Betreff
Steuerung der Nachverdichtung in Wohnquartieren - Sachstandsbericht und Kriterien für die Gefährdungsbeurteilung
Vorlage
125/19
Aktenzeichen
PG 5.1 - hue
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz nimmt den Sachstandsbericht zur Vorgehensweise der Stadtplanung und die Kriterienliste zur Gefährdungsbeurteilung der Wohngebiete im Rheiner Stadtgebiet zur Kenntnis.

 


Begründung:

 

1.    Sachstandsbericht

In den vergangenen Jahren ist die Problematik von konfliktverursachenden Mehrfamilienhäusern in bestehenden homogenen Einfamilienhausgebieten vermehrt aufgetreten. Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Klimaschutz (StUK) hat dieses Thema daher bereits im Januar 2018 vom Grundsatz her beraten (s. Vorlage 043/18). In dem dabei getroffenen Grundsatzbeschluss wurde die Verwaltung beauftragt, „Bebauungspläne für Gebiete ohne verbindliche Bauleitplanung aufzustellen bzw. bestehende Bebauungspläne zu ändern (…) mit der Intention, in durch Ein- und Zweifamilienhausgebieten geprägten Quartieren die Zahl der Wohneinheiten pro Gebäude zu begrenzen“. Nach einer ersten Analyse wurden damals ca. 120 Wohngebiete in der Gesamtstadt Rheine ausfindig gemacht, die aufgrund ihrer klassischen, homogenen Ein- / Zweifamilienhausstrukturen vor Überformung durch Mehrfamilienhäuser potenziell geschützt werden sollen.

 

Im gleichen Zeitraum haben sich vermehrt Bewohner- und Nachbarschaftsinitiativen gebildet, die Anträge auf Bauleitplanung zu diesem Thema gestellt haben. Folglich wurden seit Frühjahr 2018 vermehrt Bauleitplanverfahren, die zur Steuerung der Nachverdichtung das Ziel der Wohneinheitenregulierung beinhalten, von der Verwaltung vorbereitet. Durch die personelle Aufstockung im Produktbereich Stadtplanung im Oktober bzw. November 2018 können die Anträge auf Bauleitplanung zu dieser Thematik konsequent abgearbeitet werden.

 

Wie die Inhalte der gestellten Anträge auf Bauleitplanung (u.a. auch für Gebiete, die in der ersten Analyse nicht als schützenswert erfasst wurden, wie bspw. das Wohngebiet im Bereich Wadelheimer Chaussee-Ost) und der Erkenntnisgewinn der Bearbeitung zeigen, trifft die vorliegende Problematik nicht allein auf homogene Ein- und Zweifamilienhausgebiete zu, sondern auch auf Wohngebiete, in denen bereits (einzelne) Mehrfamilienhäuser existieren. Deshalb wird seitens der Stadtverwaltung nun das gesamte Rheiner Stadtgebiet analysiert, was eine noch nicht verifizierte Anzahl von Mehrverfahren mit sich bringt. Das Ziel ist die Ermittlung des jeweiligen Gefährdungspotenzials eines Wohngebietes.

 

Zusätzlich wird bei Bauanträgen für Mehrfamilienhäuser vermehrt darauf geachtet, ob das Vorhaben nachbarschaftliche Spannungen oder Konflikte auslösen könnte. Sollte dies der Fall sein, wird verwaltungsintern beraten, ob ein Bebauungsplan für diesen Bereich zu ändern oder aufzustellen ist und ein entsprechender Beschluss für den StUK zur zeitnahen Beratung erstellt werden soll. Der Produktbereich Stadtplanung bereitet dann einen entsprechenden Verfahrenseinstieg vor. Nach einem Beschluss zur Änderung bzw. Neuaufstellung eines Bebauungsplanes durch den StUK können problematische Bauvorhaben zurückgestellt werden.

 

Nach derzeitigem Stand (Februar 2019) sind in Rheine insgesamt 13 Verfahren zur Aufstellung oder Änderung von Bebauungsplänen eingeleitet worden, die zur Steuerung der Nachverdichtung dienen. Die aufgestellten Bebauungspläne enthalten dabei sowohl flächendeckende Festsetzungen von max. 2 Wohneinheiten pro Gebäude – wie beispielsweise die 23. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 122, Kennwort: „Ochtruper Straße Nord“ – als auch differenzierte Festsetzungen mit unterschiedlichen Dichtewerten, wie es im Bebauungsplan Nr. 74, Kennwort: „Wohngebiet westlich Mathias-Spital“ oder auch im Bebauungsplan Nr. 118, Kennwort: „Gartenstraße“ der Fall ist. Die festgesetzten maximal zulässigen Wohneinheiten pro Gebäude orientieren sich dabei stets am vorhandenen Bestand und der städtebaulichen Analyse, ob eine verträgliche Verdichtung des Grundstücks Konflikte mit der Bestandsbebauung bzw. den Nachbarn auslösen könnte.

