Betreff
Eintragung des ehemaligen Kalksteinbruchs am Waldhügel als Bodendenkmal in die Denkmalliste der Stadt Rheine
Vorlage
237/07
Aktenzeichen
FB 5.6-gr
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag/Empfehlung:

 

Der Bau- und Betriebsausschuss stimmt der Einleitung des Verfahrens gemäß § 3 des Denkmalschutzgesetzes NRW zur Eintragung des ehemaligen Kalksteinbruchs am Waldhügel als Bodendenkmal in die Denkmalliste zu.


Begründung:

 

Mit Schreiben vom 15. März 2007 – hier eingegangen am 30. April 2007 – beantragt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe – Archäologie für Westfalen – die Eintragung des ehemaligen Kalksteinbruchs am Waldhügel als ortsfestes Bodendenkmal in die Denkmalliste der Stadt Rheine (siehe Anlage).

 

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe begründet diesen Antrag mit dem festgestellten Denkmalwert dieses Geländes, den er in seinem Antrag im Einzelnen wie folgt begründet:

 

Bei dem ortsfesten Bodendenkmal handelt es sich um eine Abfolge von Gesteinen. Diese bilden den Untergrund und den Hintergrund der Sohlen und Wände im ehemaligen Steinbruch der Rheiner Kalkwerke am Waldhügel in Rheine. Anstehend ist eine Gesteinsserie aus der Oberkreidezeit, genauer gesagt aus der Stufe des Cenoman (Thiermann 1987). Diese Schichten sind um 95 Mio. Jahre alt. Es stehen Sediment- bzw. Absatzgesteine an, und zwar in der Hauptsache helle Kalksteine. Untergeordnet sind feinkörnige dunkle Mergelsteine (Mergel: Kalk-Tongemisch). Allgemein nimmt im Profil des Cenomans der Kalkgehalt von unten nach oben zum Jüngeren zu. So werden die älteren Schichten Cenoman-Mergel, die jüngeren Cenoman-Kalk genannt (Thiermann 1973). Die Gesteinsserie verfügt über eine reiche und wissenschaftlich bedeutende Fossilführung.

 

Die harten, verwitterungsresistenten Kalksteine bilden die Erhebung des Waldhügels im Süden von Rheine. Im Steinbruch der Rheiner Kalkwerke ist das Gestein heute noch sichtbar. Die Schichten fallen relativ flach mit ca. 20° nach Nordosten ein. Es ist davon auszugehen, dass sie sich hinter den sichtbaren Aufschlüssen noch weiter fortsetzen. Das Gebiet ist ein paläontologisches Bodendenkmal, weil sein Fossilinhalt „Zeugnisse tierischen und pflanzlichen Lebens aus erdgeschichtlichen Zeit“ darstellt (§ 2 Abs. 5 DSchG von Nordrhein-Westfalen).

 

Die schichtig aufgebauten Kalk- und Mergelsteine (Mergel: Kalk-Ton-Gemisch) entstanden während der Oberkreidezeit in einem Meer, das den größten Teil Europas bedeckte. Auf dem Meeresboden wurden Materialien wie Kalk- und Tonschlämme abgelagert, und zwar Schicht auf Schicht. Auch die meeresbewohnenden Tiere wurden in diesen Prozess einbezogen. Nach ihrem Absterben verwesten ihre Weichteile, während ihre erhaltungsfähigen Materialien, z. B. Kalkgehäuse oder Knochen, auf dem Meeresboden abgelagert wurden. Da dieser immer mehr absank, konnten organische und anorganische Materialien mit immer jüngeren Schichten bedeckt und in immer größere Tiefen versenkt werden. Unter dem Meeresboden kam es im Folgenden zur Gesteinsverfestigung. Dieser Gesteinskörper wurde später durch die Kräfte einer Gebirgsbildung wieder über den Meeresspiegel emporgehoben. Dabei wurden die Schichten im Bereich des Waldhügels bei Rheine zu einer Sattelstruktur verformt.

