Beschlussvorschlag/Empfehlung:
Der Jugendhilfeaussschuss
beschließt die in der Anlage zur Vorlage beigefügten Richtlinien des
Jugendamtes der Stadt Rheine für die Kindertagespflege nach dem
Sozialgesetzbuch VIII mit Wirkung 01.08.2020.
Begründung:
Alle Jugendämter im Kreis Steinfurt nehmen seit 2019 am Bundesprogramm
ProKindertagespflege teil und haben gemeinsam beschlossen, an verschiedenen
Themenfeldern (z. Bsp. Fachkräftegewinnung und -bindung, Qualifizierung,
Vergütung und Vertretungsmodelle) zu arbeiten und so das System
Kindertagespflege zu stärken. Es wurde ein kreisweiter, multiprofessioneller
Arbeitskreis konzipiert. Vertreter der Jugendämter und der Fachberatungen haben
gemeinsam an Qualifizierung, Fachtagen, Imagekampagne und Richtlinien gearbeitet.
Ziel ist es, kreisweit einen einheitlichen Qualitätsstandard in der
Kindertagespflege sicherzustellen.
Mit
einer möglichst kreisweit einheitlichen Anpassung der Richtlinien der
Kindertagespflege werden für diesen Bereich erste Maßnahmen zur Steigerung der
Qualität umgesetzt.
Parallel
zur Arbeit im Bundesprogramm ProKindertagespflege hat der Landtag NRW am
29.11.2019 ein neues Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen
Bildung (Kinderbildungsgesetz – KiBiz) beschlossen. Die daraus resultierenden
Änderungen wurden bei der Anpassung der Richtlinien der Kindertagespflege
gleich mit eingearbeitet.
Die Struktur der neuen Richtlinien hat sich so verändert, dass eine Gegenüberstellung mit dem jetzigen Stand der Richtlinien (Synopse) nicht mehr möglich ist. Die wesentlichen Änderungen werden nachfolgend dargestellt und erläutert.
Punkt 4.1:
·
Die Kindertagespflege wurde bislang in dem
Umfang gewährt, der aufgrund der berufsbedingten oder schulischen Abwesenheit
konkret erforderlich war. Der Betreuungsbedarf wird nach den Erläuterungen zum
KiBiz jedoch nach dem Elternwunsch definiert. Somit muss der Betreuungsumfang
zwischen Eltern und der Fachberatung abgestimmt werden. Vgl. auch BVerwG, Urt.
v. 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16:
Der zeitliche Umfang der Förderung richtet sich gemäß § 24 Abs. 2 Satz
2 SGB VIII in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII nach dem
individuellen Bedarf. Der Verwaltungsgerichtshof geht mit Recht davon aus, dass
der individuelle Bedarf durch die Verhältnisse des anspruchsberechtigten Kindes
und seiner Erziehungsberechtigten gekennzeichnet ist.[…] Gemessen daran
begegnet die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, maßgeblich sei stets der
durch die Erziehungsberechtigten definierte individuelle Bedarf, begrenzt durch
das Wohl des zu betreuenden Kindes, keinen Bedenken.“
· In Anlehnung an die Betreuungszeit in Kindertageseinrichtungen wurde der Stundenumfang, bei dem der Rechtsanspruch grundsätzlich erfüllt ist, von 20 auf 25 Stunden pro Woche angehoben.
· Sollten die Voraussetzungen, die zu einem erhöhten Betreuungsbedarf geführt haben, wegfallen (z.B. Arbeitslosigkeit), besteht der bisherige Bewilligungsumfang für das laufende Betreuungsjahr nunmehr fort. Die Eltern haben jedoch weiterhin die Möglichkeit, im Rahmen der Kündigungsfristen den Betreuungsumfang zu senken.
Punkt 4.2:
· Die max. Betreuungszeit soll 55 Wochenstunden (bislang 60 Wochenstunden) nicht überschreiten.
Punkt 4.3:
· Die gesetzlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes bezüglich der Masernimpfpflicht (Inkrafttreten 01.03.2020) werden neu aufgenommen.