 

 

2.    Kriterien zur Gefährdungsbeurteilung von Wohngebieten

Da eine hohe Anzahl betroffener Bereiche im Stadtgebiet existiert und diese nicht gleichzeitig abgearbeitet werden kann, ist eine nachvollziehbare Methodik zur Strukturierung der Abarbeitung notwendig. Dabei soll ein Kriterienkatalog zur objektiven Analyse des Gefährdungspotenzials aller Wohngebiete im Rheiner Stadtgebiet angefertigt werden. Die zentrale Frage lautet hierbei: In welchen Wohngebietsbereichen ist das Gefährdungspotenzial für eine negative Beeinträchtigung der Wohngebietsstrukturen aufgrund der Qualität des Bebauungsplanes oder der Situation nach § 34 BauGB besonders groß oder gering? Durch die Feststellung des Gefährdungspotenzials soll eine Prioritätenliste erstellt werden. Für die besonders gefährdeten Gebiete soll vordringlich ein Bauleitplanverfahren eingeleitet werden. Diese Liste soll als Arbeitsgrundlage für die Abarbeitung der in den nächsten Jahren anfallenden Bebauungsplanverfahren dienen.

 

Folgende Kriterien sollen für die Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden:

 

Wohngebiete mit Bebauungsplan

·         Art der baulichen Nutzung

In Gebieten mit Bebauungsplan sind in Reinen und Allgemeinen Wohngebieten (WR bzw. WA) Konflikte zwischen Einfamilien- und Mehrfamilienhausbebauungen am wahrscheinlichsten, da diese mehrheitlich für Wohnnutzungen aufgestellt wurden.

·         Maß der baulichen Nutzung

Festsetzung Geschossigkeit:

Für eine Mehrfamilienhausbebauung ist eine Festsetzung von einem Vollgeschoss in der Regel uninteressant, da für eine rentable Investition mindestens zwei Vollgeschosse notwendig sind. Häufig sind jedoch auch in Einfamilienhausgebieten zwei Vollgeschosse festgesetzt. Ohne eine weitere Höhenbegrenzung können sich daraus unter optimaler Ausnutzung eines Dachgeschosses oder Staffelgeschosses (§ 2 Abs. 6 BauO NRW) drei nutzbare Ebenen ergeben.

Festsetzung Gebäudehöhe:
Sind in den Bebauungsplänen Trauf- und Firsthöhen angegeben, die auf eine klassische Einfamilienhausbebauung abzielen (z. B. TH max. 4,50 m, FH max. 9,50 m), kann dies für Mehrfamilienhäuser hinderlich bzw. zu stark einschränkend sein.

Dachneigung:

Die Dachneigung kann insbesondere in Verbindung mit Trauf- und Firsthöhen ein erschwerendes Kriterium für Mehrfamilienhäuser sein.

·         Baulücken

Anzahl:

Je mehr Baulücken vorhanden sind, desto höher ist auch das Risiko, dass eine Mehrfamilienhausbebauung im betreffenden Gebiet errichtet werden könnte.

Lage:

Je nach Lage der Baulücke(n) im Geltungsbereich können Mehrfamilienhäuser städtebaulich unproblematisch sein, z. B. wenn diese an Kreuzungen oder Einfahrtsstraßen des Wohngebietes oder in Lagen entstehen, wo sie keine bzw. wenig Konflikte auslösen.

Größe:

Sind große Baulücken bzw. freie Grundstücke im Geltungsbereich vorhanden, können hier – auch bei geringerer Grundflächenzahl (z. B. GRZ 0,4) – zumeist größere Gebäude mit großen Grundflächen errichtet werden,

·         Alter des Gebäudes / des Wohngebietes:

Aufgrund des Alters der Gebäude und der damit verbundenen fehlenden Anpassungsmöglichkeit an heutige Wohnformen/Grundrisse und Wärmedämmungsstandards steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Bestandsgebäude abgebrochen und die Grundstücke neu bebaut werden. Darüber hinaus werden durch den anstehenden Generationswechsel, der insbesondere in den Einfamilienhausgebieten der 1950er bis 1970er Jahre stattfindet, vermehrt Grundstücke zum Verkauf angeboten, da die Generation der Kinder nicht bereit oder in der Lage ist, die elterliche Immobilie zu übernehmen. Da bei den Verkäufern oft ein wirtschaftliches Verwertungsinteresse im Vordergrund steht, werden interessante Objekte durchaus auch an Investoren verkauft, die das Grundstück in der Regel intensiver und wirtschaftlicher nutzen möchten.

