Beschlussvorschlag:
Der Ausschuss für
Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz nimmt den Sachstandsbericht zur
Vorgehensweise der Stadtplanung und die Kriterienliste zur
Gefährdungsbeurteilung der Wohngebiete im Rheiner Stadtgebiet zur Kenntnis.
Begründung:
1. Sachstandsbericht
In den vergangenen Jahren ist die
Problematik von konfliktverursachenden Mehrfamilienhäusern in bestehenden
homogenen Einfamilienhausgebieten vermehrt aufgetreten. Der Ausschuss für
Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz (StUK) hat dieses Thema daher bereits
im Januar 2018 vom Grundsatz her beraten (s. Vorlage 043/18). In dem dabei
getroffenen Grundsatzbeschluss wurde die Verwaltung beauftragt, „Bebauungspläne
für Gebiete ohne verbindliche Bauleitplanung aufzustellen bzw. bestehende
Bebauungspläne zu ändern (…) mit der Intention, in durch Ein- und
Zweifamilienhausgebieten geprägten Quartieren die Zahl der Wohneinheiten pro
Gebäude zu begrenzen“. Nach einer ersten Analyse wurden damals ca. 120
Wohngebiete in der Gesamtstadt Rheine ausfindig gemacht, die aufgrund ihrer
klassischen, homogenen Ein- / Zweifamilienhausstrukturen vor Überformung durch
Mehrfamilienhäuser potenziell geschützt werden sollen.
Im gleichen Zeitraum haben sich vermehrt Bewohner- und Nachbarschaftsinitiativen gebildet, die Anträge auf Bauleitplanung zu diesem Thema gestellt haben. Folglich wurden seit Frühjahr 2018 vermehrt Bauleitplanverfahren, die zur Steuerung der Nachverdichtung das Ziel der Wohneinheitenregulierung beinhalten, von der Verwaltung vorbereitet. Durch die personelle Aufstockung im Produktbereich Stadtplanung im Oktober bzw. November 2018 können die Anträge auf Bauleitplanung zu dieser Thematik konsequent abgearbeitet werden.
Wie die Inhalte der gestellten Anträge auf Bauleitplanung (u.a. auch für Gebiete, die in der ersten Analyse nicht als schützenswert erfasst wurden, wie bspw. das Wohngebiet im Bereich Wadelheimer Chaussee-Ost) und der Erkenntnisgewinn der Bearbeitung zeigen, trifft die vorliegende Problematik nicht allein auf homogene Ein- und Zweifamilienhausgebiete zu, sondern auch auf Wohngebiete, in denen bereits (einzelne) Mehrfamilienhäuser existieren. Deshalb wird seitens der Stadtverwaltung nun das gesamte Rheiner Stadtgebiet analysiert, was eine noch nicht verifizierte Anzahl von Mehrverfahren mit sich bringt. Das Ziel ist die Ermittlung des jeweiligen Gefährdungspotenzials eines Wohngebietes.
Zusätzlich wird bei Bauanträgen für Mehrfamilienhäuser vermehrt darauf geachtet, ob das Vorhaben nachbarschaftliche Spannungen oder Konflikte auslösen könnte. Sollte dies der Fall sein, wird verwaltungsintern beraten, ob ein Bebauungsplan für diesen Bereich zu ändern oder aufzustellen ist und ein entsprechender Beschluss für den StUK zur zeitnahen Beratung erstellt werden soll. Der Produktbereich Stadtplanung bereitet dann einen entsprechenden Verfahrenseinstieg vor. Nach einem Beschluss zur Änderung bzw. Neuaufstellung eines Bebauungsplanes durch den StUK können problematische Bauvorhaben zurückgestellt werden.
Nach derzeitigem Stand (Februar 2019) sind in Rheine insgesamt 13 Verfahren zur Aufstellung oder Änderung von Bebauungsplänen eingeleitet worden, die zur Steuerung der Nachverdichtung dienen. Die aufgestellten Bebauungspläne enthalten dabei sowohl flächendeckende Festsetzungen von max. 2 Wohneinheiten pro Gebäude – wie beispielsweise die 23. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 122, Kennwort: „Ochtruper Straße Nord“ – als auch differenzierte Festsetzungen mit unterschiedlichen Dichtewerten, wie es im Bebauungsplan Nr. 74, Kennwort: „Wohngebiet westlich Mathias-Spital“ oder auch im Bebauungsplan Nr. 118, Kennwort: „Gartenstraße“ der Fall ist. Die festgesetzten maximal zulässigen Wohneinheiten pro Gebäude orientieren sich dabei stets am vorhandenen Bestand und der städtebaulichen Analyse, ob eine verträgliche Verdichtung des Grundstücks Konflikte mit der Bestandsbebauung bzw. den Nachbarn auslösen könnte.
