Betreff
Ausrufung des Klimanotstandes in der Stadt Rheine
Vorlage
284/19
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

1)      Der Rat der Stadt Rheine bestätigt, dass ein „weltweiter Klimanotstand“ vorliegt und erkennt ausdrücklich die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels und die daraus resultierende Notwendigkeit des Handelns an.

 

2)      Der Rat der Stadt Rheine bekräftigt die Vorbildfunktion, die die Stadt Rheine als Masterplan 100% Klimaschutz – Kommune hat.

 

3)      Der Rat der Stadt Rheine beauftragt die Verwaltung mit der Fortschreibung und Evaluierung des Masterplan 100% Klimaschutz.

 

4)      Der Rat der Stadt Rheine erklärt, dass er ab sofort die Auswirkungen auf das Klima bei relevanten Entscheidungen noch intensiver berücksichtigen wird und grundsätzlich solche Lösungen bevorzugen wird, die sich positiv auf den Klimaschutz auswirken.

 

5)      Der Rat der Stadt Rheine stimmt der, von der Verwaltung benannten Verfahrensweise zu und beauftragt die Verwaltung mit deren Umsetzung.

 

6)      Der Rat der Stadt Rheine fordert die kommunalen Tochterunternehmen auf, sich selbst ambitionierte Klimaschutzziele zu setzen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und dem Rat dazu Bericht zu erstatten

 

 


Begründung:

 

Nach Informationen des Städte- und Gemeindebundes NRW liegen nach deren Kenntnis in NRW aktuell in 119 Städten und Gemeinden Beschlüsse zur Ausrufung des Klimanotstandes vor.

 

Mit den in der Anlage beigefügten Anträgen liegen jetzt auch zwei Anträge in Rheine vor, über die der Rat zu befinden hat. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern hat in Anlehnung an die „Fridays-for-future-Bewegung“ eine Anregung gemäß § 24 Gemeindeordnung NRW vorgebracht, mit der der Rat der Stadt Rheine aufgefordert wird, den „Klimanotstand“ auszurufen.

Ferner liegt auch ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, in dem u.a. die Feststellung des Klimanotstandes durch den Rat beantragt wird.

 

Die Verwaltung teilt die Auffassung der Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes NRW, die mit Schnellbrief vom 19. Juni 2019 dargestellt wurde. Dort heißt es:

„Mit der Ausrufung des sog. Klimanotstandes darf aus Sicht der Geschäftsstelle jedoch nicht

der Eindruck erweckt werden, dass Klimaschutz auf kommunaler Ebene eine neue Aufgabe

und gleichzeitig wirkungslos ist. Das Gegenteil ist richtig, die Kommunen haben eine wichtige

Rolle bei der Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung.“

 

Resolutionen zur Ausrufung des Klimanotstandes sind auch nach Auffassung des StGB NRW

grundsätzlich zulässig.

Der Begriff „Notstand“ ist aber aus verschiedenen Gründen nicht völlig unkritisch, weil mit diesem Begriff in der Regel die im Grundgesetz an verschiedenen Stellen geregelten Notstände gemeint sind. Auch gibt es nach herrschender Meinung keinen weitergehenden überverfassungsrechtlichen Notstand. Insofern ist klarzustellen, dass die Verwendung eines solchen Begriffs keine juristischen Konsequenzen hat, sondern nur eine symbolische Wirkung entfalten kann. Zudem ist der Klimanotstand ein „globaler Notstand“, da der Klimawandel bekanntlich an Ländergrenzen oder an den Grenzen kommunaler Gebietskörperschaften keinen Halt macht. Gleichwohl kann ein so verstandener Begriff eines „weltweiten Klimanotstandes“ die Dringlichkeit für ein verstärktes Handeln im Bereich des Klimaschutzes verdeutlichen.

Insgesamt ist es wichtig, (weitere) konkrete Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die nicht zu einem unverhältnismäßigen  bürokratischen Aufwand führen, sondern die helfen, konkrete Verbesserungen zu erreichen.   