·         Alter des Bebauungsplans:

Bebauungspläne aus den 1960er bis späten 1980er Jahren beinhalten oftmals nur zeichnerische Festsetzungen und kaum oder wenige textliche Festsetzungen. Dies führt dazu, dass eine Vielzahl an Gebäudetypen in diesem Geltungsbereichen möglich ist, da wenig einschränkende Festsetzungen vorhanden sind.

Darüber hinaus basieren die älteren Bebauungspläne je nach Datum des Satzungsbeschlusses auf den jeweiligen Baunutzungsverordnungen (BauNVO) der Jahre 1962, 1968 oder 1977. Gemäß dieser Verordnungen müssen u. a. Stellplätze, Garagen, Carports und deren Zufahrten bei der Berechnung der Grundflächenzahl (GRZ) nicht berücksichtigt werden. Als Ergebnis kann sich insbesondere beim Bau von Mehrfamilienhäusern ein sehr hoher Versiegelungsgrad der Baugrundstücke ergeben, der bis zu 100 % gehen kann, obwohl eine GRZ von 0,4 festgesetzt ist.

 

·         Anzahl der Wohneinheiten pro Gebäude:

Durch eine Ortsbegehung kann die Anzahl der Wohneinheiten pro Wohngebäude ermittelt werden. Bei Unklarheiten können die jeweiligen Bauakten der Gebäude zur Hilfe gezogen werden, um so die genehmigte Anzahl der Wohneinheiten des Gebäudes festzustellen.

·         Aktuelle Anfragen:

Um auch auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können, werden sowohl nach Bauberatungen oder Bauvoranfragen und Bauanträgen, entsprechende Hinweise an die zuständigen Sachbearbeiter im Produktbereich Stadtplanung weitergeleitet, um das Gefährdungspotenzial in dem betreffenden Wohngebiet zu erkennen und besser einschätzen zu können.

·         Städtebauliches Konzept:

In der Begründung des Bebauungsplans wird in der Regel das städtebauliche Konzept der Planung näher erläutert. Daraus kann entnommen werden, ob der Plangeber das Wohngebiet vornehmlich für Ein- oder Zweifamilienhausgebäude ausgelegt hat. Schlagwörter sind meist „Familienheime“, „Eigenheim“, „Eigenheimbebauung“, „Familieneigenheim“, „freistehende Eigenheime“, „Eigenheimbau“ oder ähnliche. In diesem Fall bieten diese Aussagen eine wichtige Argumentationsgrundlage, um das Wohnquartier vor übermäßiger Nachverdichtung zu schützen. Da es um den Erhalt der ursprünglichen Intention für das Baugebiet und den Erhalt der beabsichtigten Strukturen geht, genügt in der Regel eine Bebauungsplanänderung mit einer textlichen Festsetzung zur Wohneinheitenbegrenzung, da die weiteren Festsetzungen aus dem Ursprungsplan weiter rechtgültig bleiben und von der Änderung nur näher bestimmt werden.

Da zur Zeit der Aufstellung des jeweiligen Ursprungsplanes keine Begrenzung der Wohneinheiten pro Gebäude notwendig war, sich jedoch in der Zwischenzeit die Rechtsprechung zum Thema „Einzelhaus“ geändert hat, ist eine Änderung des Bebauungsplans angebracht.

 

Wohngebiete nach § 34 BauGB

Für Wohngebiete, die planungsrechtlich nach § 34 BauGB beurteilt werden, wurden z. T. gesonderte Kriterien entwickelt, da bei der planungsrechtlichen Beurteilung von Bauvorhaben in diesen Gebieten andere Aspekte geprüft werden.

·         Art der baulichen Nutzung

Das gefährdete Gebiet muss weit überwiegend oder fast ausschließlich durch Wohnnutzung geprägt sein. Dort sind – wie in Bebauungsplangebieten auch – Spannungen zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern am wahrscheinlichsten und konfliktträchtigsten. Durch Wohnnutzung geprägt bedeutet, dass das Wohnen in diesem Gebiet vorrangig stattfindet, aber auch wohnverträgliche gewerbliche Nutzungen (u. a. Gaststätten, Einzelhandel, nicht störendes Gewerbe) vorhanden sein können.