2. Kriterien
zur Gefährdungsbeurteilung von Wohngebieten
Da eine hohe Anzahl betroffener
Bereiche im Stadtgebiet existiert und diese nicht gleichzeitig abgearbeitet werden
kann, ist eine nachvollziehbare Methodik zur Strukturierung der Abarbeitung
notwendig. Dabei soll ein Kriterienkatalog zur objektiven Analyse des
Gefährdungspotenzials aller Wohngebiete im Rheiner Stadtgebiet angefertigt
werden. Die zentrale Frage lautet hierbei: In welchen Wohngebietsbereichen ist
das Gefährdungspotenzial für eine negative Beeinträchtigung der
Wohngebietsstrukturen aufgrund der Qualität des Bebauungsplanes oder der
Situation nach § 34 BauGB besonders groß oder gering? Durch die Feststellung
des Gefährdungspotenzials soll eine Prioritätenliste erstellt werden. Für die
besonders gefährdeten Gebiete soll vordringlich ein Bauleitplanverfahren
eingeleitet werden. Diese Liste soll als Arbeitsgrundlage für die Abarbeitung
der in den nächsten Jahren anfallenden Bebauungsplanverfahren dienen.
Folgende Kriterien sollen für die Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden:
Wohngebiete mit Bebauungsplan
·
Art der baulichen Nutzung
In Gebieten
mit Bebauungsplan sind in Reinen und Allgemeinen Wohngebieten (WR bzw. WA)
Konflikte zwischen Einfamilien- und Mehrfamilienhausbebauungen am
wahrscheinlichsten, da diese mehrheitlich für Wohnnutzungen aufgestellt wurden.
·
Maß der baulichen Nutzung
Festsetzung Geschossigkeit:
Für eine
Mehrfamilienhausbebauung ist eine Festsetzung von einem Vollgeschoss in der
Regel uninteressant, da für eine rentable Investition mindestens zwei
Vollgeschosse notwendig sind. Häufig sind jedoch auch in
Einfamilienhausgebieten zwei Vollgeschosse festgesetzt. Ohne eine weitere Höhenbegrenzung
können sich daraus unter optimaler Ausnutzung eines Dachgeschosses oder
Staffelgeschosses (§ 2 Abs. 6 BauO NRW) drei
nutzbare Ebenen ergeben.
Festsetzung
Gebäudehöhe:
Sind in den Bebauungsplänen Trauf- und Firsthöhen angegeben, die auf
eine klassische Einfamilienhausbebauung abzielen (z. B. TH max. 4,50 m, FH max.
9,50 m), kann dies für Mehrfamilienhäuser hinderlich bzw. zu stark
einschränkend sein.
Dachneigung:
Die Dachneigung kann insbesondere in Verbindung mit
Trauf- und Firsthöhen ein erschwerendes Kriterium für Mehrfamilienhäuser sein.
·
Baulücken
Anzahl:
Je mehr Baulücken
vorhanden sind, desto höher ist auch das Risiko, dass eine
Mehrfamilienhausbebauung im betreffenden Gebiet errichtet werden könnte.
Lage:
Je nach Lage der
Baulücke(n) im Geltungsbereich können Mehrfamilienhäuser städtebaulich
unproblematisch sein, z. B. wenn diese an Kreuzungen oder Einfahrtsstraßen des
Wohngebietes oder in Lagen entstehen, wo sie keine bzw. wenig Konflikte
auslösen.
Größe:
Sind große Baulücken bzw.
freie Grundstücke im Geltungsbereich vorhanden, können hier – auch bei
geringerer Grundflächenzahl (z. B. GRZ 0,4) – zumeist größere Gebäude mit
großen Grundflächen errichtet werden,
·
Alter des Gebäudes / des Wohngebietes:
Aufgrund
des Alters der Gebäude und der damit verbundenen fehlenden
Anpassungsmöglichkeit an heutige Wohnformen/Grundrisse und
Wärmedämmungsstandards steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne
Bestandsgebäude abgebrochen und die Grundstücke neu bebaut werden. Darüber
hinaus werden durch den anstehenden Generationswechsel, der insbesondere in den
Einfamilienhausgebieten der 1950er bis 1970er Jahre stattfindet, vermehrt
Grundstücke zum Verkauf angeboten, da die Generation der Kinder nicht bereit
oder in der Lage ist, die elterliche Immobilie zu übernehmen. Da bei den
Verkäufern oft ein wirtschaftliches Verwertungsinteresse im Vordergrund steht,
werden interessante Objekte durchaus auch an Investoren verkauft, die das
Grundstück in der Regel intensiver und wirtschaftlicher nutzen möchten.
