiet wird eine bilanzielle
Kompensation der
wärmeseitigen Emissionen erzielt.
Durch die
verpflichtende Installation von 19 Wp/qm Wohnfläche in den Clustern
2, 3 und 4
können so rund 65% der CO2-Emissionen aus der Wärmeversorgung
des
Gesamtgebietes kompensiert werden. Bei einem Einfamilienhaus mit 140m²
Wohnfläche würde
dies einer PV-Anlage von 2.660 Wp entsprechen.
Eine zusätzliche
Installation von Photovoltaik auf den Mehrfamilienhäusern
(Cluster 1 + 5)
würde ebenfalls ca. 42% der CO2-Emissionen kompensieren, was
insgesamt zu
einer Überkompensation führen würde und so eine Null-Emissions-
Siedlung möglich
machen würde. Eine Kompensation des Haushaltsstroms wird
hiermit indes allein noch nicht erreicht.
Emissionsbetrachtung unter Berücksichtigung von
Kompensationsmaßnahmen für Erdgas
Bei einer
bilanziellen Berücksichtigung nachvollziehbarer Kompensationsmaßnahmen für die
Erdgasversorgung der EFH (Cluster 2, 3 und 4) in der Treibhausgasbilanz für das
Gesamtgebiet „Eschendorfer Aue“ würde sich diese wie folgt darstellen:
- CO2-Emissionen aus der Wärmeversorgung: 300t/a (188t/a aus Nahwärmecluster
1 und 5, 112 t/a aus (kompensierter) Erdgasversorgung und Luftwärmepumpen
in Cluster 2,3 und 4)
- CO2-Gutschrift aus den PV-Anlagen Cluster 2,3 und 4 von -485t/a.
Insgesamt wären
die CO2-Emissionen
somit um das 1,5-fache überkompensiert.
Bei Einsatz von
Bio-Methan in dem BHKW für Cluster 1 + 5 könnten zusammen
mit weiteren
PV-Anlagen auf den MFH (Cluster 1 + 5) nicht nur die vollständigen
Emissionen aus
der Wärmeversorgung, sondern zudem noch rd. die Hälfte der
CO2-Emissionen aus
dem Haushaltsstromverbrauch ausgeglichen werden.
Soweit in den
nächsten 20 Jahren die Umwandlung von regenerativ erzeugtem Strom zu
Wasserstoff und deren Aufbereitung auf Erdgasqualität (Zusatz von Kohlenstoff)
wirtschaftlich möglich ist, kann das vorhandene Erdgasnetz in Rheine uneingeschränkt
hierfür genutzt werden.
Anlagen:
Anlage 1: Endbericht Wärmeversorgung „Eschendorfer Aue“ (Gertec Ingenieursgesellschaft GmbH)