Punkt 6.:
· Die Pflegeerlaubnis wird entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 5 Jahre (bislang 3 Jahre) befristet.
Punkt 6.1:
· Das Höchstalter (bislang 67 Jahre) fällt zur Vermeidung von Altersdiskriminierung weg.
Punkt 6.2:
· Die formalen Voraussetzungen werden um die Punkte Nachweis Masernschutzimpfung (10.) und Einhaltung der Grundsätze der Datenschutzbestimmungen (11.) ergänzt.
Punkt 6.4:
· Im Rahmen des Bundesprogrammes ProKindertagespflege werden Qualifizierungen nach QHB (Qualifizierungshandbuch Kindertagespflege) angeboten. Über diese Qualifikation sollen ab dem Kindergartenjahr 2022/2023 alle neuen Kindertagespflegepersonen verfügen. Kindertagespflegepersonen, die bereits nach DJI qualifiziert sind, haben Bestandsschutz. Die Regelungen bezüglich der Qualifizierung der Kindertagespflegepersonen sind kreiseinheitlich abgestimmt und werden auch bereits kreisweit durchgeführt.
Punkt 7.1:
· Zukünftig ist es möglich, dass Großtagespflegestellen bis zu 15 Betreuungsverträge abschließen können, wenn die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 2 S. 3 KiBiz erfüllt sind (u.a. alle Kindertagespflegepersonen erfüllen den QHB Standard).
· Werden Großtagespflegestellen im Rahmen eines Festanstellungsmodells betrieben, muss der Träger dieser Großtagespflegestelle ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe sein.
Punkt 8:
· Für die Betreuung von Kindern mit Behinderung in der Kindertagespflege werden Regelungen des Kreises Steinfurt übernommen. Allerdings ist es in den letzten Jahren in Rheine in der Praxis noch nicht dazu gekommen, dass bei einem Kind, welches in der Kindertagespflege betreut worden ist, der Eingliederungshilfeträger eine Anerkennung nach §§ 53, 54 SGB XII ausgesprochen hat. Bei einem Kind mit Behinderung, dessen Grad der Behinderung nicht ausreicht, vom Eingliederungshilfeträger nach §§ 53, 54 SGB XII anerkannt zu werden, wird daher wie bisher die monatliche Pauschale für die Betreuung nach einer Einzelfallprüfung individuell festgelegt.
Punkt 9:
· Es werden Voraussetzungen für die Gewährung der Geldleistungen an die Kindertagespflegepersonen definiert.
Punkt 9.1:
· Die Leistungstabelle Kindertagespflege wird um die Zeile „Vollqualifikation QHB“ ergänzt. Kindertagespflegepersonen, die nach dem QHB voll qualifiziert sind, erhalten ein um 2,5 % erhöhtes Leistungsentgelt. Die genauen Beträge sind der Leistungstabelle zu entnehmen.
· In Anlehnung an die Kindertageseinrichtungen beginnt die Betreuung mit der Eingewöhnungsphase. Auch für die Eingewöhnungsphase ist die volle monatliche Geldleistung zu gewähren (§ 24 Abs. 3 Nr. 7 KiBiz). Die bislang vorgeschalteten Eingewöhnungsstunden fallen im Gegenzug weg.
· Gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 9 KiBiz ist die Höhe der laufenden Geldleistung jährlich anzupassen. Hier wird Anpassungsklausel nach KiBiz für die Betriebskostenzuschüsse an die Kitas übernommen. Für das Kindergartenjahr 2020/21 erfolgt die Anpassung in der bekannten Höhe von 3 %. Ab dem Kindergartenjahr 2021/22 erfolgt eine jährliche Anhebung auf Grundlage der von der obersten Landesjugendbehörde veröffentlichten Fortschreibungsrate (vgl. § 37 Abs. 2 KiBiz). Die Beträge werden nach mathematischen Regeln auf volle Eurobeträge gerundet.