·
Alter des Bebauungsplans:
Bebauungspläne aus den
1960er bis späten 1980er Jahren beinhalten oftmals nur zeichnerische
Festsetzungen und kaum oder wenige textliche Festsetzungen. Dies führt dazu,
dass eine Vielzahl an Gebäudetypen in diesem Geltungsbereichen möglich ist, da
wenig einschränkende Festsetzungen vorhanden sind.
Darüber hinaus basieren
die älteren Bebauungspläne je nach Datum des Satzungsbeschlusses auf den
jeweiligen Baunutzungsverordnungen (BauNVO) der Jahre 1962, 1968 oder 1977.
Gemäß dieser Verordnungen müssen u. a. Stellplätze, Garagen, Carports und deren
Zufahrten bei der Berechnung der Grundflächenzahl (GRZ) nicht berücksichtigt
werden. Als Ergebnis kann sich insbesondere beim Bau von Mehrfamilienhäusern
ein sehr hoher Versiegelungsgrad der Baugrundstücke ergeben, der bis zu 100 %
gehen kann, obwohl eine GRZ von 0,4 festgesetzt ist.
·
Anzahl der Wohneinheiten pro Gebäude:
Durch eine Ortsbegehung
kann die Anzahl der Wohneinheiten pro Wohngebäude ermittelt werden. Bei
Unklarheiten können die jeweiligen Bauakten der Gebäude zur Hilfe gezogen
werden, um so die genehmigte Anzahl der Wohneinheiten des Gebäudes
festzustellen.
·
Aktuelle Anfragen:
Um auch auf aktuelle
Entwicklungen reagieren zu können, werden sowohl nach Bauberatungen oder
Bauvoranfragen und Bauanträgen, entsprechende Hinweise an die zuständigen
Sachbearbeiter im Produktbereich Stadtplanung weitergeleitet, um das
Gefährdungspotenzial in dem betreffenden Wohngebiet zu erkennen und besser
einschätzen zu können.
·
Städtebauliches Konzept:
In der Begründung des
Bebauungsplans wird in der Regel das städtebauliche Konzept der Planung näher
erläutert. Daraus kann entnommen werden, ob der Plangeber das Wohngebiet
vornehmlich für Ein- oder Zweifamilienhausgebäude ausgelegt hat. Schlagwörter
sind meist „Familienheime“, „Eigenheim“, „Eigenheimbebauung“,
„Familieneigenheim“, „freistehende Eigenheime“, „Eigenheimbau“ oder ähnliche.
In diesem Fall bieten diese Aussagen eine wichtige Argumentationsgrundlage, um
das Wohnquartier vor übermäßiger Nachverdichtung zu schützen. Da es um den
Erhalt der ursprünglichen Intention für das Baugebiet und den Erhalt der
beabsichtigten Strukturen geht, genügt in der Regel eine Bebauungsplanänderung
mit einer textlichen Festsetzung zur Wohneinheitenbegrenzung, da die weiteren
Festsetzungen aus dem Ursprungsplan weiter rechtgültig bleiben und von der
Änderung nur näher bestimmt werden.
Da zur Zeit der
Aufstellung des jeweiligen Ursprungsplanes keine Begrenzung der Wohneinheiten
pro Gebäude notwendig war, sich jedoch in der Zwischenzeit die Rechtsprechung
zum Thema „Einzelhaus“ geändert hat, ist eine Änderung des Bebauungsplans
angebracht.
Wohngebiete nach § 34 BauGB
Für Wohngebiete, die planungsrechtlich nach § 34 BauGB beurteilt werden, wurden z. T. gesonderte Kriterien entwickelt, da bei der planungsrechtlichen Beurteilung von Bauvorhaben in diesen Gebieten andere Aspekte geprüft werden.
·
Art der baulichen Nutzung
Das gefährdete Gebiet muss
weit überwiegend oder fast ausschließlich durch Wohnnutzung geprägt sein. Dort
sind – wie in Bebauungsplangebieten auch – Spannungen zwischen Ein- und
Mehrfamilienhäusern am wahrscheinlichsten und konfliktträchtigsten. Durch Wohnnutzung
geprägt bedeutet, dass das Wohnen in diesem Gebiet vorrangig stattfindet, aber
auch wohnverträgliche gewerbliche Nutzungen (u. a. Gaststätten, Einzelhandel,
nicht störendes Gewerbe) vorhanden sein können.