 

Der Klimaschutz ist die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Laut aktuellen Umfragen wünscht sich eine große Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen mehr Klimaschutz und ein höheres Tempo bei der Energiewende. Junge Menschen gehen seit Monaten für ihre Überzeugung und Zukunft auf die Straße und werden hierbei von zehntausenden Wissenschaftlern unterstützt.

 

Entwicklung Kommunaler Klimaschutz

Die Stadt Rheine hat die Bedeutung des Klimaschutzes früh erkannt und engagiert sich seit Mitte der 1990er Jahre für eine nachhaltige Welt. Mit dem Beitritt zum „Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder e.V.“ im Jahr 1995 setzte sich die Stadt Rheine erste langfristige Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen und Energie.

Nach der Gründung der Leitstelle Klimaschutz im Jahr 2008  konnten zahlreiche Meilensteine erreicht werden. Die wichtigsten Punkte:

 

2008    Wettbewerb „Klimakommune NRW“ – Finalrunde

2009    Einstellung des ersten bundesweit geförderten Klimaschutzmanagers

2009    Erstellung eines Integrierten Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepts (IKKK)

2009    Erstzertifizierung mit dem European Energy Award

2012    Förderung mit dem Masterplan 100% Klimaschutz; 1 von 18 Kommunen bundesweit

2012    Gründung eines Klimaschutzbeirates

2013    Rheine wird als Forschungsstandort für die „KomRev“-Studie ausgewählt

2013    Einstimmiger Ratsbeschluss zu den Zielen des Masterplan 100% Klimaschutz

2016    Integration der Leitstelle Klimaschutz in den Fachbereich Planen und Bauen

2017    Förderung mit dem Anschlussvorhaben Masterplanmanagement

2019    Verstetigung des Klimaschutzmanagers

 

 

Entwicklung Treibhausgasemissionen und Energieverbrauch

Im Sinne einer generationsübergreifenden Klimapolitik enthält der Masterplan 100% Klimaschutz eine Zielsetzung für das Jahr 2050. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen die Treibhausemissionen um 95% und der Endenergieverbrauch um 50% gegenüber 1990 gesenkt werden. Die Entwicklung dieser Zielparameter wird anhand der, vom Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellten, Onlinesoftware ECOSPEED Region vorgenommen. Die Bilanzierung wird alle zwei Jahre fortgeschrieben. Für den Zeitraum 1990 bis 2017 ergibt sich eine Reduktion der Treibhausgase um gesamt 38,5% und eine Reduktion des Energieverbrauchs um 22,7%. Einen großen Anteil an dieser Entwicklung haben der strukturelle Wandel im Wirtschaftssektor, technische Weiterentwicklungen sowie gesetzlichen Vorgaben zur Energieeffizienz von Gebäuden und Geräten. Die Stadt Rheine hält entsprechend die Treibhausgas-Ziele des Kyoto-Protokolls  für 2020 ein, verfehlt aber die nationale Zielvorgabe von 40% Reduktion.

Die Entwicklung seit 2010 zeigt eine deutliche Abschwächung der Reduktion von Treibhausgasen und des Energieverbrauchs. So gingen die Treibhausgasemissionen in dem Zeitraum um lediglich 11% und der Energieverbrauch um 4,9% zurück. Insbesondere im Verkehrssektor (+9%) und im Wirtschaftssektor (+25%) steigen die Emissionen und Verbräuche wieder an.

Zu begründen ist dieser Trend u.a. mit einem wirtschaftlichem Aufschwung und dem damit verbundenen Verkehren. Auf langfristige Sicht führt diese gegenläufige Entwicklung zu einem Verfehlen der Klimaschutzziele und bedarf einer gezielten Gegensteuerung.