Punkt 9.3:
· Gesetzlich vorgeschrieben ist die Gewährung eines Leistungsentgeltes für mittelbare Bildungs- und Betreuungsarbeit (§ 24 Abs. 3 Nr. 6 KiBiz). Daher erhalten die Kindertagespflegepersonen eine Stunde pro Kind und Betreuungswoche nach dem Tabellenwert der Vollqualifikation DJI (unabhängig von der tatsächlichen Qualifikation der Kindertagespflegeperson) vergütet. Für das Kindergartenjahr 2020/2021 ergibt dies einen Betrag in Höhe von 23,90 Euro pro Kind und Monat.
Punkt 9.4.1:
·
Bislang erhalten Kindertagespflegepersonen, die
in den Randzeiten von 6:00 Uhr bis 7:30 Uhr und von 16:30 Uhr bis 22:00 Uhr
betreuen, einen Zuschlag in Höhe von 25 % auf die entsprechende Geldleistung.
Diese Regelung, die eigentlich eine Zusatzförderung für ungünstige Zeiten
vorsah, entfällt. Zukünftig wird die Randzeit über die gesetzliche Vorgabe nach
§ 23 Abs. 1 S.1 KiBiz definiert:
Liegt der Betreuungsbedarf eines Kindes
aus familiären Gründen regelmäßig um mehr als eine Stunde außerhalb der
Öffnungszeit der öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung oder der
Kindertagespflege, in der es regelmäßig betreut wird, kann ergänzende
Kindertagespflege gewährt werden (ergänzende Kindertagespflege).
Damit wird unabhängig von der Tageszeit die für die Kindertagespflegepersonen
wirtschaftlich unattraktive ergänzende Kindertagespflege weiterhin gefördert.
Punkt 9.8:
· Neue Großtagespflegestellen erhalten zukünftig nur noch einen Betriebskostenzuschuss bis zur Hälfte der nachgewiesenen Betriebskosten. Maximal werden 600 € pro Monat Betriebskostenzuschuss gezahlt.
Finanzielle Auswirkungen
Die
Neufassung des KiBiz und insbesondere das Urteil des BVerwG vom 26.
Oktober 2017 zum angemessenen Betreuungsumfang haben nicht nur Auswirkungen auf die neuen Richtlinien zur
Kindertagespflege, sondern auch auf den Haushalt der Stadt Rheine.
Die
Auswirkungen des neuen KiBiz waren zum Zeitpunkt der Haushaltsplanaufstellung
für 2020 ff aufgrund des vorliegenden Gesetzentwurfes schon abschätzbar und
wurden bereits in den Haushaltsplan eingearbeitet:
è
Mehreinnahmen, da die Landesmittel von 804 € auf 1.109 € je Kind
erhöht wurden.
->
Bei 300 Kindern bedeutet dieses
Mehreinnahmen von 91.500 €
è
Erstmalige Einnahmen durch Landesmittel, die den Jugendämtern zur
Finanzierung der Fachberatungen zugewiesen werden (rund 40.000 €).
è
Mehrkosten beim Tagespflegegeld für die nach QHB qualifizierten
Tagespflegepersonen (rund 45.000 €)
Nicht
kalkuliert war das Leistungsentgelt für mittelbare Bildungs- und
Betreuungsarbeit. Aufgrund der nun kreiseinheitlich abgestimmten Vorgehensweise
muss mit einem Mehraufwand von 9.000 € pro Monat kalkuliert werden.
Die Umsetzung des BVerwG-Urteils zum angemessenen Betreuungsumfang führt zu weiteren Mehrbelastungen.
Wenn
alle rund 110 Kinder, die derzeit mit 20 Std./Woche betreut werden, zukünftig
mit 25 Std./Woche betreut werden, erhöhen sich die Aufwendungen um rund 13.000
€ pro Monat.
Für
das Jahr 2020 können die Mehrkosten von 110.000 € für die Zeit von August bis
Dezember 2020 (5 x 22.000 €) im laufenden Haushaltsansatz nach derzeitigen
Erkenntnissen kompensiert werden.
Für
2021 ff. ist der jährliche Mehraufwand von 264.000 € (12 x 22.000 €) bei den
Haushaltsplanberatungen zu berücksichtigen.
Anlage:
Die Richtlinien zur Kindertagespflege mit Wirkung vom 01.08.2020