·
Maß der baulichen Nutzung
Gebäudehöhen:
Ein zukünftiges
Bauvorhaben muss sich hinsichtlich der Gebäudehöhen an die Höhen der
Umgebungsbebauung orientieren. Sehr hohe Firsthöhen bei den Bestandsgebäuden
bieten für den Bau von Mehrfamilienhäusern viel Potenzial. Je höher folglich
die im Bestand befindlichen Gebäude gebaut wurden, desto höher ist das Risiko,
dass Abbruchgrundstücke oder Baulücken mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden
können.
Größe der überbaubaren Grundstücksfläche:
Die
überbaubare Grundstückfläche beschreibt das Baufeld für zukünftige Vorhaben.
Dieses wird durch die faktischen vorderen und hinteren Baugrenzen der
Umgebungsbebauung definiert. Je größer das potenzielle Baufeld und das
betreffende Grundstück sind, desto größer kann die Grundfläche des Bauvorhabens
ausfallen. Dementsprechend bieten sich Grundstücke mit derartigen Qualitäten
für die Errichtung von Mehrfamilienhäusern an.
·
Absolute und relative Grundfläche
Weitere wichtige Kriterien
für die Bewertung des Maßes der baulichen Nutzung sind die relative und
absolute Grundfläche der Gebäude. Ein Bauvorhaben hat sich an den jeweiligen
absoluten Grundflächen der Umgebungsbebauung zu orientieren. Die relative
Grundfläche, die aufgrund eines großen Grundstückes sehr umfangreich ausfallen
könnte, muss sich auch an der absoluten Grundfläche der Umgebungsbebauung
orientieren.
·
Größe des Grundstücks:
s. o.
·
Baulücken (Anzahl,
Lage und Größe)
s. o.
·
Anzahl der vorhandenen Wohneinheiten pro Gebäude:
s. o.
·
Aktuelle Anfragen:
s. o.
Der Kriterienkatalog ist noch nicht abschließend festgelegt. Im Laufe der Anwendung wird sich zeigen, inwieweit sich einzelne Kriterien in der Praxisanwendung beweisen. Einzelne Kriterien können folglich geändert werden, hinzukommen oder wegfallen. Aus diesem Grund ist auch eine Gewichtung der Kriterien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend möglich.
Vorgehen:
Jedes Wohnquartier im Stadtgebiet Rheine wird hinsichtlich der zuvor dargestellten Kriterien für Bebauungsplangebiete bzw. § 34 BauGB-Gebiete untersucht. Dabei wird überprüft, welche und wie viele Kriterien zutreffend sind.
Beispiele für gefährdete
Bereiche:
·
Beispiel 1:
Bebauungsplan aus dem Jahr 1970, durch Einfamilienhausbebauung geprägtes
Wohngebiet, Allgemeines Wohngebiet (WA), II Vollgeschosse, keine
Höhenbegrenzungen, große Baulücken
·
Beispiel 2: Gebiet
ohne Bebauungsplan, durch Einfamilienhausbebauung geprägtes Wohngebiet,
überwiegend sehr hohe Gebäude, große Grundstücke und große potenziell
überbaubare Grundstücksflächen, alter Gebäudebestand
Beispiele für weniger
gefährdete Bereiche:
·
Beispiel 1: Bebauungsplan,
durch Einfamilienhausbebauung geprägtes Wohngebiet, I Vollgeschoss,
regulierende Traufhöhenbegrenzung
·
Beispiel 2:
Gebiet ohne Bebauungsplan, starke Durchmischung mit Ein- und
Mehrfamilienhäusern, verschiedene Höhen, keine Baulücken
Der Kriterienkatalog sowie auch die daraus resultierende Prioritätenliste soll bei neuem Erkenntnisgewinn stetig weiterentwickelt werden.
Bei Gebieten, bei denen ein Gefährdungspotenzial identifiziert worden ist, soll nicht pauschal eine Regulierung mit zwei Wohneinheiten je Gebäude getroffen werden. Eine kleinräumige Untersuchung der Gebiete soll eine dynamische Anwendung der Regelung ermöglichen, sodass beispielsweise auch Teilbereiche, die bereits durch Mehrfamilienhäuser vorgeprägt sind, zukünftig nicht hinsichtlich der Wohneinheiten maßgeblich beschränkt werden sollen, sofern es städtebaulich vertretbar ist.
Insgesamt soll durch das dargestellte Vorgehen eine maßvolle Nachverdichtung unter Berücksichtigung der Bestandsstrukturen erfolgen können. Aktuell aufzustellende Bebauungspläne für neu entwickelte Wohngebiete werden direkt mit entsprechenden Festsetzungen zu den maximal zulässigen Wohneinheiten pro Gebäude versehen (Beispiel Bebauungsplan Nr. 339, Kennwort: „Eschendorfer Aue“).
Anlagen:
Anlage 1: Stand der Bebauungsplanverfahren zur Regulierung der Wohneinheiten