 

Die Gesteinsabfolge im ehemaligen Steinbruch der Rheiner Kalkwerke am Waldhügel in Rheine ist bedeutend für die Entwicklungsgeschichte der Erde, denn es sind hier Fossilien und damit Zeugnisse tierischen Lebens aus erdgeschichtlicher Zeit nachgewiesen, denen ein besonderer paläontologischer Rang zukommt (Grzegorczyk u. a. 2005). Daher sind sie für künftige Forschungen von wissenschaftlichem Interesse. Der Schichtenausschnitt hat mit seiner Fossilführung eine hohe Bedeutung für diesen Zeitabschnitt innerhalb Gesamt-Westfalens. Schutzobjekte sind die in den Schichten auftretenden Fossilien mit dem sie umgebenden Gestein.

 

Es treten verschiedene Gruppen von Fossilien auf. Hier ihre wichtigsten Vertreter:

 

- Ammoniten (Verwandte der Tintenfische mit einem meist aufgerollten Gehäuse)

- Brachiopoden („Armfüßler“, nur äußerlich den Muscheln ähnlich)

- Muscheln (z. B. Inoceramen: wichtige Leitformen in der Oberkreide)

- Seeigeln usw.

 

Die Invertebraten-Fauna (wirbellose Tiere) vom Waldhügel ist im Vergleich mit altersgleichen Schichten an anderen Orten als reichhaltig zu bezeichnen. Ammoniten und Inoceramen übernehmen dabei eine besondere Funktion. Auf ihnen baut in der Stratigrafie (Wissenschaft von der zeitlichen Ordnung der Gesteine) die Zonengliederung auf (Zone: kleinste stratigrafische Einheit). Bestimmte Fossilien treten an einzelne Schichtlagen bzw. -bereiche gebunden auf. Solche „Events“ spielen in der Biostratigrafie (Altersbestimmung mithilfe von Fossilien) eine wichtige Rolle. Ökoevents sind relativ kurzfristige, durch Verbesserung der Umweltfaktoren bedingte Blütezeiten von Arten, Gattungen oder ganzer Faunen (Ernst, Schmid & Seibertz 1983). Beispiele hierfür sind das Praeactinocamax-plenus-Event aus dem höheren Cenoman und das Pycnodonte-baylei-Event aus dem Mittel-/Ober-Cenoman-Grenz­bereich (Kaplan u. a. 1998), die im Steinbruch auf dem Waldhügel auftreten. Hervorzuheben ist, dass in der Vergangenheit immer wieder Funde von Großammoniten gemacht worden sind. Aufgrund paläontologischer Erfahrungen in vergleichbaren Schichtabfolgen ist davon auszugehen, dass in den Sedimentgesteinen im Bereich des ehemaligen Steinbruchs der Rheiner Kalkwerke am Waldhügel in Rheine weiteres Fossilmaterial lagert (vgl. hierzu auch die Punkte II 1, II 2 und I 8 im Kriterienkatalog [Hendricks 1996]).

 

Für eine Erhaltung des ortsfesten Bodendenkmals sprechen wissenschaftliche Gründe, denn es stellt eine für die paläontologische Forschung wichtige Quelle dar, deren Auswertung neue und weiter gehende Erkenntnisse vermittelt, die auf keinem anderen Wege gewonnen werden können. Zu den Voraussetzungen für Unterschutzstellungen paläontologischer Bodendenkmäler siehe Gumprecht (2002).

 

Die infrage kommende Fläche befindet sich ausnahmslos im Eigentum der Stadt Rheine; da es sich jedoch um ein eingetragenes Naturschutzgebiet handelt, soll in dem weiteren Verfahren eine Abstimmung der Unteren Landschaftsbehörde erfolgen. Darüber hinaus soll der Förderverein Waldhügel e. V. im weiteren Verfahren gehört werden.


Anlagen:

 

Anlage 1:        Antrag des LWL – Archäologie für Westfalen – vom 15. März 2007