·         Maß der baulichen Nutzung

Gebäudehöhen:

Ein zukünftiges Bauvorhaben muss sich hinsichtlich der Gebäudehöhen an die Höhen der Umgebungsbebauung orientieren. Sehr hohe Firsthöhen bei den Bestandsgebäuden bieten für den Bau von Mehrfamilienhäusern viel Potenzial. Je höher folglich die im Bestand befindlichen Gebäude gebaut wurden, desto höher ist das Risiko, dass Abbruchgrundstücke oder Baulücken mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden können.

Größe der überbaubaren Grundstücksfläche:

Die überbaubare Grundstückfläche beschreibt das Baufeld für zukünftige Vorhaben. Dieses wird durch die faktischen vorderen und hinteren Baugrenzen der Umgebungsbebauung definiert. Je größer das potenzielle Baufeld und das betreffende Grundstück sind, desto größer kann die Grundfläche des Bauvorhabens ausfallen. Dementsprechend bieten sich Grundstücke mit derartigen Qualitäten für die Errichtung von Mehrfamilienhäusern an.

·         Absolute und relative Grundfläche

Weitere wichtige Kriterien für die Bewertung des Maßes der baulichen Nutzung sind die relative und absolute Grundfläche der Gebäude. Ein Bauvorhaben hat sich an den jeweiligen absoluten Grundflächen der Umgebungsbebauung zu orientieren. Die relative Grundfläche, die aufgrund eines großen Grundstückes sehr umfangreich ausfallen könnte, muss sich auch an der absoluten Grundfläche der Umgebungsbebauung orientieren.

·         Größe des Grundstücks:

s. o.

·         Baulücken (Anzahl, Lage und Größe)

s. o.

·         Anzahl der vorhandenen Wohneinheiten pro Gebäude:

s. o.

·         Aktuelle Anfragen:

s. o.

 

Der Kriterienkatalog ist noch nicht abschließend festgelegt. Im Laufe der Anwendung wird sich zeigen, inwieweit sich einzelne Kriterien in der Praxisanwendung beweisen. Einzelne Kriterien können folglich geändert werden, hinzukommen oder wegfallen. Aus diesem Grund ist auch eine Gewichtung der Kriterien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend möglich.

 

Vorgehen:

Jedes Wohnquartier im Stadtgebiet Rheine wird hinsichtlich der zuvor dargestellten Kriterien für Bebauungsplangebiete bzw. § 34 BauGB-Gebiete untersucht. Dabei wird überprüft, welche und wie viele Kriterien zutreffend sind.

 

Beispiele für gefährdete Bereiche:

·         Beispiel 1: Bebauungsplan aus dem Jahr 1970, durch Einfamilienhausbebauung geprägtes Wohngebiet, Allgemeines Wohngebiet (WA), II Vollgeschosse, keine Höhenbegrenzungen, große Baulücken

·         Beispiel 2: Gebiet ohne Bebauungsplan, durch Einfamilienhausbebauung geprägtes Wohngebiet, überwiegend sehr hohe Gebäude, große Grundstücke und große potenziell überbaubare Grundstücksflächen, alter Gebäudebestand

 

Beispiele für weniger gefährdete Bereiche:

·         Beispiel 1: Bebauungsplan, durch Einfamilienhausbebauung geprägtes Wohngebiet, I Vollgeschoss, regulierende Traufhöhenbegrenzung

·         Beispiel 2: Gebiet ohne Bebauungsplan, starke Durchmischung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, verschiedene Höhen, keine Baulücken

 

 

Der Kriterienkatalog sowie auch die daraus resultierende Prioritätenliste soll bei neuem Erkenntnisgewinn stetig weiterentwickelt werden.

 

Bei Gebieten, bei denen ein Gefährdungspotenzial identifiziert worden ist, soll nicht pauschal eine Regulierung mit zwei Wohneinheiten je Gebäude getroffen werden. Eine kleinräumige Untersuchung der Gebiete soll eine dynamische Anwendung der Regelung ermöglichen, sodass beispielsweise auch Teilbereiche, die bereits durch Mehrfamilienhäuser vorgeprägt sind, zukünftig nicht hinsichtlich der Wohneinheiten maßgeblich beschränkt werden sollen, sofern es städtebaulich vertretbar ist.

 

Insgesamt soll durch das dargestellte Vorgehen eine maßvolle Nachverdichtung unter Berücksichtigung der Bestandsstrukturen erfolgen können. Aktuell aufzustellende Bebauungspläne für neu entwickelte Wohngebiete werden direkt mit entsprechenden Festsetzungen zu den maximal zulässigen Wohneinheiten pro Gebäude versehen (Beispiel Bebauungsplan Nr. 339, Kennwort: „Eschendorfer Aue“).

 


Anlagen:

 

Anlage 1: Stand der Bebauungsplanverfahren zur Regulierung der Wohneinheiten