Die Stadt Rheine steht hier vor einer großen Herausforderung. Ohne ein konkretes Handeln, z.B. Förderung Radverkehr und ÖPNV, Energetische Anreizsysteme und höhere Neubaustandards, Ausbau erneuerbarer Energien werden die Ziele nicht erreicht.

 

 

Sektorenspezifische Maßnahmen

Die Stadt Rheine hat u.a. in dem IEHK „Rheine 2025“, dem Masterplan 100% Klimaschutz und dem Integrierten Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept (IKKK) Ziele definiert, welche in einzelnen sektorspezifischen Maßnahmen oder Maßnahmenpaketen umgesetzt werden. So konnten über die letzten 10 Jahre eine Vielzahl von Projekten, mit teils erheblicher finanzieller Förderung des Landes und Bundes, umgesetzt werden. Aktuell sind hier beispielhaft die Projekte KONRAD (Fahrradmobilität) und OptEEL (Gebäudeeffizienz) zu benennen. Auch nutzt die Stadt Rheine in allen ihren Liegenschaften Strom aus 100% erneuerbaren Energien.

Zur Erreichung der Klimaschutzziele wurden zudem politische Beschlüsse, wie z.B. zum Gebäudestandard in der Eschendorfer Aue, gefasst.

Insgesamt wurden seit 2008 in den Sektoren Mobilität, Gebäude, Erneuerbare Energien, Lebensstile, Netzwerke sowie Wirtschaft und Gewerbe über 70 Einzelprojekte und Kampagnen durchgeführt.

 

Verfahrensvorschlag:

 

Zur Erreichung der Klimaschutzziele des Masterplan 100% Klimaschutz und zur Sicherung einer lebens- und liebenswerten Stadt sind alle kommunalen Akteure gefordert. Neben der Verwaltung, den kommunalen Gesellschaften sind dies auch die Entscheidungsträger in politischen Gremien. Folgende Verfahrensweisen sollen zu einem effektiveren Klimaschutz beitragen:

 

-          Die Stadtverwaltung wird in allen stadteigenen Projekten der Bereiche Hochbau, Gebäudeunterhaltung, Bauleitplanung, Quartiersentwicklung sowie Verkehrsplanung und ÖPNV eine frühzeitige Einbindung des Klimaschutzes vornehmen. Politische Vorlagen in diesen  Bereichen werden, durch das Produkt Umwelt und Klimaschutz, auf die Auswirkungen hinsichtlich der Klimaschutzziele der Stadt Rheine geprüft und gegebenenfalls ergänzt. Organisatorisch wird geprüft, wie ein entsprechender Verfahrensschritt in die bisherigen Verwaltungsabläufe integriert werden kann.

-          Der Bürgermeister der Stadt Rheine berichtet dem Rat der Stadt jährlich über die Entwicklungen im Klimaschutz und zeigt Ergebnisse und Schwierigkeiten auf.

-          Die Stadtverwaltung führt eine Evaluation und Fortschreibung des Masterplan 100% Klimaschutz durch. Dieser soll um den Bereich Klimafolgenanpassung ergänzt werden und konkrete sektorenspezifische Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele beinhalten.

 

 

Finanzielle Auswirkungen

Die finanziellen Auswirkungen auf den städtischen Haushalt sind zu diesem Zeitpunkt kaum abzuschätzen. Diese sind im Einzelfall zu ermitteln und eventuelle Mehrkosten dem Einsparungseffekt gegenüber zustellen. Insbesondere im Hochbau und in der Gebäudewirtschaft sind nicht nur die Investitionskosten anzusetzen, sondern eine Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus inkl. Kostensteigerung vorzunehmen.

 

Für die Vergabe der ‚Evaluation und Fortschreibung des Masterplan 100% Klimaschutz‘ sollen im Haushaltsplan 2020 insgesamt 5.000 € für einzelne externe Leistungen eingestellt werden.

 


Anlagen:

 

Anlage 1 - Antrag Bündnis 90 - Die Grünen vom 29. Mai 2019

Anlage 2 - Schülerantrag Klimanotstand